Ein Gebäude im Londoner Nobel-Stadtteil Mayfair. Keine Bodyguards am Eingang, nur Kameras. Die Wände des Büros im Inneren sind in hellem Holz getäfelt, ein Schwarzweißbild zeigt den jungen Nelson Mandela beim Boxen. Hier arbeitet Michail Chodorkowskij, einst Chef des größten Ölkonzerns Russlands, bis er nach zwei international kritisierten Prozessen für zehn Jahre in russischen Lagern verschwand. Wladimir Putin begnadigte ihn im Jahr 2013 - und für Chodorkowskij begann ein neues Leben als Politiker im Exil.
Chodorkowskij trägt einen bequemen Pullover. Anders als andere Oligarchen macht er sich nichts aus Luxus und Yachten; er hasst es, sich Gedanken über die passende Garderobe machen zu müssen. Er ist ein Kopf-Mensch und er hat sehr genaue Vorstellungen davon, wie Russland wieder auf einen guten Weg kommen könnte.
Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung folgt auf jede Frage erst einmal Schweigen. Chodorkowskij denkt nach. Und hält dann kleine Vorträge. Wladimir Putins System nennt er "feudalistisch-kriminell". Es sei nicht nur undemokratisch, sondern auch ineffektiv.
Im Interview erklärt der Putin-Gegner, warum er glaubt, dass der russische Präsident seinen Rückzug nach den Wahlen im kommenden Jahr vorbereitet und welche Rolle der Westen dabei spielen könnte. Er spricht über Szenarien für die Zeit nach Putin, die Gefahr eines neuen Krieges im Kaukasus und über den Umgang mit dem Tschetschenen-Herscher Ramsan Kadyrow. Kritik gibt es aber auch für den Westen, der sich in den vergangenen 25 Jahren habe gehen lassen. "Politisch und bei der Verteidigung ist er abgeschlafft."
Als Kind habe er davon geträumt, Fabrikdirektor zu werden, sagt Chodorkowskij. Das ist ihm gelungen. Jetzt ist sein Ziel, einen Rechtsstaat in Russland aufzubauen: "Ich werde das noch erleben".