Russlands Präsident Putin:Erst Wohltäter, dann Angreifer

Lesezeit: 4 min

  • In seiner Rede zur Lage der Nation verspricht Russlands Präsident Putin etliche soziale Wohltaten.
  • Die USA warnt er eindringlich vor der Stationierung atomarer Kurz- oder Mittelstreckenraketen in Europa.

Von Paul Katzenberger, Moskau

Wenn Wladimir Putin mit seiner diesjährigen Rede zur Lage der Nation jemanden begeistert haben dürfte, dann den russischen Historiker Alexander Degtjarjow. Der emeritierte Professor, Mitglied sowohl der Kommunistischen Partei Russlands als auch der Russischen Akademie der Wissenschaften, hatte in einem Artikel angekündigt, dass er die Rede des Präsidenten danach beurteilen werde, inwieweit sie Vorschläge zur Verbesserung der sozialen Gerechtigkeit enthalte.

In diesem Sinne hat Putin geliefert. Gleich im ersten Satz seiner Rede betonte er, dass er sich auf die "nationalen Projekte" konzentrieren werde, bei denen es um eine bessere Lebensqualität für alle Generationen Russlands gehe.

Was folgte war eine Kanonade an Fakten und Zahlen, die Putin seinem Publikum im geschichtsträchtigen Versammlungssaal Gostinij Dwor in der Moskauer Innenstadt um die Ohren haute.

Rede zur Lage der Nation
:Putin warnt USA vor Rüstungswettlauf

Nach der Kündigung des INF-Vertrags schickt Russlands Präsident eine Warnung in Richtung der USA: Wenn Washington Mittelstreckenraketen in Europa stationiere, werde Moskau reagieren.

Putins Naturell ging da einmal mehr mit ihm durch: Der russische Präsident ist bekanntermaßen stolz darauf, sich Daten gut einprägen zu können - und diese Rede war ein weiterer eindrucksvoller Beleg für diese Fähigkeit.

Dabei ließ er kaum ein Thema aus. Ob zum Problem der vielen Müllhalden Russlands, die zu nahe an Wohnsiedlungen liegen, oder zur Besteuerung von Kultureinrichtungen in Dörfern - zu vielen recht speziellen Angelegenheiten hatte Putin etwas zu sagen und erweckte dabei stets den Eindruck großen Detailwissens.

Doch er hielt auch sein Versprechen, die Sozialpolitik in den Mittelpunkt seiner Rede zu stellen und Lösungen in Aussicht zu stellen. Der Präsident räumte ein, dass die Problemstellungen diesbezüglich komplex und nicht einfach zu lösen seien. Er höre immer wieder, "dies ist unmöglich", oder "die Latte liegt zu hoch", doch wer so denke, habe keinen Platz in der Politik, sagte der Präsident. "Denn man kann die Menschen nicht an der Nase herumführen", warnte er. "Sie merken ganz genau, wenn geheuchelt, oder jemand respektlos oder ungerecht behandelt wird."

"Mehr Kinder, weniger Steuern"

Was Putin damit zwischen den Zeilen sagte, versteht jeder in Russland und benannte der Historiker Degtjarjow konkreter: "Wenn das Gehalt eines Professors um ein Vielfaches geringer ist als das eines staatlichen Kassenprüfers, dann hassen die Leute das. Wenn die Promis, die im staatlichen Fernsehen gefeiert werden, nicht wissen, wo sie ihr Geld lagern sollen, dann erzeugt das Neid."

Putin weiß darum nur zu genau. Nicht zuletzt aufgrund der gesunkenen Umfragewerte, mit denen er leben muss, seit die Duma vergangenes Jahr beschlossen hat, das Renteneintrittsalter in Russland zu erhöhen. Deshalb versprach der russische Präsident nun auch, dass der Staat den einfachen Menschen unter die Arme greifen werde. Das monatliche Kindergeld in Höhe von derzeit durchschnittlich 11 000 Rubel (145 Euro) für Familien, deren Gehalt nur das eineinhalbfache des Subsistenzniveaus erreicht, solle ab dem 1. Januar 2020 auch Familien zustehen, die doppelt so viel wie Menschen an der Armutsschwelle verdienten. Auch der staatliche Zuschuss für die Betreuung behinderter Kinder soll nahezu verdoppelt werden.

