Putschversuch in der Türkei:Todesstrafe in der Türkei? In Europa läuten die Alarmglocken

  • In der Türkei wird nach dem versuchten Militärputsch die Wiedereinführung der Todesstrafe diskutiert.
  • Mehrere EU-Staaten warnen: Damit würden die Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Türkei "abgewürgt".
  • Experten halten die Wiedereinführung der Todesstrafe für wenig wahrscheinlich.

Von Lars Langenau

Es sind harte Aussagen, die nach dem gescheiterten Putsch aus der Türkei zu hören sind. Etwa die von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, dass der Putschversuch ein "Segen Gottes" sei, weil er die "vollständige Säuberung" des Militärs ermögliche. Oder folgende: "In allen Behörden des Staates wird der Säuberungsprozess von diesen Viren fortgesetzt. Denn dieser Körper, meine Brüder, hat Metastasen produziert. Leider haben sie wie ein Krebsvirus den ganzen Staat befallen."

Oder seine Äußerungen zu den Forderungen aus der Menge über die Todesstrafe: "In Demokratien kann man die Forderung des Volkes nicht ignorieren." Es sei dafür auch nicht nötig, sich für die Wiedereinführung "von irgendwoher eine Erlaubnis einzuholen", betonte der Präsident.

Das alles zeigt sehr deutlich Erdoğans Verständnis von Demokratie: Die Mehrheit regiert über die Minderheit. Die Minderheit hat sich in das zu fügen, was die Mehrheit will. Von Interessenausgleich, Checks and Balances oder der Suche nach Kompromissen ist da nicht die Rede.

Ministerpräsident Binali Yıldırım sekundiert seinem Chef. In einer Rede vor Demonstranten deutete auch er in der Nacht zum Montag an, dass die Todesstrafe in der Türkei wiedereingeführt werden könnte. Lautstarke Forderungen der Menge nach der Todesstrafe beantwortete er mit: "Wir haben eure Botschaft erhalten." Jetzt will die AKP-Führung Gespräche mit allen im Parlament vertretenen Parteien darüber führen. Einzig die prokurdische Oppositionspartei HDP erklärt bislang, sie werde keinerlei Vorschläge im Parlament für die Wiedereinführung der Todesstrafe unterstützen.

Die Todesstrafe wurde in der Türkei seit 1984 nicht mehr vollstreckt. Selbst die 1999 verhängte Todesstrafe von Staatsfeind Nummer eins, PKK-Chef Abdullah Öcalan, wurde 2002 in lebenslange Haft umgewandelt. Auch der im vergangenen Jahr verstorbene Generalstabschef Kenan Evren, der sich 1980 an die Macht putschte und sich zum Präsidenten machte, wurde bei seinem Prozess "nur" zu lebenslanger Haft verurteilt. Anfang des neuen Jahrtausends schaffte die Türkei im Zuge ihres Strebens nach einer EU-Mitgliedschaft die Todesstrafe ab.

In Europa läuten die Alarmglocken. Die Einführung der Todesstrafe in der Türkei wäre nach Ansicht der Bundesregierung das Aus für die türkischen EU-Beitrittsgespräche. "Deutschland und die EU haben eine klare Haltung: Wir lehnen die Todesstrafe kategorisch ab", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. "Die Einführung der Todesstrafe in der Türkei würde folglich das Ende der EU-Beitrittsverhandlungen bedeuten."

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier mahnte zuvor bereits rechtsstaatliche Grundsätze an. Bundestagspräsident Norbert Lammert warnte, dass jeder türkische Parlamentsabgeordnete wissen müsse, "dass die politische Instrumentalisierung der Justiz wie die Einführung der Todesstrafe das Ende der Beitrittsperspektive des Landes zur Europäischen Union bedeutet".

Österreichs Außenminister Sebastian Kurz forderte, Erdoğan Grenzen aufzuzeigen. "Klar ist für mich, dass der Putsch mit Todesopfern scharf zu verurteilen ist. Aber der Rechtsstaat ist zu wahren." Die Wiedereinführung der Todesstrafe sei "absolut inakzeptabel", so Kurz in der österreichischen Zeitung Kurier.

Frankreichs Außenminister Jean-Marc Ayrault sagte, der Putsch sei kein "Blankoscheck" für Erdoğan. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn warnte im ZDF: "Wenn die Todesstrafe in einem Beitrittsland eingeführt wird, dann sind die Beitrittsverhandlungen von diesem Land abgewürgt."

