Putin und Merkel:Das Paar, das sich nicht traut

Putin und Merkel: Die Macht des Trennenden: Russlands Präsident Putin verlässt das Gipfeltreffen als einer der Ersten, Kanzlerin Merkel entsteigt ihrer Maschine in Brisbane.

Die Macht des Trennenden: Russlands Präsident Putin verlässt das Gipfeltreffen als einer der Ersten, Kanzlerin Merkel entsteigt ihrer Maschine in Brisbane.

(Foto: dpa, AFP)

Sie kennen sich seit langem und reden Klartext miteinander - und doch scheint Kanzlerin Merkel über Putin inzwischen verärgert zu sein. Auch weil unklar bleibt: Was will der russische Präsident eigentlich erreichen?

Von Nico Fried, Brisbane

Weit über 20 000 Kilometer hat Angela Merkel in den vergangenen Tagen zurückgelegt. Sie ist ans andere Ende der Welt geflogen, hat am G-20-Gipfel zu Fragen der Weltwirtschaft teilgenommen, und am Sonntag ist sie in Sydney eingetroffen. Am Abend fand dort mit dem australischen Premier Tony Abbott eine Pressekonferenz statt. Doch auch hier kommen wieder Fragen zur Ukraine. Wo immer Merkel erscheint, diese Krise ist immer schon da.

Seit Februar bemühen sich Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier um Entspannung. 36-mal hat die Kanzlerin seit Beginn des Konflikts mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefoniert, den man in Berlin für den Hauptverantwortlichen hält. Hinzu kamen mehr als acht Stunden in drei persönlichen Treffen - zuletzt in der Nacht von Samstag auf Sonntag in Brisbane. Aber ein Ende ist nicht in Sicht. Im Gegenteil.

Die Kanzlerin wirkt in diesen Tagen ernüchtert, bisweilen geradezu verärgert. Die Krise, die anfangs wie eine Chance für ein verstärktes Engagement Deutschlands aussah, hat sich zu einem langwierigen Härtetest entwickelt, der Kräfte bindet und weit über die Grenzen der Ukraine hinaus Schaden anrichtet, zum Beispiel in der Weltwirtschaft. "Es ist ja unübersehbar", klagte Merkel am Rande des G-20-Gipfels in Brisbane, "dass diese geopolitischen Spannungen, zu denen auch das Verhältnis zu Russland gehört, nicht gerade wachstumsfördernd sind".

Putins Äußerungen werden im Kanzleramt mit verschärftem Interesse verfolgt

Mehr als drei Stunden saß Merkel nach einem langen Gipfel-Tag in Brisbane mit Putin zusammen. Das Treffen im achten Stock des Hotels, in dem die russische Delegation abgestiegen war, dauerte länger als geplant, sodass Putins nächster Gast, der neue EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der gegen Mitternacht eintraf, einfach mit dazugebeten wurde. Juncker und sie hätten ja "keine Geheimnisse voreinander", sagt Merkel bei ihrer Pressekonferenz am Tag danach in Sydney.

Das gilt in gewisser Weise auch für Merkel und Putin, die sich seit mehr als zehn Jahren kennen und nach allem, was man weiß, miteinander Klartext reden. Gleichwohl ist ein großes Problem aus deutscher Sicht, dass nicht klar wird, was Putin eigentlich erreichen will.

Mit verschärftem Interesse hat man im Kanzleramt Äußerungen Putins studiert, die er am 25. Oktober vor internationalem Publikum in Sotschi machte. Dort hielt er den USA vor, in Ländern Osteuropas Revolutionen zu initiieren, gegenüber anderen Regierungen aber nach der altrömischen Redensart zu verfahren: Quod licet Jovi, non licet bovi - was Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt. Der russische Bär wiederum, so Putin in Sotschi weiter, werde "niemanden um Erlaubnis bitten". Der Bär gelte in Russland als Herr der Taiga. "Der Bär hat nicht vor, und das weiß ich absolut sicher, in andere Klimazonen zu ziehen. Er fühlt sich dort unwohl. Doch seine Taiga wird der Bär an niemanden abtreten, das sollte jedem hier klar sein."