Viele weitere Wohltaten für Familien, aber auch für die 19 Millionen Russen, die unter der Armutsgrenze leben, oder für Rentner kündigte Putin ähnlich detailreich an, doch er schaffte es mitunter auch, seine Botschaft auf eine prägnante Formel zu bringen: "Mehr Kinder, weniger Steuern."

Wie das alles zu bezahlen sei, sagte der Präsident nicht im Detail, doch er wich der Kostenfrage auch nicht aus. In Bezug auf die geplanten Hilfen für Familien räumte er ein: "Das wird natürlich sehr viel zusätzliches Geld erfordern." Doch Russland habe das, bekräftigte Putin: "Wir haben es uns hart erarbeitet, und niemand hat es uns geschenkt." Inzwischen habe das Vermögen des Staates erstmals eine Höhe erreicht, die alle finanziellen Verpflichtungen sowohl des Staates als auch der Privatwirtschaft des Landes gegenüber dem Ausland abdecke.

Das klang so, als ob Putin seine Versprechungen tatsächlich einhalten könne, doch an diesem Eindruck schlichen sich während seiner Rede auch Zweifel ein. Denn er betonte ebenfalls, dass die Erhöhung des Wirtschaftswachstums für die Verbesserung der Lebensqualität in Russland entscheidend sei: "Der einzige Weg, wie wir die Armut überwinden können, besteht in der Erhöhung des Einkommens unserer Bürger." Deswegen müsse das Bruttoinlandsprodukt bereits 2021 mit um mehr als drei Prozent wachsen und in den Folgejahren um einen höheren Prozentsatz als die Weltwirtschaft im Durchschnitt.

Angriffe gegen die USA

Putin machte zwar auch Vorschläge, wie die dümpelnde russische Wirtschaft, die 2018 nach der letzten offiziellen Zahl mit 2,3 Prozent wuchs, dieses Ziel erreichen könnte. Doch, dass er dabei ausgerechnet eine größere Rechtssicherheit für Wirtschaftstreibende forderte, warf angesichts der jüngsten Verhaftung des langjährig in Russland engagierten US-amerikanischen Investors Michael Calvey die Frage auf, ob diese Forderung tatsächlich realistisch ist.

Umso mehr, als er in seiner Rede erneut die USA angriff, die er wegen der Kündigung des INF-Vertrages beschuldigte, die internationale Sicherheitsarchitektur ins Wanken zu bringen. Er warnte die USA eindringlich vor der Stationierung atomarer Kurz- oder Mittelstreckenraketen in Europa. Sollte dies geschehen, werde Russland nicht nur die Länder ins Visier nehmen, in denen solche Waffen aufgestellt würden, sondern auch die USA direkt, drohte Putin. Es waren seine bislang schärfsten Äußerungen im Zusammenhang mit der Abkehr vom INF-Abrüstungsvertrag vor drei Wochen. US-Präsident Donald Trump hatte das Abkommen aus dem Kalten Krieg, das den Verzicht auf landgestützte atomare Mittelstreckenraketen vorschreibt, ausgesetzt. Putin zog kurz darauf nach.

Auf die aktuellen Spekulationen der internationalen Wirtschaftspresse, ob die Verhaftung eines amerikanischen Geschäftsmannes das Geschäftsklima in Russland empfindlich beeinträchtigen könnte, ging Putin in seiner Rede verständlicherweise nicht ein. Das hätte ja auch nicht zur Rolle des Wohltäters gepasst, den er an diesem Tag ganz offensichtlich abgeben wollte.

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