Putin und Obama bei UN-Gipfel:90 Minuten Hoffnung

70th session of the UN General Assembly

Die Distanz ist mit Händen zu greifen: Wladimir Putin und Barack Obama im UN-Hauptquartier in New York

(Foto: dpa)

Immerhin, sie reden miteinander. Von einer Einigung über das Vorgehen in Syrien und die Zukunft von Präsident Assad sind Obama und Putin aber weit entfernt. Jetzt geht es um die Deutungshoheit.

Von Matthias Kolb

Wirklich nah sind sie sich nicht gekommen, an diesem Tag in New York. Einige Sekunden lang posieren Barack Obama und Wladimir Putin vor den Flaggen ihrer Länder für die Fotografen, kurz schütteln sich die beiden Präsidenten die Hand. Zuvor hatten sie immerhin an einem Tisch gesessen - getrennt nur durch den Stuhl des Gastgebers Ban Ki Moon. Hier, beim Mittagessen des UN-Generalsekretärs, entsteht jenes Bild, das um die Welt geht: Die beiden Rivalen, die sich persönlich nicht leiden können, erheben die Gläser und stoßen kurz an.

Ein Treffen in einem wirklich persönlichen, gar intimen Rahmen wäre auch eine große Überraschung gewesen, denn das gegenseitige Misstrauen ist unübersehbar - und weder Putin noch Obama verschwenden Energie darauf, dies zu überspielen. "Sie sind sehr unterschiedlich", analysiert Michael McFaul von der Stanford University: "Obama ist analytisch, Putin ist emotional." McFaul muss es wissen, da er beide Akteure gut kennt: Von 2012 bis 2014 war er US-Botschafter in Moskau.

Insofern erscheint ein anderes Bild passender, um die Stimmung zum Auftakt des UN-Gipfels einzufangen: Putin und Obama sitzen sich in einem Konferenzraum gegenüber, jeder ist links und rechts von drei Beratern umgeben. Beide haben ihre Außenminister sowie Sicherheitsexperten mitgebracht, um über die Weltlage zu debattieren. Zunächst wird 45 Minuten über die Lage in der Ukraine geredet, danach dreht sich alles 45 Minuten um den Bürgerkrieg in Syrien, heißt es später.

Putin meets Obama in New York

Umgeben von jeweils sechs Beratern diskutierten Kremlchef Putin und US-Präsident Obama in New York über die Lage in der Ukraine und in Syrien.

(Foto: REUTERS)

In seiner anschließenden Pressekonferenz (Transkript hier) spricht Wladimir Putin von einem "sehr nützlichen und sehr ehrlichen Treffen". Beide Seiten hätten, "so überraschend das klingen mag", in der Beurteilung der Konflikte in der Ukraine und Syrien Übereinstimmungen entdeckt, so Putin. Er hoffe, dass man auf dieser Grundlage weiter diskutieren werde.

Gespräch war "ehrlich", "konstruktiv" und "geschäftsmäßig"

Ähnliches lässt auch Obama verbreiten. Es habe ein "geschäftsmäßiges Hin und Her" gegeben, viele Themen seien "konzentriert" und "produktiv" diskutiert worden, heißt es aus dem Umfeld des Weißen Hauses. Die Verteidigungsexperten sollten eng kommunizieren, um "militärische Zwischenfälle" beider Staaten in Nahost zu vermeiden; zudem würden Diplomaten die Gespräche fortsetzen. Hinter diesen Aussagen verbirgt sich die Einsicht der Staatschefs, dass sich Moskau und Washington gegenseitig brauchen, um ihre Ziele in Syrien zu erreichen - allen voran soll der Vormarsch der Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) gestoppt werden.

Obama will zudem verhindern, dass sich die Zahlen der Toten (mehr als 250 000) und der Vertriebenen (mindestens zwölf Millionen) infolge des Bürgerkriegs noch weiter erhöhen: Die vielen Flüchtlinge stellen die europäischen Verbündeten vor große Herausforderungen, und zugleich will der US-Präsident jene Kritiker Lügen strafen, die ihm "eklatantes Versagen" in der Nahost-Politik vorwerfen (exemplarisch dieser Kommentar des Economist).

