Verfassungsänderung in Russland:"Putin wird die Macht des Staatsführers nicht in den Händen halten können"

Verfassungsänderung in Russland: "In guter gesundheitlicher Verfassung und dem Amt weiterhin gewachsen": Trotzdem glaubt die Politologin Tatjana Stanowaja, dass Russlands Präsident Wladimir Putin realistisch genug ist, einem Nachfolger den Großteil seiner Macht zu übergeben

"In guter gesundheitlicher Verfassung und dem Amt weiterhin gewachsen": Trotzdem glaubt die Politologin Tatjana Stanowaja, dass Russlands Präsident Wladimir Putin realistisch genug ist, einem Nachfolger den Großteil seiner Macht zu übergeben

(Foto: Aleksey Nikolskyi/AP)

Russlands Präsident lässt die politischen Grundregeln seines Landes ändern - doch nicht, weil er ewig regieren will. Im Gegenteil, sagt die Politologin Tatjana Stanowaja. Er wisse, welche Gefahren das für ihn bergen könnte.

Interview von Paul Katzenberger, Moskau

Als Russlands Präsident Wladimir Putin bei seiner Rede zur Lage der Nation am 15. Januar Verfassungsänderungen ankündigte, deuteten viele Beobachter dies als den Versuch des 67-Jährigen, die Macht über das Ende seiner laufenden Amtszeit bis 2024 zu behalten. Dafür spricht, dass die Verfassungsänderungen seither rasend schnell auf den Weg gebracht wurden. Schon am morgigen Dienstag sollten sie in der Duma in zweiter Lesung verabschiedet werden. Nun können doch noch bis Ende der Woche Änderungsvorschläge eingereicht werden. Die Politologin Tatjana Stanowaja vom Thinktank Carnegie Moscow Center und Gründerin der Beratungsfirma R.Politik glaubt allerdings, dass die vorgeschlagenen Verfassungsänderungen auf einen langsamen und sorgfältig vorbereiteten Rückzug Putins aus der Politik schließen lassen.

SZ: Viele Beobachter gehen davon aus, dass die Verfassungsänderungen, die Russlands Präsident Putin vorgeschlagen hat, dazu dienen sollen, ihn nach dem Ablauf seiner Amtszeit im Jahr 2024 an der Macht zu halten. Wie aber genau könnte er das bewerkstelligen? Sehen Sie da einen Weg?

Tatjana Stanowaja: Einen solchen Weg gibt es nicht: Putin wird die Macht des Staatsführers nicht in den Händen halten können, nachdem er als Präsident abgetreten ist. Er müsste ja auch gar nicht abdanken. Es wäre ein Leichtes für ihn, den einen Verfassungsartikel zu ändern, der die Anzahl der Amtszeiten des Präsidenten begrenzt. Dann könnte er so lange im Amt bleiben, wie er will. Aber das hat er offensichtlich nicht vor.

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Worauf will er dann hinaus?

Im Augenblick erscheint es mir am wahrscheinlichsten zu sein, dass er Vorsitzender des Staatsrates wird, der ja zu einem Gremium mit Verfassungsrang aufgewertet werden soll. Allerdings bin ich an dem Punkt mit meiner Prognose vorsichtig, da Putin immer für Überraschungen gut ist. Es könnte also auch anders kommen. Doch nehmen wir einmal an, er übernimmt tatsächlich den Vorsitz im Staatsrat, dann wird er rein formal nicht mehr an den Hebeln der Macht sitzen. Doch er wird über informelle Wege weiterhin Einfluss ausüben können.

Wie könnte er das machen?

Zunächst einmal kann er sich auf seine Zustimmungswerte verlassen. Die sind zwar von ihren Höchstständen von mehr als 80 Prozent im Jahr 2015 auf mittlerweile etwa 65 Prozent deutlich gefallen, aber im internationalen Vergleich immer noch sehr hoch. Das heißt: Es wird einem künftigen Präsidenten praktisch unmöglich sein, ohne die öffentliche Unterstützung Putins gewählt zu werden. Und Putin wird sich wiederum nur für jemanden einsetzen, auf dessen unbedingte Loyalität er sich verlassen kann.

