Berlin:Voll im Corona-Stress

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Immer wieder kommt es zu Auseinandersetzungen von Polizisten mit Protestierenden, hier bei der Demonstration gegen das neue Infektionsschutzgesetz vergangene Woche in Berlin. (Foto: Markus Schreiber/AP)

Selbst die viel erprobte Berliner Polizei ist mit den Anti-Corona-Demos schwer beschäftigt. Nun steht auch noch der 1. Mai bevor.

Von Jan Heidtmann

Um abzuschätzen, wie sehr die Corona-Pandemie die Menschen trotz aller Einschränkungen auch mobilisiert, dafür genügt schon der Blick auf eine dürre Zahl: 7000. So viele Proteste wurden 2020 in der Demonstrationshauptstadt Berlin angemeldet, 2000 mehr als in den Jahren zuvor. Ein großer Teil davon richtete sich gegen die Beschränkungen, die der Staat erlassen hat, um die Infektion einzudämmen. Doch was die Zahlen nicht verraten, ist, vor welche Probleme diese Proteste die Sicherheitsbehörden stellen. Sogenannte Querdenker und Corona-Leugner erschwerten die Vorbereitung auf den 1. Mai erheblich, heißt es bei der Polizei.

Trotz einer Vielzahl an Demonstrationen galt der Protesttag bislang als einigermaßen kalkulierbar für die Beamten: die Großdemonstrationen der Gewerkschaften, das "Myfest" in Kreuzberg, der 18-Uhr-Aufmarsch linker Sympathisanten, meist begleitet von einiger Randale. Die Pandemie und ihre Leugner stellen diese Gewissheiten komplett infrage. "Die Polizei hat bei den Coronademos Lehrgeld bezahlt", räumte Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) im Tagesspiegel ein. "Bei den Querdenkern ist manchmal schwer einzuschätzen, was passieren wird."

Ein Grund dafür ist, dass die Proteste immer radikaler werden. Im Frühjahr 2020 war es noch eine recht disparate Gruppe von Menschen, die am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin auf die Straße ging. Unzufriedene, Esoteriker, Verschwörungsgläubige, dazu Extremisten von links wie auch von rechts. Durch die Beschränkungen des ersten Lockdowns blieb die Zahl der Demonstranten jedoch überschaubar, die Proteste verliefen weitgehend friedlich. Ein Jahr später, in der vergangenen Woche, als im Bundestag die Novelle des Infektionsschutzgesetzes verabschiedet wurde, versammelten sich an die 8000 Menschen auf der Straße des 17. Juni. Tausende blieben, auch als die Polizei die Veranstaltung längst aufgelöst hatte. Im Tiergarten lieferten sie sich Scharmützel mit den Beamten und kesselten einige sogar ein. Die Polizei musste Pfefferspray einsetzen und nahm 250 Protestierende fest.

Dass die Berliner Polizei bei Protesten der Corona-Leugner inzwischen sehr schnell und deutlich reagiert, hat vor allem mit den Erfahrungen des vergangenen Jahres zu tun. Bei zwei Großveranstaltungen hatten die Beamten die Mobilisierungsfähigkeit von Querdenkern, aber auch von Rechtsextremen unterschätzt. Zehntausende kamen zwischen der Siegessäule und dem Brandenburger Tor zusammen, am 30. August gelang es mehreren Hundert von ihnen sogar, die Stufen des Reichstagsgebäudes zu erklimmen. Die Polizei zog daraus zwei Schlüsse: Erstens helfen lang eingeübte Strategien der Deeskalation nur begrenzt, auch weil sich, zweitens, Rechtsextreme und Querdenker immer mehr vermischten. Mitte April erklärte der Berliner Verfassungsschutz, Teile der Querdenker-Bewegung zu beobachten.

Am 1. Mai könnte es für die Berliner Polizei aber auch aus ganz praktischen Gründen eng werden. Quer durch Deutschland wurden mehr Proteste als sonst angemeldet. Deshalb fallen womöglich einige Hundertschaften aus anderen Bundesländern aus, die traditionell in der Hauptstadt ausgeholfen hätten.

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