Rache am Gaddafi-Regime:Human Rights Watch prangert Exekutionen durch libysche Rebellen an

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Im Kampf gegen das Gaddafi-Regime sollen Aufständische in Libyen Kriegsverbrechen begangen haben - die bis heute von der neuen Regierung nicht untersucht werden. Menschenrechtler legen neue Beweise dafür vor, dass Rebellen Ex-Machthaber Gaddafi töteten und zeigen, dass auch zahlreiche seiner Gefolgsleute gezielt umgebracht wurden.

In diesem Abflussrohr bei Sirte versteckte sich Muammar al-Gaddafi, bevor er von Rebellen festgenommen wurde. Wenig später war der frühere libysche Machthaber tot. (Foto: Reuters)

Im Kampf gegen die Rebellen war das gestürzte Regime des früheren libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi nicht zimperlich. Gaddafi selbst schmähte seine Gegner als Kakerlaken, Ratten und Gangs von Rauschgiftsüchtigen. Seine Soldaten gingen mit Granatenbeschuss auch auf von Zivilisten bewohnte Gegenden, mit Festnahmen und geheimen Arresten sowie Massenexekutionen unbarmherzig gegen die Rebellen vor.

Dass die Aufständischen sich dafür rächten, als die Gelegenheit dazu kam, zeigt ein an diesem Mittwoch veröffentlichter Bericht von Human Rights Watch. Kurz vor dem ersten Todestag von Muammar al-Gaddafi legt die Menschenrechtsorganisation einen Bericht dazu vor, was am 20. Oktober 2011 geschah, als die Rebellen nach einem Nato-Luftangriff auf Gaddafis Heimatstadt Sirte den Konvoi des früheren libyschen Machthabers aufspürten.

In dem Bericht "Tod eines Diktators: Blutige Rache in Sirte" legen die Menschenrechtler neue Beweise dafür vor, dass der frühere libysche Machthaber nach seiner Festnahme in Sirte von Rebellen ermordet wurde. Zudem dokumentieren sie, dass an mindestens 53 Mitgliedern des Konvois ein Massaker verübt wurde.

"Die Ergebnisse unserer Untersuchung werfen Fragen zu der Darstellung der Behörden auf, wonach Muammar al-Gaddafi in einem Schusswechsel und nicht nach seiner Festnahme getötet wurde", sagt Peter Bouckaert von Human Rights Watch. Die Organisation wirft den Aufständischen zudem vor, zahlreiche Anhänger Gaddafis entwaffnet, geschlagen und bespuckt zu haben - und bis zu 66, doch mindestens 53, von ihnen in Gefangenschaft getötet zu haben. Einige von ihnen hätten die Hände hinter dem Rücken gefesselt gehabt.

Human Rights Watch beruft sich in dem Bericht auf Aussagen von Rebellen und Überlebenden des Massakers sowie auf Aufnahmen von Handykameras. Zudem glichen sie Fotos aus Leichenschauhäusern mit Videoaufnahmen von Anhängern Gaddafis ab, auf denen diese noch lebend zu sehen waren.

Die Menschenrechtsorganisation fand außerdem Videomaterial, das Gaddafi nach seiner Gefangennahme zunächst lebend mit einer blutenden Wunde am Kopf zeigt. Demzufolge verletzten gegnerische Kämpfer ihn mit einem Bajonett am Gesäß und begannen, ihn mit Tritten und Schlägen zu traktieren. Als er später halbnackt in einen Krankenwagen transportiert wurde, erschien er dagegen leblos. Es bleibe unklar, ob er infolge der Misshandlungen oder vorheriger Verletzungen starb beziehungsweise später erschossen worden sei. Auch solche Berichte hatte es gegeben.

Auch Gaddafi-Sohn vermutlich gezielt getötet

Auch das Schicksal von Gaddafis Sohn Mutassim lässt den Untersuchungen von Human Rights Watch zufolge Zweifel am Verhalten der libyschen Milizionäre aufkommen. Videoaufnahmen, die unmittelbar nach seiner Festnahme gemacht wurden, zeigten den Gaddafi-Sohn bei Bewusstsein und fähig zu gehen. Zudem gebe es noch spätere Aufnahmen, auf denen er rauchend und im Gespräch mit Rebellen in Misrata zu sehen sei. Am Nachmittag des gleichen Tages sei Mutassim mit neuen großen Wunden tot aufgefunden worden. Das lege den Verdacht nahe, dass er in Gefangenschaft umgebracht worden sei, berichtet Human Rights Watch.

Nach Angaben der Organisation wurden die Beweise kurz nach den Morden an die Behörden übergeben mit der Forderung, eine vollständige und unabhängige Untersuchung einzuleiten. Bislang sei jedoch nichts geschehen - vermutlich auch aufgrund der mangelnden Kontrolle der Regierung über die immer noch schwer bewaffneten Milizen.

Human Rights Watch betont, dass es sich bei den Verbrechen um Kriegsverbrechen handele. Anlässlich des Jahrestags mahnte Human-Rights-Watch-Mitarbeiter Bouckaert erneut eine Untersuchung an. "Diese Massenhinrichtungen vom 20. Oktober 2011 sind die schwersten Verbrechen der Oppositionskräfte" in dem achtmonatigen Konflikt, erklärte Bouckaert.

© Süddeutsche.de/AFP/gal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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