Russland:Wie Putin an seiner Zukunft arbeitet

Lesezeit: 3 Min.

Russlands Präsident Wladimir Putin vor seiner Rede zur Lage der Nation. (Foto: Mikhail Klimentyev/dpa)
  • Auch nach einer Verfassungsänderung in Russland soll der Präsident der mächtigste Mann im Staat sein. Er soll aber künftig nicht mehr die gleiche Machtfülle haben wie derzeit Putin.
  • Putin will die Rolle des Staatsrats stärken. Es wird spekuliert, dass er sich so eine neue Machtstruktur aufbaut, um das Land aus dem Hintergrund zu lenken.
  • Immer wieder wenden sich Russen an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Nun will der Präsident russisches über internationales Recht stellen, für die Bürger könnte das erhebliche Auswirkungen haben.

Von Silke Bigalke, Moskau, und Frank Nienhuysen

Am Tag danach blieb Wladimir Putin in seiner Residenz im Moskauer Vorort. Von dort kommentiert er die Spekulationen, die seine Rede am Mittwoch in der Hauptstadt ausgelöst hatte. Darin hatte Putin die wohl größten politischen Veränderungen in Russland seit den Neunzigerjahren angekündigt. Eine Arbeitsgruppe mit 75 Mitgliedern soll nun Details einer Verfassungsänderung formulieren, die er sich wünscht. Und zwar "jedes Wort, jeden Buchstaben, vielleicht sogar jedes Komma" mit Klarheit und Gewissenhaftigkeit, sagte Putin. Am Donnerstag hat er sich bereits erstmals mit der Arbeitsgruppe in seiner Residenz getroffen.

Er selber hatte vieles unklar gelassen, und auch am Donnerstag war die Verwirrung noch groß. Viele seiner Vorschläge zielen darauf ab, das Amt des Präsidenten zu schwächen. Gleichzeitig warf Putin nun ein, der Präsident müsse weiterhin eine starke Rolle spielen. Kommt die Verfassungsänderung so, wie Putin sie angedeutet hat, bleibt der Kremlchef oberster Befehlshaber der Streitkräfte und behält das Recht, die Regierung zu entlassen. Das macht ihn zum mächtigsten Mann im Staat. So stark wie Präsident Putin aber soll er nicht werden können.

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Kommentar von Silke Bigalke

Bisher hat der Kremlchef den Premier ernannt, das dürfen künftig die Duma-Abgeordneten. Auch das Kabinett wird dann nicht mehr vom Präsidenten bestimmt, sondern vom Premier. Die Geheimdienstchefs und hohe Vertreter in Außen- und Verteidigungspolitik soll weiterhin der Präsident benennen, aber in Absprache mit dem Föderationsrat, der oberen Kammer des Parlaments.

Eine mutmaßliche Änderung macht die Rückkehr Putins ins Präsidentenamt unmöglich

Zudem hat Putin die Zahl möglicher Nachfolger eingeschränkt. Zur Präsidentenwahl darf sich nur stellen, wer die vergangenen 25 Jahre ständig in Russland gelebt hat. Der Präsident darf nie einen ausländischen Pass oder eine Aufenthaltsgenehmigung für ein anderes Land besessen haben. Viele gut ausgebildete Russen, die im Ausland studiert oder gearbeitet haben, fallen damit raus. Auch Kremlkritiker wie Michail Chodorkowskij und Alexej Nawalny könnten dann allein der Verfassung wegen nicht kandidieren.

Im Absatz, der den Präsidenten auf zwei Amtszeiten nacheinander beschränkt, möchte Putin vermutlich das Wort "nacheinander" streichen. Das macht eine Rückkehr für ihn unmöglich und würde Dmitrij Medwedjews Möglichkeiten auf sechs weitere Jahre im Kreml begrenzen. Es schränkt aber auch jeden anderen ein, der nach Putin kommt.