Putin ist vor allem daran interessiert, dass der syrische Staat mitsamt seinen Institutionen nicht völlig kollabiert - anders als Libyen und Irak nach den von ihm scharf kritisierten Militärinterventionen des Westens. Um einen halbwegs geordneten Übergang zu organisieren, will Moskau den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad so lange an der Macht halten, bis Regierung und Rebellen sich auf Friedensgespräche einlassen.

Wie eine Lösung über die Zukunft von Assad aussehen könnte

Wie unterschiedlich beide Staatschefs den syrischen Machthaber beurteilen, hatten die jeweiligen Reden vor der UN-Generalversammlung offenbart, mit denen diese Woche der Diplomatie begonnen hatte. Obama bezeichnete Assad als "Tyrann", während ihn Putin als "tapferen Kämpfer" gegen den IS feierte, mit dem der Westen unbedingt zusammenarbeiten müsse, um die Terroristen zu besiegen.

Das klingt unvereinbar, doch bei gutem Willen und der nötigen Flexibilität gibt es genug Spielraum für eine Einigung. Gerade in diesen Tagen geht es um die Deutungshoheit. Denn als erfahrene Politiker bedienen beide ihr Publikum und wollen den Eindruck vermitteln, die Diskussionen zu steuern und nicht nur zu reagieren.

Also verdammt Obama den "Tyrannen", der Fassbomben auf "unschuldige Kinder" werfen lässt, und erinnert daran, dass Assad 2011 friedliche Demonstrationen niederschlagen ließ. Keine Fassbomben mehr und zudem Sicherheitszonen in Syrien - diese Bedingungen scheinen für Washington gesetzt.

Dass Putin sich wiederum die Chance nicht nehmen lässt, den Erzrivalen USA auf großer Bühne zu attackieren und für das Chaos in Nahost mitverantwortlich zu machen, überrascht nicht. Der Kremlchef genießt es, mit der verstärkten Militärpräsenz in Syrien zu zeigen, dass Russland eben keine "Regionalmacht" ist, wie Obama einmal spottete.

Anlass zu vorsichtigem Optimismus

Dass beide eindeutige und unumkehrbare Aussagen über Assad vermieden haben, die weitere Gespräche unmöglich machen, befeuert den vorsichtigen Optimismus. Exemplarisch sind die Aussagen von Wolfgang Ischinger, dem ehemaligen Staatssekretär im Auswärtigen Amt und heutigen Chef der Münchner Sicherheitskonferenz. Er bewertet im Deutschlandfunk allein die Tatsache, dass ein Dialog wieder stattfindet, als positiv.

Ischinger hält es für "nicht ausgeschlossen", dass sich beide Seiten einigen, wie man mit Syriens Machthaber umgehen wolle. Womöglich müsse der Westen zunächst "die Kröte des Kooperierens oder des Duldens des Assad-Regimes" schlucken, wenn im Gegenzug Putin einwilligt, dass Assad an einem wirklichen politischen Neustart nicht teilhaben kann, sondern womöglich ins russische Exil muss.

Die kommenden Wochen werden zeigen, ob es zu dieser oder einer ähnlichen Lösung kommen kann. Hier wartet extrem viel Detailarbeit auf die Experten und Diplomaten - und auch auf die Chefs, die versuchen müssen, sich zumindest minimal zu vertrauen. Für Ex-Botschafter Michael McFaul steht fest, dass sich hier vor allem Putin bewegen muss: Der Russe stand wieder mal einige Tage im Zentrum der Weltöffentlichkeit und kann sich über diesen PR-Erfolg freuen. Doch auch er wird bereit sein müssen, noch mehr auf die USA und den Westen zuzugehen. Bisher sei das noch nicht geschehen.

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