Was also wirkt wie eine Stärkung der Demokratie durch ein stärkeres Parlament, könnte sich als Gegenteil herausstellen. Ohne echte Opposition würde vor allem eine dominierende Regierungspartei profitieren. Es gibt deshalb viele Spekulationen über Putins künftigen Job: Chef des neuen Staatsrats, Premier mit neuen Befugnissen, Sprecher eines erstarkten Parlaments, Chef einer dominierenden Regierungspartei.
Für die anderen gibt es neue Einschränkungen: Parlamentsabgeordnete und alle Staatsdiener dürfen keinen ausländischen Pass besitzen. Das scheint Teil einer neuen Offensive Putins zu sein, Russlands Souveränität zu stärken. In seiner Rede kündigte er an, dass internationale Verträge und Urteile in Russland künftig nur noch unter Vorbehalt gelten sollen. Bisher räumt die Verfassung internationalem Recht Vorrang ein.
Putin will russisches über internationales Recht stellen, für die Bürger könnte das erhebliche Auswirkungen haben. Denn immer wieder wenden sich Russen etwa an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), wenn sie ihre Rechte bei russischen Gerichten nicht durchsetzen können. Vor einigen Monaten verurteilte der EGMR Russland zu Entschädigungszahlungen von insgesamt 36 000 Euro an drei Homosexuellen-Organisationen; erst vor wenigen Wochen erhielten Asylsuchende eine Entschädigung zugesprochen, die monatelang am Moskauer Flughafen festgehalten worden waren.
Das Volk könnte die Änderung ablehnen, doch diese Option wird nicht mal diskutiert
Dem Kreml dürfte es bei der Verfassungsänderung um noch viel größere Fälle gehen. So streiten sich Russland und die Ukraine um Schulden in Milliardenhöhe, die ein Stockholmer Schiedsgericht festgestellt hatte. Umgekehrt berief sich Russland auf internationales Recht, als die USA Sanktionen wegen des Baus der Gaspipeline Nordstream 2 verhängte.
Außenminister Sergej Lawrow sagte, dass der Vorrang nationalen Rechts gegenüber internationalem überhaupt keine Neuigkeit sei. Die USA hätten überdies bewiesen, dass internationales Recht für sie keine Rolle spiele. Der russische Rechtsexperte Ilja Ratschkow warnte vor einer solchen Verfassungsänderung, "denn damit geben wir offen bekannt, dass wir jederzeit bereit sind, die Notbremse zu ziehen".
Putin will die Bevölkerung im Mai über die Änderungen abstimmen lassen. Die Möglichkeit, dass sie abgelehnt werden, wird in Russland nicht mal diskutiert.