Manche spekulieren gar, ob der Staatsrat eine Art "neues Politbüro" wird

Gleichzeitig verteilt der Präsident Einfluss um. Vor allem für den Staatsrat hat er offenbar größere Pläne; er will dessen "Status und Rolle" in der Verfassung verankern. Dem Staatsrat gehören Gouverneure und Regierungen der Regionen an, die Sprecher der Parlamentskammern, die Chefs der Parlamentsparteien. Bisher leitet der Präsident diesen Rat, doch womöglich bleibt das nicht so. Eine Theorie ist: Putin baut sich so eine neue Machtstruktur auf, von der aus er das Land aus dem Hintergrund lenken kann, ähnlich wie Nursultan Nasarbajew in Kasachstan. Der hatte vor seinem Rücktritt als Präsident den Sicherheitsrat gestärkt und leitet ihn nun.

Manche spekulieren gar, ob der Staatsrat eine Art "neues Politbüro" wird. Allerdings müsste sich dafür vieles ändern, denn bisher hat das Organ nur eine beratende Funktion. Der Staatsrat solle aber auch keinesfalls zur weiteren Kammer für die Regionen werden, sagte Putin nun. Vermutlich kommt es am Ende eben nicht auf jedes Wort und Komma an, sondern darauf, wie das Gesetz ausgelegt wird. Und die Praxis in Russland sieht bisher so aus, dass die Opposition wenig Chancen hat.

Was also wirkt wie eine Stärkung der Demokratie durch ein stärkeres Parlament, könnte sich als Gegenteil herausstellen. Ohne echte Opposition würde vor allem eine dominierende Regierungspartei profitieren. Es gibt deshalb viele Spekulationen über Putins künftigen Job: Chef des neuen Staatsrats, Premier mit neuen Befugnissen, Sprecher eines erstarkten Parlaments, Chef einer dominierenden Regierungspartei.

Für die anderen gibt es neue Einschränkungen: Parlamentsabgeordnete und alle Staatsdiener dürfen keinen ausländischen Pass besitzen. Das scheint Teil einer neuen Offensive Putins zu sein, Russlands Souveränität zu stärken. In seiner Rede kündigte er an, dass internationale Verträge und Urteile in Russland künftig nur noch unter Vorbehalt gelten sollen. Bisher räumt die Verfassung internationalem Recht Vorrang ein.

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Putin will russisches über internationales Recht stellen, für die Bürger könnte das erhebliche Auswirkungen haben. Denn immer wieder wenden sich Russen etwa an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), wenn sie ihre Rechte bei russischen Gerichten nicht durchsetzen können. Vor einigen Monaten verurteilte der EGMR Russland zu Entschädigungszahlungen von insgesamt 36 000 Euro an drei Homosexuellen-Organisationen; erst vor wenigen Wochen erhielten Asylsuchende eine Entschädigung zugesprochen, die monatelang am Moskauer Flughafen festgehalten worden waren.

Das Volk könnte die Änderung ablehnen, doch diese Option wird nicht mal diskutiert

Dem Kreml dürfte es bei der Verfassungsänderung um noch viel größere Fälle gehen. So streiten sich Russland und die Ukraine um Schulden in Milliardenhöhe, die ein Stockholmer Schiedsgericht festgestellt hatte. Umgekehrt berief sich Russland auf internationales Recht, als die USA Sanktionen wegen des Baus der Gaspipeline Nordstream 2 verhängte.

Außenminister Sergej Lawrow sagte, dass der Vorrang nationalen Rechts gegenüber internationalem überhaupt keine Neuigkeit sei. Die USA hätten überdies bewiesen, dass internationales Recht für sie keine Rolle spiele. Der russische Rechtsexperte Ilja Ratschkow warnte vor einer solchen Verfassungsänderung, "denn damit geben wir offen bekannt, dass wir jederzeit bereit sind, die Notbremse zu ziehen".

Putin will die Bevölkerung im Mai über die Änderungen abstimmen lassen. Die Möglichkeit, dass sie abgelehnt werden, wird in Russland nicht mal diskutiert.

© SZ vom 17.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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