Putin vs. Medwedjew:Knirschen im russischen Machtzentrum

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Loyalität ist dem ehemaligen KGB-Offizier Putin wichtig. Dass der russische Präsident seinen Regierungschef nun öffentlich tadelt, ist deshalb ein Indiz dafür, dass Medwedjews Tage an Putins Seite gezählt sein könnten. Und es gibt weitere Risse in dem einst so harmonischen Bild.

Julian Hans

Wenn Wladimir Putin und Dmitrij Medwedjew je ein so harmonisches Tandem waren, wie es der Kreml über vier Jahre lang mit viel Aufwand inszeniert hat, dann ist das Tandem in den vergangenen Monaten zumindest stark aus dem Tritt geraten. Immer wieder ist in jüngster Zeit ein deutliches Knirschen aus dem Getriebe zu vernehmen, so auch am Dienstag wieder.

Ende der Harmonie? Das Tandem Putin und Medwedjew scheint nicht mehr zu funktionieren. (Foto: dpa)

In einer für ihn ungewöhnlichen Deutlichkeit tadelte Präsident Putin bei einem Treffen zur Haushaltsstrategie im Kurort Sotschi am Schwarzen Meer die Regierung seines Nachfolgers im Amt des Ministerpräsidenten. Putin beschuldigte das Kabinett, Anordnungen nicht befolgt zu haben, die er seit seiner Rückkehr in den Kreml im Mai erteilt hatte. Der auf drei Jahre angelegte Budgetentwurf berücksichtige nicht die Dekrete, die er seit Beginn seiner Präsidentschaft erlassen habe, sagte der 59-Jährige. "Wenn alles so im Plan bleibt, dann werden einige Punkte der Verordnungen nicht umgesetzt. Ich kann das bereits sehen. Aber sie müssen umgesetzt werden", erklärte Putin. Medwedjew selbst war auf der Strategietagung nicht anwesend, er befand sich bei einer Veranstaltung außerhalb von Moskau.

Will Putin Medwedjew fallen lassen?

Bemerkenswert ist diese Kritik vor allem deshalb, weil sie in aller Öffentlichkeit laut wurde. Normalerweise trägt Putin Meinungsdifferenzen mit seinen politischen Partnern ausschließlich hinter verschlossenen Türen aus. Loyalität ist für den ehemaligen KGB-Offizier eine zentrale Tugend, die er von seinen Verbündeten einfordert und gewöhnlich auch selbst ihnen gegenüber einhält. Dass er es in diesem Fall nicht tat, ist ein weiteres Indiz dafür, dass der mächtigste Mann im Staat sich darauf vorbereiten könnte, seinen einst getreuen Partner Medwedjew fallen zu lassen.

Bereits seit dem Ämtertausch von Putin und Medwedjew kamen Spekulationen auf, dass Putin Medwedjew als Regierungschef entlassen könnte. Und russische Medien zitierten jüngst immer wieder Quellen aus dem Zentrum der Macht, die berichteten, die Entscheidung, dass Medwedjew auf eine zweite Amtszeit als Präsident verzichtet und Putin damit den Vortritt lässt, sei doch nicht so einvernehmlich getroffen worden, wie das nach außen dargestellt wurde.

Kaum zurück im Amt, machte sich Putin daran, eine Reihe von Gesetzen wieder zu verschärfen, die unter Medwedjew liberalisiert oder sogar abgeschafft worden waren. Unter anderem wurde der Tatbestand der Verleumdung wieder in das russische Strafgesetzbuch eingeführt. Die Opposition befürchtet, dass er als Werkzeug dienen soll, um Kritik am Staat zu verfolgen. So könnte etwa die populäre Bezeichnung "Partei der Gauner und Diebe" für die Kremlpartei Einiges Russland künftig strafbar sein.

Putins anzügliche Anspielung auf Pussy Riot

Medwedjew seinerseits ging auf Distanz zu Putin, als er eine Freilassung der drei Punk-Aktivistinnen der Gruppe Pussy Riot forderte. Sie hätten durch die Untersuchungshaft schon genug für ihre Tat gebüßt, sagte er vor einer Woche und hob sich damit klar von Putin ab: Der hatte zu dem Urteil zu zwei Jahren Lager wegen einer Punk-Andacht in der Moskauer Christ-Erlöser-Kirche nur eine anzügliche Anspielung zu einer Gruppensex-Performance einer der verurteilten Frauen über die Lippen gebracht. Es sei "unproduktiv", wenn die Frauen noch mehr Zeit im Gefängnis verbrächten, sagte der Regierungschef im Fernsehen. Eine Bewährungsstrafe reiche aus.

Der härteste Angriff auf das Bündnis der beiden ersten Männer im Staat kam allerdings aus der Deckung. Anfang August, pünktlich zum Jahrestag des Fünf-Tage-Krieges mit Georgien 2008, war im Internet ein professionell produzierter Dokumentarfilm mit dem Titel "Der verlorene Tag" aufgetaucht. Darin warfen hohe russische Offiziere, unter ihnen auch Generäle, Medwedjew vor, zu Beginn des Krieges als Oberbefehlshaber Angriffe der Georgier nicht ernst genommen zu haben und zu zögerlich reagiert zu haben. Erst nach einer Intervention Putins sei der Marschbefehl gekommen. Der Regierungschef stand als Weichei da, dessen Unentschlossenheit russische Soldaten das Leben gekostet habe. Von der Runde ausgewählter Kreml-Korrespondenten zu dem Film befragt, dementierte Putin die Aussagen nicht.

Die Professionalität der Dokumentation, der Aufwand, der betrieben worden war, um mit Veteranen vor Ort zu sprechen, und die Tatsache, dass Generäle offen Kritik am Regierungschef äußerten, legten russische Beobachter als Beleg aus, dass der Film nicht ohne Zustimmung des Kreml entstanden sein kann. Zwar hat der russische Präsident die Macht, den Regierungschef zu entlassen, aber ein offener Konflikt zwischen den einst engen Verbündeten würde auch ihn beschädigen. Doch wenn einer auf dem Tandem geschwächt ist, muss er absteigen.

© SZ vom 20.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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