Ein solcher Kandidat war Dmitrij Medwedjew ja auch, als er für Putin nach dessen beiden ersten Amtszeiten 2008 als Präsident einsprang. Doch war er nicht so streng, wie es sich Putin erhofft hatte.

Putin hat aus dieser Erfahrung gelernt. Er weiß inzwischen genauer, wie er wem genau vertrauen kann, und darüber hinaus wird er weitere informelle Möglichkeiten der Einflussnahme aus seiner langen Erfahrung im Machtapparat gezielter einsetzen können als 2008. Ich halte es zum Beispiel für sehr wahrscheinlich, dass er nach seinem Rücktritt vom Präsidentenamt wieder die Führung der größten russischen Volkspartei "Einiges Russland" übernehmen wird, so wie er das auch schon 2008 gemacht hat - und dass er der Partei damit vielleicht sogar eher helfen kann als damals.

Tatiana Stanowaja

Tatiana Stanowaja Die Moskauer Politologin Tatiana Stanowaja glaubt, dass es Russlands Präsident Wladimir Putin mehr um die Stabilität des jetzigen Systems geht als um seine eigene Person.

(Foto: R.Politik)

Ist "Einiges Russland" beim Volk inzwischen nicht diskreditiert, weil die Partei als korrupt gilt? Bei den Regionalwahlen im vergangenen Sommer haben deswegen viele Kandidaten der Partei so getan als träten sie als unabhängige Bewerber an.

Natürlich hat die Partei etwas an Zustimmung verloren. Mit einem Anteil von 30 Prozent beim Wahlvolk ist sie aber noch immer mit Abstand die mächtigste politische Organisation Russlands. Und eigenartiger Weise haben die Parteien der "systemischen Opposition" (Parteien, die zugelassen sind, um mehr oder weniger Opposition zu spielen; Anm. d. Red.) von den Stimmenverlusten nicht profitieren können, die "Einiges Russland" erlitten hat. Und die echten Oppositionsparteien werden nicht zugelassen. Das heißt: "Einiges Russland" wird weiterhin die bestimmende Partei Russlands sein, zumal Putin ganz genau weiß, wie er ihre Beliebtheit gezielt steigern kann.

"Putin weiß, dass sein Rücktritt für ihn selbst gut ist"

Wie denn?

Nun, davon haben wir bei seiner Rede zur Lage der Nation ja schon einen Vorgeschmack bekommen. Da kündigte er zahlreiche soziale Wohltaten an, unter anderem die Einführung eines Mindestlohns. "Einiges Russland" wird sich als die einzige politische Kraft präsentieren, die den Wohlfahrtsstaat aufrechterhalten kann und dem Stimmvolk klarmachen, dass es keine andere Wahl hat, als "Einiges Russland" zu wählen, um an den Unterstützungsleistungen partizipieren zu können.

Gibt es weitere Mittel und Wege der informellen Einflussnahme für Putin?

Ja, er wird seinem Nachfolger im Präsidentenamt personelle Zugeständnisse abverlangen. Ich gehe davon aus, dass wichtige Positionen der Machtvertikale für einen vereinbarten Zeitraum mit seinen Vertrauensleuten besetzt werden. Das hat auch Boris Jelzin schon so gehandhabt, als er die Macht an Putin abgab. Da gab es die Vereinbarung zwischen den beiden, dass Putin Michail Kassjanow während seiner ersten Amtszeit zum Ministerpräsidenten zu bestimmen hat. Solche Absprachen wird es auch zwischen Putin und seinem Nachfolger geben. Putin wird besonders darauf achten, wer nach seinem Abtritt zum Ministerpräsidenten und Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB bestellt wird, aber auch bei anderen Posten wird er mitreden.