Der Generalsekretär des Europarates, Thorbjørn Jagland, sagte dem Tagesspiegel: "Kein Mitgliedsstaat des Europarates darf die Todesstrafe anwenden." Die Türkei habe die beiden Protokolle, mit der die Todesstrafe unter allen Umständen abgelehnt werde, ratifiziert. Die 47 Mitgliedstaaten des Europarates hatten 1983 entschieden, die Todesstrafe abzuschaffen und das Bekenntnis 2002 um den Zusatz "unter allen Umständen" ergänzt. Die Türkei trat dem Europarat bereits kurz nach seiner Gründung 1949 bei. Nur: Der Europarat ist nicht mehr als ein Debattenforum, das institutionell nicht mit der EU verbunden ist. Weit mehr Gewicht haben da die Äußerungen von Vertretern der EU.

An diesem Vertrag könnte Erdoğan abprallen

Erdoğans Vorgehen mache ihn sehr besorgt, sagte EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn in Brüssel. Offenbar seien Listen für Verhaftungen bereits vorbereitet gewesen. "Dass die Listen schon nach dem Ereignis verfügbar waren, weist darauf hin, dass es vorbereitet war und sie zu einem bestimmten Zeitpunkt genutzt werden sollten", sagte Hahn vor einem Treffen der EU-Außenminister. Auch die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini stellte klar: "Kein Land kann Mitgliedstaat der EU werden, wenn es die Todesstrafe einführt."

Kritik an Erdoğans Vorgehen kam auch aus dem Europaparlament: Die Türkei bleibe ein "wichtiger Partner", etwa im Wirtschaftsbereich und in der Flüchtlingskrise, erklärte der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion, Manfred Weber (CSU), auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Die Beziehungen zu Ankara müssten aber "jetzt auf den Prüfstand, bevor sie weiterentwickelt werden". Wenn Erdoğan die Situation ausnutze, "um weitere Verfassungsrechte einzuschränken, dann werden die Beitrittsverhandlungen schwierig bis unmöglich", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Elmar Brok (CDU), dem Handelsblatt.

Reine Rhetorik?

Allerdings hält der Göttinger Strafrechtler Kai Ambos die Wiedereinführung der Todesstrafe für wenig wahrscheinlich. Im Deutschlandradio Kultur sagte er, bei solchen Debatten handele es sich meistens um "reine Rhetorik". "Deshalb glaube ich auch, dass daraus nichts werden wird." Die Türkei müsse zu diesem Zweck erhebliche juristische Schritte einleiten, die das Land im europäischen Bereich und als Mitglied des Europarats noch weiter isolieren würden.

Ambos betonte die Verbindlichkeit der Zusatzprotokolle zur Europäischen Menschenrechtskonvention: "Von diesen Zusatzprotokollen kann man eigentlich gar nicht zurücktreten. Da müsste man schon von der Europäischen Menschenrechtskonvention als Ganzes zurücktreten." Es erscheine schwer vorstellbar, dass die Türkei sich dazu entschließen könnte. Der Stuttgarter Jurist und Experte für türkisches Recht, Christian Rumpf, untermauert diese Position im Gespräch mit der SZ und ergänzt, dass sich die Türkei in diesem Vertrag sogar dazu verpflichtet habe, die Verhängung der Todesstrafe "sogar in Kriegszeiten" zu verbieten.

Doch stoppt das Erdoğan und seine Gefolgsleute wirklich noch? Nach dem wiederholten Verzögern der seit 2005 laufenden Verhandlungen hat Erdoğan längst einen Wandel vollzogen und pocht nicht mehr auf einen EU-Beitritt. Die Mahnungen aus Brüssel und den europäischen Hauptstädten könnten sich als zahnlos herausstellen.

Es bleibt die Frage, wer hier mehr auf wen angewiesen ist. Schließlich hatte die Türkei der EU im März zugesichert, alle neu auf den griechischen Inseln ankommenden Flüchtlinge zurückzunehmen. Im Gegenzug stellte die EU der türkischen Regierung eine beschleunigte Aufhebung des Visa-Zwangs für türkische Staatsbürger in Aussicht. Ankara weigerte sich bereits vor dem Putsch, seine weit gefassten Terrorismusgesetze zu ändern, die Kritikern zufolge auch zum Vorgehen gegen Regierungskritiker genutzt werden.

Denkt Erdoğan wirklich, dass die Todesstrafe ein geeignetes Mittel ist, den gesellschaftlichen Frieden herzustellen? Laut dem türkischen Innenministerium wurden insgesamt 8777 Staatsbedienstete ihrer Posten enthoben, darunter 30 Gouverneure und 52 Inspekteure. Nach Angaben von Regierungschef Yıldırım wurden bislang 7543 Verdächtige festgenommen, darunter 6038 Soldaten, 100 Polizisten, 650 weitere Zivilisten sowie 755 Richter und Staatsanwälte.

Es scheint ein Staatsumbau im Gange zu sein, dessen Maßstab Außenstehende im Moment kaum begreifen können. Und anders als unter der Militärjunta von 1980 bis 1983 wird es, falls es doch dazu kommen sollte, kaum noch einen Richter geben, der mit Augenmaß das Verhängen der Todesstrafe vermeiden wird.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: