Querelen in der Piraten-Spitze:Verkrachter Vorstand muss weitermachen

Piratenpartei

Bernd Schlömer (Mitte), Vorsitzender der Piratenpartei, rechts von ihm Anita Möllering, die Pressesprecherin der Partei, sowie Klaus Peukert, Beisitzer im Vorstand (links)

(Foto: dpa)

"Eine Pressekonferenz dient nicht dazu, Neuigkeiten zu verkünden": Eigentlich sollte eine Mitgliederbefragung endlich die Personaldebatten in der Piratenpartei beenden. Doch die Präsentation der Ergebnisse gerät zu einem absurden Schauspiel. Ein Neustart sieht anders aus.

Von Thorsten Denkler, Berlin, und Hannah Beitzer

Bernd Schlömer hat seinen Käpt'n dabei. Käpt'n Jack "Jackie" Sparrow, einen Dalmatiner-Rüden. Das passt ziemlich gut, denn Schlömer selbt ist ja auch Piraten-Kapitän, wenngleich der Job im Moment kein besonders angenehmer sein kann. Der Bundesvorsitzende sitzt in der ersten Etage des Café Oberholz in Berlin-Mitte, wo sich die digitale Boheme trifft.

Hierher hat die Piratenspitze die Presse zum Frühstück eingeladen. Schlömer und sein Vorstandskollege Klaus Peukert wollen die Ergebnisse der etwas skurrilen Mitgliederbefragung erklären, die die Piratenspitze in der vergangenen Woche initiiert hat. So steht es zumindest in der Einladung.

Was vor allem Schlömer und seine Mitstreiter im Parteivorstand wissen wollten: Soll es auf dem kommenden Parteitag in Neumarkt in der Oberpfalz zur Neuwahl des Personals kommen? Oder soll es doch nur um Inhalte gehen? Oder vielleicht um beides, oder was? Und wie bewerten die Mitglieder die einzelnen Bundesvorstände? Zur Auswahl standen verschiedene Varianten, die jeweils mit null bis fünf Punkten bewertet werden konnten. Und für die Führungsriege gab's Kopfnoten, wie damals in der Schule.

Eines hat die Mitmachpartei damitschon bewiesen: Mitmachen wollten dort im Moment nicht allzu viele. Von den 31.407 Mitgliedern haben gerade mal 5056 geantwortet. Das entspricht einer Quote von 16,1 Prozent. Die meisten Punkte erhält die Variante, die sich gegen eine Neuwahl des Bundesvorstands vor der Bundestagswahl ausspricht und stattdessen nur Programmbeschlüsse vorsieht.

Basis straft Ponader ab

Die Befragung hat eine Vorgeschichte: Sie ist nach einem heftigen Streit in der Piratenführung zustande gekommen. Auf der einen Seite steht Ponader, der eine Neuwahl des gesamten Bundesvorstandes noch vor der Bundestagswahl will. Auf der anderen Seite alle anderen. Mit der Kopfnoten-Umfrage zu den einzelnen Bundesvorständen wollten diese anderen vor allem Ponader eins auswischen.

Dessen Noten sind tatsächlich unterirdisch. Hunderte Befragte gaben dem politischen Geschäftsführer der Piratenpartei eine glatte Sechs. In den Kommentaren beschimpften ihn Mitglieder als "Vollidioten" und "lächerlichen Selbstdarsteller". Gerade Ponader und seine Anhänger hatten die Bewertung mit Schulnoten im Vorfeld kritisiert - es gibt in der Partei massive Bedenken, Personalfragen per Abstimmungssoftware zu entscheiden. Nur 2816 Piraten nahmen die Option dann auch überhaupt wahr. "Wir würden uns wünschen, dass die Partei in Zukunft Abstand davon nimmt, Umfragesysteme wie Lime Survey als Wahlcomputer einzusetzen", kommentiert der netzpolitische Sprecher der Berliner Piratenfraktion, Alexander Morlang, die Ergebnisse.

Während der Pressekonferenz im Café Oberholz sitzt Ponader nicht mit den anderen vorne, sondern steht ganz hinten, die eine Hand am rechten Ohr, damit er der Pressekonferenz besser folgen kann. Schlömer sagt, Ponader habe nicht vorne sitzen wollen. Ponader sagt nach der PK, er habe mit Schlömer gar nicht darüber gesprochen - so oder so ähnlich läuft die Kommunikation nach außen bei den Piraten schon seit Monaten. Dass es im Oberholz an diesem Vormittag voll wird, ist deshalb keine Überraschung: Eine Handvoll Fernsehteams und gut zwei Dutzend Journalisten drängeln sich um die besten Plätze.

