Süddeutsche Zeitung

Krieg in der Ukraine:"Das ist ein Zeichen von Panik"

Der russische Präsident mobilisiert mehr Soldaten und droht indirekt mit Atomwaffen. Doch die Ukraine und der Westen sehen Putins Ansprache als Ausdruck seines Scheiterns. Reaktionen im Überblick.

Ein neuer Schritt im Krieg gegen die Ukraine: Der russische Präsident Wladimir Putin ordnet eine Teilmobilmachung an und will 300 000 Reservisten einberufen. Es gehe darum, russisches Territorium zu verteidigen, sagt er und droht erneut damit, Atomwaffen einzusetzen. Eine Auswahl internationaler Reaktionen:

Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak sagt, die Teilmobilmachung sei zu erwarten gewesen. Die anderen Äußerungen des russischen Präsidenten seien bloß rhetorisch. Ziel sei es, den Westen für den Krieg und die sich verschlechternde Wirtschaftslage in Russland verantwortlich zu machen. Podoljak reagiert auf Twitter auch mit Spott: "Läuft immer noch alles nach Plan oder doch nicht?", fragt er. Putins auf drei Tage angelegter Krieg dauere nun schon 210 Tage. Jene russischen Staatsbürger, die eine Vernichtung der Ukraine forderten, hätten die Mobilmachung, geschlossene Grenzen, blockierte Konten und Gefängnisstrafen für Deserteure erhalten.

Bundeskanzler Olaf Scholz sieht Misserfolge im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine als Grund für die Ankündigung einer Teilmobilmachung. Scholz habe Putins Äußerungen zur Kenntnis genommen, sagt ein Regierungssprecher und zitiert den Kanzler mit den Worten: "Das alles kann man sich nur erklären vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der russische Angriff auf die Ukraine nicht erfolgreich verlaufen ist." Putin habe seine Truppen umgruppieren müssen, sich von Kiew zurückziehen müssen und auch im Osten der Ukraine nicht den gewünschten Erfolg erzielt, sagt der Sprecher. "Das ist ein sichtbares Zeichen dafür, dass die Ukraine sehr wirksam ist bei der Verteidigung der eigenen Integrität und Souveränität, nicht zuletzt auch wegen der massiven und großen Unterstützung aus vielen Ländern der Welt, ganz besonders auch aus Deutschland."

Die EU-Kommission wirft Putin ein sehr gefährliches Nuklear-Spiel ("nuclear gamble") vor. Die internationale Gemeinschaft müsse Druck auf ihn ausüben, damit er "dieses rücksichtslose Verhalten einstellt", sagt ein Sprecher der EU-Kommission. "Er nutzt das nukleare Element als Teil seines Terrorarsenals, das ist nicht hinnehmbar." Die von der Regierung in Moskau unterstützten "falschen, illegalen Referenden" in den von Russland besetzten ukrainischen Regionen würden nicht anerkannt werden.

Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace wertet die von Putin angekündigte Teilmobilmachung als Zeichen dafür, dass "seine Invasion scheitert". Zusammen mit Verteidigungsminister Sergej Schojgu habe Putin Zehntausende Bürger in den Tod geschickt. "Noch so viele Drohungen und noch so viel Propaganda können die Tatsache nicht verhehlen, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt, die internationale Gemeinschaft geeint ist und Russland weltweit zu einem Geächteten werden wird", so Wallace.

Bridget Brink, die Botschafterin der USA in Kiew, schreibt auf Twitter: "Scheinreferenden und Mobilmachungen sind Zeichen der Schwäche, des russischen Versagens." Die Vereinigten Staaten würden den Anspruch Russlands auf die ukrainischen Gebiete "niemals anerkennen" und der Ukraine so lange wie nötig zur Seite stehen.

Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte rät im Sender NOS zur Ruhe: "Die Mobilisierung, der Aufruf zu Referenden in Donezk, all das ist ein Zeichen von Panik. Seine Rhetorik über Atomwaffen haben wir schon oft gehört, und sie lässt uns kalt."

Der tschechische Regierungschef Petr Fiala sagt: "Die von Wladimir Putin verkündete Teilmobilmachung ist ein Versuch, den Krieg, den Russland gegen die Ukraine begonnen hat, weiter zu eskalieren. Und sie ist ein weiterer Beweis dafür, dass Russland der alleinige Aggressor ist."

Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) nennt die Teilmobilmachung einen "schlimmen und falschen Schritt". Die Bundesregierung berate derzeit über eine Antwort auf die Entscheidung des russischen Präsidenten. Klar sei aber, dass Deutschland die Ukraine weiterhin vollumfänglich unterstützen werde.

Die SPD im Deutschen Bundestag wertet Putins Rede als "Zeichen der Schwäche, aber es ist auch eine neue Eskalation", wie die Parlamentarische Geschäftsführerin Katja Mast sagt. Die Teilmobilmachung zeige, dass Putin gewillt sei, auch weitere Schritte zu gehen. In der Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine gelte aber auch nach Putins Schritt weiter, dass Deutschland keine Alleingänge ohne die Bündnispartner unternehmen wolle.

Unionsfraktionsvize Johann Wadephul sagt, dass Putin endgültig die Maske fallen lasse. "Die Ukraine hat die Möglichkeit, das eigene Land erfolgreich zu verteidigen und von Russland besetzte Gebiete zu befreien." Doch dafür brauche es mehr als zuletzt substanzielle Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft in Form von schweren Waffen. "Es ist höchste Zeit, dass Deutschland endlich den entscheidenden Schritt geht und Kampf- und Schützenpanzer westlicher Bauart liefert", fordert Wadephul.

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