Verfassungsänderung in Russland:"Putin weiß, dass sein Rücktritt für ihn selbst gut ist"

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Wie denn?

Nun, davon haben wir bei seiner Rede zur Lage der Nation ja schon einen Vorgeschmack bekommen. Da kündigte er zahlreiche soziale Wohltaten an, unter anderem die Einführung eines Mindestlohns. "Einiges Russland" wird sich als die einzige politische Kraft präsentieren, die den Wohlfahrtsstaat aufrechterhalten kann und dem Stimmvolk klarmachen, dass es keine andere Wahl hat, als "Einiges Russland" zu wählen, um an den Unterstützungsleistungen partizipieren zu können.

Gibt es weitere Mittel und Wege der informellen Einflussnahme für Putin?

Ja, er wird seinem Nachfolger im Präsidentenamt personelle Zugeständnisse abverlangen. Ich gehe davon aus, dass wichtige Positionen der Machtvertikale für einen vereinbarten Zeitraum mit seinen Vertrauensleuten besetzt werden. Das hat auch Boris Jelzin schon so gehandhabt, als er die Macht an Putin abgab. Da gab es die Vereinbarung zwischen den beiden, dass Putin Michail Kassjanow während seiner ersten Amtszeit zum Ministerpräsidenten zu bestimmen hat. Solche Absprachen wird es auch zwischen Putin und seinem Nachfolger geben. Putin wird besonders darauf achten, wer nach seinem Abtritt zum Ministerpräsidenten und Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB bestellt wird, aber auch bei anderen Posten wird er mitreden.

Werden die informellen Möglichkeiten der Einflussnahme für Putin wichtiger sein als das formale Amt des Vorsitzenden des aufgewerteten Staatsrates, wenn er es denn antritt?

Das formale Amt des Staatsratsvorsitzenden in Kombination mit seinen Optionen der informellen Machtausübung gewährt Putin die Möglichkeit der Mitsprache. Doch er wird kein zweites Machtzentrum neben dem Präsidenten bilden. Er betont immer wieder, dass Russland einen starken Präsidenten braucht, und dafür sprechen ja auch die vorgeschlagenen Verfassungsänderungen, die dem Präsidenten künftig zum Teil noch mehr Macht geben sollen. So wird zum Beispiel sein Vetorecht gegenüber der Duma bei verabschiedeten Gesetzen sogar gestärkt werden.

Und was ist mit den zwei Amtszeiten, die der russische Präsident künftig nur noch maximal bekleiden kann? Diese vorgeschlagene Verfassungsänderung ist doch eine Schwächung des Amtes.

Die Putin in diesem speziellen Fall aber ganz bewusst anstrebt. Denn er weiß aus eigener Erfahrung, wie groß die Versuchung ist, als russischer Präsident einfach für Jahrzehnte im Amt zu bleiben. Er erkennt das Risiko, dass ein Nachfolger nicht die Kraft haben wird, zurückzutreten, so wie er es nun selbst tun will. Und das ist ja eine ganz realistische Einschätzung: In Autokratien bleiben Staatsführer oft sehr lange an der Macht, vor allem, wenn sie wie in Russland als erfolgreich wahrgenommen werden.

Aber kann sich Putin einen Rückzug von der Macht überhaupt leisten? Seine persönliche Sicherheit wäre womöglich gefährdet. Schließlich hat er sich mit seinem teilweise brutalen Vorgehen zum Beispiel gegen verschiedene Oligarchen viele Feinde gemacht.

Ich glaube nicht, dass Putin deswegen im Augenblick in irgendeiner Weise beunruhigt ist. Das wäre nur der Fall, wenn er befürchten müsste, dass das von ihm austarierte politische System Russlands nach seinem Abtritt instabil würde. Doch mit dem loyalen Nachfolger, den er ins Präsidentenamt hieven, und den vielen Gefolgsleuten, die er in den entscheidenden Positionen installieren wird, ist das überhaupt nicht zu erkennen. Putin fürchtet sich vielmehr vor einer "Orangenen Revolution" (Volksaufstand in der Ukraine im Jahr 2004 nach einer offensichtlich manipulierten Präsidentschaftswahl; Anm. d. Red.) als um seine persönliche Sicherheit.

Aber ist es denn ohne Amt für ihn wirklich gewährleistet, dass er eines Tages nicht vor Gericht landet. In seinen langen Regierungsjahren sind etliche Altlasten zusammengekommen, die ihm selbst nach russischem Recht als Straftaten ausgelegt werden können.

Für ihn wäre es auf Dauer viel gefährlicher, nicht abzutreten. Und er weiß das ganz genau. Er ist in guter gesundheitlicher Verfassung und wäre dem Amt weiterhin gewachsen. Doch er will es niederlegen. Nicht etwa, weil er ein so vorbildlicher Demokrat wäre, sondern weil er genau um die Gefahr der Verkrustung der Machtstrukturen weiß, wenn er ewig im Kreml sitzen bliebe, und ihm dadurch eines Tages möglicherweise die Macht des Handelns genommen würde. Die Geschichte ist voll vom unrühmlichen Ende langanhaltender Autokratien, und Putin war geschockt von der grausamen Ermordung Muammar al-Gaddafis (Der libysche Diktator fiel 2011 während des Bürgerkrieges in seinem Land aufständischen Kräften in die Hände und wurde vor seinem Tod misshandelt; Anm. d. Red.). Putin weiß, dass sein Rücktritt für ihn selbst gut ist.

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