Als Russlands Präsident Wladimir Putin bei seiner Rede zur Lage der Nation am 15. Januar Verfassungsänderungen ankündigte, deuteten viele Beobachter dies als den Versuch des 67-Jährigen, die Macht über das Ende seiner laufenden Amtszeit bis 2024 zu behalten. Dafür spricht, dass die Verfassungsänderungen seither rasend schnell auf den Weg gebracht wurden. Schon am morgigen Dienstag sollten sie in der Duma in zweiter Lesung verabschiedet werden. Nun können doch noch bis Ende der Woche Änderungsvorschläge eingereicht werden. Die Politologin Tatjana Stanowaja vom Thinktank Carnegie Moscow Center und Gründerin der Beratungsfirma R.Politik glaubt allerdings, dass die vorgeschlagenen Verfassungsänderungen auf einen langsamen und sorgfältig vorbereiteten Rückzug Putins aus der Politik schließen lassen.
SZ: Viele Beobachter gehen davon aus, dass die Verfassungsänderungen, die Russlands Präsident Putin vorgeschlagen hat, dazu dienen sollen, ihn nach dem Ablauf seiner Amtszeit im Jahr 2024 an der Macht zu halten. Wie aber genau könnte er das bewerkstelligen? Sehen Sie da einen Weg?
Tatjana Stanowaja: Einen solchen Weg gibt es nicht: Putin wird die Macht des Staatsführers nicht in den Händen halten können, nachdem er als Präsident abgetreten ist. Er müsste ja auch gar nicht abdanken. Es wäre ein Leichtes für ihn, den einen Verfassungsartikel zu ändern, der die Anzahl der Amtszeiten des Präsidenten begrenzt. Dann könnte er so lange im Amt bleiben, wie er will. Aber das hat er offensichtlich nicht vor.
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Worauf will er dann hinaus?
Im Augenblick erscheint es mir am wahrscheinlichsten zu sein, dass er Vorsitzender des Staatsrates wird, der ja zu einem Gremium mit Verfassungsrang aufgewertet werden soll. Allerdings bin ich an dem Punkt mit meiner Prognose vorsichtig, da Putin immer für Überraschungen gut ist. Es könnte also auch anders kommen. Doch nehmen wir einmal an, er übernimmt tatsächlich den Vorsitz im Staatsrat, dann wird er rein formal nicht mehr an den Hebeln der Macht sitzen. Doch er wird über informelle Wege weiterhin Einfluss ausüben können.
Wie könnte er das machen?
Zunächst einmal kann er sich auf seine Zustimmungswerte verlassen. Die sind zwar von ihren Höchstständen von mehr als 80 Prozent im Jahr 2015 auf mittlerweile etwa 65 Prozent deutlich gefallen, aber im internationalen Vergleich immer noch sehr hoch. Das heißt: Es wird einem künftigen Präsidenten praktisch unmöglich sein, ohne die öffentliche Unterstützung Putins gewählt zu werden. Und Putin wird sich wiederum nur für jemanden einsetzen, auf dessen unbedingte Loyalität er sich verlassen kann.
Ein solcher Kandidat war Dmitrij Medwedjew ja auch, als er für Putin nach dessen beiden ersten Amtszeiten 2008 als Präsident einsprang. Doch war er nicht so streng, wie es sich Putin erhofft hatte.
Putin hat aus dieser Erfahrung gelernt. Er weiß inzwischen genauer, wie er wem genau vertrauen kann, und darüber hinaus wird er weitere informelle Möglichkeiten der Einflussnahme aus seiner langen Erfahrung im Machtapparat gezielter einsetzen können als 2008. Ich halte es zum Beispiel für sehr wahrscheinlich, dass er nach seinem Rücktritt vom Präsidentenamt wieder die Führung der größten russischen Volkspartei "Einiges Russland" übernehmen wird, so wie er das auch schon 2008 gemacht hat - und dass er der Partei damit vielleicht sogar eher helfen kann als damals.
Tatiana Stanowaja Die Moskauer Politologin Tatiana Stanowaja glaubt, dass es Russlands Präsident Wladimir Putin mehr um die Stabilität des jetzigen Systems geht als um seine eigene Person.
(Foto: R.Politik)Ist "Einiges Russland" beim Volk inzwischen nicht diskreditiert, weil die Partei als korrupt gilt? Bei den Regionalwahlen im vergangenen Sommer haben deswegen viele Kandidaten der Partei so getan als träten sie als unabhängige Bewerber an.
Natürlich hat die Partei etwas an Zustimmung verloren. Mit einem Anteil von 30 Prozent beim Wahlvolk ist sie aber noch immer mit Abstand die mächtigste politische Organisation Russlands. Und eigenartiger Weise haben die Parteien der "systemischen Opposition" (Parteien, die zugelassen sind, um mehr oder weniger Opposition zu spielen; Anm. d. Red.) von den Stimmenverlusten nicht profitieren können, die "Einiges Russland" erlitten hat. Und die echten Oppositionsparteien werden nicht zugelassen. Das heißt: "Einiges Russland" wird weiterhin die bestimmende Partei Russlands sein, zumal Putin ganz genau weiß, wie er ihre Beliebtheit gezielt steigern kann.