Werden die informellen Möglichkeiten der Einflussnahme für Putin wichtiger sein als das formale Amt des Vorsitzenden des aufgewerteten Staatsrates, wenn er es denn antritt?

Das formale Amt des Staatsratsvorsitzenden in Kombination mit seinen Optionen der informellen Machtausübung gewährt Putin die Möglichkeit der Mitsprache. Doch er wird kein zweites Machtzentrum neben dem Präsidenten bilden. Er betont immer wieder, dass Russland einen starken Präsidenten braucht, und dafür sprechen ja auch die vorgeschlagenen Verfassungsänderungen, die dem Präsidenten künftig zum Teil noch mehr Macht geben sollen. So wird zum Beispiel sein Vetorecht gegenüber der Duma bei verabschiedeten Gesetzen sogar gestärkt werden.

Und was ist mit den zwei Amtszeiten, die der russische Präsident künftig nur noch maximal bekleiden kann? Diese vorgeschlagene Verfassungsänderung ist doch eine Schwächung des Amtes.

Die Putin in diesem speziellen Fall aber ganz bewusst anstrebt. Denn er weiß aus eigener Erfahrung, wie groß die Versuchung ist, als russischer Präsident einfach für Jahrzehnte im Amt zu bleiben. Er erkennt das Risiko, dass ein Nachfolger nicht die Kraft haben wird, zurückzutreten, so wie er es nun selbst tun will. Und das ist ja eine ganz realistische Einschätzung: In Autokratien bleiben Staatsführer oft sehr lange an der Macht, vor allem, wenn sie wie in Russland als erfolgreich wahrgenommen werden.

Aber kann sich Putin einen Rückzug von der Macht überhaupt leisten? Seine persönliche Sicherheit wäre womöglich gefährdet. Schließlich hat er sich mit seinem teilweise brutalen Vorgehen zum Beispiel gegen verschiedene Oligarchen viele Feinde gemacht.

Ich glaube nicht, dass Putin deswegen im Augenblick in irgendeiner Weise beunruhigt ist. Das wäre nur der Fall, wenn er befürchten müsste, dass das von ihm austarierte politische System Russlands nach seinem Abtritt instabil würde. Doch mit dem loyalen Nachfolger, den er ins Präsidentenamt hieven, und den vielen Gefolgsleuten, die er in den entscheidenden Positionen installieren wird, ist das überhaupt nicht zu erkennen. Putin fürchtet sich vielmehr vor einer "Orangenen Revolution" (Volksaufstand in der Ukraine im Jahr 2004 nach einer offensichtlich manipulierten Präsidentschaftswahl; Anm. d. Red.) als um seine persönliche Sicherheit.

Aber ist es denn ohne Amt für ihn wirklich gewährleistet, dass er eines Tages nicht vor Gericht landet. In seinen langen Regierungsjahren sind etliche Altlasten zusammengekommen, die ihm selbst nach russischem Recht als Straftaten ausgelegt werden können.

Für ihn wäre es auf Dauer viel gefährlicher, nicht abzutreten. Und er weiß das ganz genau. Er ist in guter gesundheitlicher Verfassung und wäre dem Amt weiterhin gewachsen. Doch er will es niederlegen. Nicht etwa, weil er ein so vorbildlicher Demokrat wäre, sondern weil er genau um die Gefahr der Verkrustung der Machtstrukturen weiß, wenn er ewig im Kreml sitzen bliebe, und ihm dadurch eines Tages möglicherweise die Macht des Handelns genommen würde. Die Geschichte ist voll vom unrühmlichen Ende langanhaltender Autokratien, und Putin war geschockt von der grausamen Ermordung Muammar al-Gaddafis (Der libysche Diktator fiel 2011 während des Bürgerkrieges in seinem Land aufständischen Kräften in die Hände und wurde vor seinem Tod misshandelt; Anm. d. Red.). Putin weiß, dass sein Rücktritt für ihn selbst gut ist.

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