Der zentrale Punkt ist Putins Umgang mit Ländern wie der Ukraine

In Berlin hat man diese Worte als Bekenntnis Putins zu einem Denken in Einflusszonen gelesen, und grübelt seither darüber nach, was das für jene Staaten an der russischen Peripherie bedeutet, die sich auf die Europäische Union zubewegen wollen. In Putins Bildsprache lautet die Frage, die Merkel umtreibt: Wie weit reicht die Taiga des Bären? Vor dem Treffen mit dem russischen Präsidenten in Brisbane formulierte die Kanzlerin das nüchterner: Der zentrale Punkt sei der künftige Umgang Putins mit Ländern wie der Ukraine, "aber ich kann auch Moldawien hinzufügen, ich kann auch Georgien hinzufügen".

Für Merkel, bekennende Anhängerin einer Schritt-für-Schritt-Politik, ist die Situation in der Ukraine aber nicht nur wegen der Unklarheit über Putins Absichten und der anhaltenden Kämpfe unerfreulich, sondern auch, weil es derzeit kaum konkrete Ziele gibt, auf die man hinarbeiten könnte. Einige Monate lang war das anders: Erst ging es darum, in der Ukraine Präsidentschaftswahlen abzuhalten, was entgegen verbreiteter Skepsis am Ende gelang. Dann musste die Frage der Gasversorgung und der ausstehenden Zahlungen geklärt werden. Nach langen Verhandlungen einigten sich Kiew und Moskau.

Eine umfassende Mission zur Überwachung der Grenze mit Drohnen hingegen kommt seit Wochen wegen immer neuer Hindernisse nicht zustande. Dieses einstweilige Scheitern steht symbolisch dafür, dass die Diplomatie mittlerweile auf der Stelle tritt. Die mangelnde Umsetzung des Minsker Abkommens über einen Waffenstillstand und stabile Grenzen sorgen für fortwährende Unruhe, die auch den Reformprozess in der Ukraine behindert. Medial viel beachtete Aktionen Putins wie die Entsendung von Kriegsschiffen in den Pazifik während des G-20-Gipfels interpretiert die Kanzlerin hingegen eher als Ablenkungsmanöver Putins von der Lage im Osten der Ukraine.

Als Merkel das Hotel gegen 1.30 Uhr verließ, blieb Junker noch sitzen

In Brisbane waren die Strategien der westlichen Staaten einerseits und Putins andererseits unübersehbar. Mehrere Staats- und Regierungschefs griffen Putin offen an, zum Beispiel US-Präsident Barack Obama, der Brite David Cameron, Kanadas Premier Stephen Harper, aber auch der australische Gastgeber Tony Abbott. Putin wiederum bemühte sich, die Phalanx seiner Kritiker instabil erscheinen zu lassen. So traf er sich mit Cameron und Frankreichs Präsidenten François Hollande zu Einzelgesprächen und ließ hinterher verlauten, in beiden Treffen seien versöhnliche Töne angeschlagen worden. Merkel wiederum hatte sich vor ihrem Gespräch mit Putin illusionslos gezeigt. Sie erwarte "keine qualitativen plötzlichen Veränderungen". Auf Statements oder Presseerklärungen nach dem Treffen verzichtete man ganz. Erst einen Tag später sagte Merkel auf Nachfrage in Sydney, man habe "sehr allgemein und grundsätzlich" gesprochen. Der Umkehrschluss daraus ist simpel: Im Konkreten gab es wieder keine Bewegung.

Bemerkenswert war freilich, dass die Kanzlerin und Putin ihr Vier-Augen-Gespräch um Jean-Claude Juncker erweiterten. Putin und Juncker kennen sich lange, der russische Präsident könnte vom neuen Chef der EU-Kommission einen freundlicheren Umgang erwarten, als er ihn mit dessen Vorgänger José Manuel Barroso erlebte. Denkbar ist freilich auch, dass die Kanzlerin den gelegentlich durchaus eigensinnigen Juncker frühzeitig in die Pflicht nehmen wollte, um etwaige Alleingänge in der Zukunft auszuschließen. Als Merkel das Hotel gegen 1.30 Uhr verließ, blieb Juncker jedenfalls noch sitzen.

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