Am Tag danach blieb Wladimir Putin in seiner Residenz im Moskauer Vorort. Von dort kommentiert er die Spekulationen, die seine Rede am Mittwoch in der Hauptstadt ausgelöst hatte. Darin hatte Putin die wohl größten politischen Veränderungen in Russland seit den Neunzigerjahren angekündigt. Eine Arbeitsgruppe mit 75 Mitgliedern soll nun Details einer Verfassungsänderung formulieren, die er sich wünscht. Und zwar "jedes Wort, jeden Buchstaben, vielleicht sogar jedes Komma" mit Klarheit und Gewissenhaftigkeit, sagte Putin. Am Donnerstag hat er sich bereits erstmals mit der Arbeitsgruppe in seiner Residenz getroffen.
Er selber hatte vieles unklar gelassen, und auch am Donnerstag war die Verwirrung noch groß. Viele seiner Vorschläge zielen darauf ab, das Amt des Präsidenten zu schwächen. Gleichzeitig warf Putin nun ein, der Präsident müsse weiterhin eine starke Rolle spielen. Kommt die Verfassungsänderung so, wie Putin sie angedeutet hat, bleibt der Kremlchef oberster Befehlshaber der Streitkräfte und behält das Recht, die Regierung zu entlassen. Das macht ihn zum mächtigsten Mann im Staat. So stark wie Präsident Putin aber soll er nicht werden können.
Bisher hat der Kremlchef den Premier ernannt, das dürfen künftig die Duma-Abgeordneten. Auch das Kabinett wird dann nicht mehr vom Präsidenten bestimmt, sondern vom Premier. Die Geheimdienstchefs und hohe Vertreter in Außen- und Verteidigungspolitik soll weiterhin der Präsident benennen, aber in Absprache mit dem Föderationsrat, der oberen Kammer des Parlaments.
Eine mutmaßliche Änderung macht die Rückkehr Putins ins Präsidentenamt unmöglich
Zudem hat Putin die Zahl möglicher Nachfolger eingeschränkt. Zur Präsidentenwahl darf sich nur stellen, wer die vergangenen 25 Jahre ständig in Russland gelebt hat. Der Präsident darf nie einen ausländischen Pass oder eine Aufenthaltsgenehmigung für ein anderes Land besessen haben. Viele gut ausgebildete Russen, die im Ausland studiert oder gearbeitet haben, fallen damit raus. Auch Kremlkritiker wie Michail Chodorkowskij und Alexej Nawalny könnten dann allein der Verfassung wegen nicht kandidieren.
Im Absatz, der den Präsidenten auf zwei Amtszeiten nacheinander beschränkt, möchte Putin vermutlich das Wort "nacheinander" streichen. Das macht eine Rückkehr für ihn unmöglich und würde Dmitrij Medwedjews Möglichkeiten auf sechs weitere Jahre im Kreml begrenzen. Es schränkt aber auch jeden anderen ein, der nach Putin kommt.
Manche spekulieren gar, ob der Staatsrat eine Art "neues Politbüro" wird
Gleichzeitig verteilt der Präsident Einfluss um. Vor allem für den Staatsrat hat er offenbar größere Pläne; er will dessen "Status und Rolle" in der Verfassung verankern. Dem Staatsrat gehören Gouverneure und Regierungen der Regionen an, die Sprecher der Parlamentskammern, die Chefs der Parlamentsparteien. Bisher leitet der Präsident diesen Rat, doch womöglich bleibt das nicht so. Eine Theorie ist: Putin baut sich so eine neue Machtstruktur auf, von der aus er das Land aus dem Hintergrund lenken kann, ähnlich wie Nursultan Nasarbajew in Kasachstan. Der hatte vor seinem Rücktritt als Präsident den Sicherheitsrat gestärkt und leitet ihn nun.
Manche spekulieren gar, ob der Staatsrat eine Art "neues Politbüro" wird. Allerdings müsste sich dafür vieles ändern, denn bisher hat das Organ nur eine beratende Funktion. Der Staatsrat solle aber auch keinesfalls zur weiteren Kammer für die Regionen werden, sagte Putin nun. Vermutlich kommt es am Ende eben nicht auf jedes Wort und Komma an, sondern darauf, wie das Gesetz ausgelegt wird. Und die Praxis in Russland sieht bisher so aus, dass die Opposition wenig Chancen hat.