Zwei andere Piraten versuchen, die Anwesenheit der Presse zu nutzen, um auch ihre Anliegen mal breit vorzustellen. Bruno Kramm, Spitzenkandidat der Piraten in Bayern etwa, schimpft auf das Leistungsschutzrecht. Mit ihm ist Cornelia Otto gekommen, Listenplatz eins in Berlin für die Bundestagswahl. Sie hält eine kleine Rede über das Thema Gema und DJs und dass die DJs für jeden Track 13 Cent bezahlen sollen, was ja gar nicht gehe. Danach kommt Schlömer noch mal mit Standardsätzen wie "Wir wollen in den Bundestag einziehen." Und dass Kramm und Otto "Sympathieträger" der Piraten seien.

Verwirrende Wortwahl

Solche Leute bräuchte die Partei in der Tat dringend. Derzeit wird sie fast ausschließlich über ihren internen Streit wahrgenommen. Kramm findet: Das liegt auch an der Berichterstattung. Die "Presse soll dazu lernen und uns als Kandidaten befragen, nicht den Vorstand". Weil die Presse den Vorstand "immer Fragen zu Inhalten stellt", könne der seiner "verwaltenden Aufgabe gar nicht mehr nachkommen". Bei "uns Piraten" nämlich "ist das Zentrum der Politik das, was wir an der Basis machen".

Die anwesenden Journalisten interessieren sich allerdings eher für die Ergebnisse der - gelinde gesagt - verwirrenden Umfrage. Die Piraten konnten unter verschiedene Optionen wählen: keine Wahl, Neuwahl, Wahl, Nachwahl. Etwas "unglücklich formuliert", findet das jetzt auch Piratenvorstand Klaus Peukert, Initiator der Umfrage.

Gemeint ist wohl, ob es nur um das Programm gehen soll auf dem Parteitag (keine Wahl). Ob zumindest die beiden freien Beisitzer-Posten nachbesetzt werden sollen (Neuwahl, respektive Nachwahl). Oder ob der gesamte Bundesvorstand neu bestimmt werden soll (Wahl). Jedes Mitglied durfte für jede Option fünf Punkte verteilen. Schlömers verwirrende Interpretation der Zahlen: Zwei Drittel aller Punkte stünden für keine "Wahl" des Bundesvorstandes.

Und was bedeutet das jetzt? Schlömer will diese Frage jetzt nicht beantworten: "Eine Pressekonferenz dient nicht dazu, Inhalte zu verkünden oder Neuigkeiten." Das hatten einige Journalisten im Raum bisher offenbar gründlich missverstanden. Schlömer merkt dann aber selbst, dass er sich wohl "versprochen" habe. Er wolle nur einer Entscheidung des Bundesvorstandes nicht vorgreifen, die erst am Mittwoch gefällt wird.

Und die Personaldebatten vor allem um und mit Ponader? Schlömer sagt, was er immer sagt: "Sind jetzt beendet." Er schaut Ponader an, der immer noch ganz hinten lauscht: "Johannes Ponader ist da, er lächelt mich an, ich lächle zurück. Eine sachliche Zusammenarbeit mit Ponader war, ist, und wird auch immer möglich sein." Einige in der Runde lachen.

Ponader bringt weitere Varianten ins Spiel

Da versucht die Pressesprecherin der Piraten, Anita Möllering, für Klarheit zu sorgen. "Klar ist, dass die reine Bundesvorstandswahl keine Option ist", sagt sie, als wäre das die Nachricht. Dabei will einen reinen Wahlparteitag nicht mal Ponader. Er hatte im Vorfeld noch weitere Varianten ins Spiel gebracht - zum Beispiel einen informellen dezentralen Online-Parteitag, auf dem sich Vorstandskandidaten vorstellen können, so dass in Neumarkt nur noch die Wahlgänge stattfinden.

"Eine Amtszeit des BuVo (Bundesvorstands, d. Red.) von etwa einem Jahr war bisher das, was in unserer Partei üblich war", schrieb er in einem Blogbeitrag. "Die Überlegung, die Amtszeit entgegen dieser Gewohnheit zu verlängern, wurde bisher immer unter der Voraussetzung getroffen, dass es ein entweder-oder gibt: Entweder Programmparteitag oder Wahlparteitag. Es gibt aber auch die Möglichkeit eines Sowohl-Als-Auch."

Im Café Oberholz gibt Ponader nach dem Auftritt seines Parteichefs eine kleine Neben-PK. Immer wieder wird er gefragt, warum er nicht zurücktrete aus einem Parteivorstand, in dem so gut wie niemand mehr mit ihm zusammenarbeiten wolle. Auch er sagt, was er immer sagt: Er werde sich selbstverständlich einem Votum des Parteitages beugen - will heißen: Entweder es gibt eine ordentliche Abwahl. Oder er bleibt.

Später geht er kurz zu Schlömer. Sie geben sich die Hand wie zwei einstige Freunde, die sich nach Monaten des Streits zum ersten Mal vor Gericht wiedersehen. Schlömers Hund Jackie streicht um die Beine von Ponader. Der Piraten-Dalmatiner ist wohl der einzige, dem der Streit zwischen Ponader und seinem Herrchen herzlich egal ist.

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