Ukraine-Krieg:Eine Drohung aus Den Haag an Putin

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Männer laden im ukrainischen Butscha die Leichen von Zivilisten aus einem Wagen. Sie wurden mutmaßlich von russischen Soldaten ermordet. (Foto: Chris McGrath/Getty Images)

Der Westen verpflichtet sich, russische Kriegsverbrechen in der Ukraine gemeinsam zu verfolgen - die Niederlande spielen dabei eine besondere Rolle.

Von Wolfgang Janisch und Josef Kelnberger, Den Haag/Karlsruhe

Ob Wladimir Putin eines Tages die unfreiwillige Reise nach Den Haag antreten wird? Schwierige Frage, sagt der niederländische Außenminister Wopke Hoekstra in seinem Besprechungszimmer in Den Haag. Die Verfolgung von Kriegsverbrechen sei mit unendlich viel Aufwand und Frust verbunden, aber andererseits: Auch Slobodan Milosevic und Ratko Mladic hätten sich nicht träumen lassen, wegen der serbischen Kriegsverbrechen irgendwann in dieser Stadt zu landen, vor dem Haager Tribunal. "Ich weiß noch, wie die hier ankamen", sagt Hoekstra. "Viele fragten sich: Kann das wirklich wahr sein?"

Den Haag, genannt "Stadt von Frieden und Gerechtigkeit", war am Dienstag Schauplatz einer internationalen Konferenz zur Verfolgung von Kriegsverbrechen in dem von Russland entfachten Krieg in der Ukraine. Hoekstra trat als Gastgeber auf, mit Karim Khan, Chefankläger des hier ansässigen Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), und Didier Reynders, Justizkommissar der Europäischen Union. Das Ziel der Veranstaltung: Die Ermittler sollen bestmöglich ausgestattet werden und vor allem eine gemeinsame Strategie verfolgen, um Kriegsverbrechen in der Ukraine zu dokumentieren und die Verantwortlichen anklagen zu können. Dazu sollten am Ende auch jene ganz oben in der Befehlskette gehören, findet Hoekstra. "Es war der Kreml, es war Putin, der diesen komplett ungerechten Krieg angefangen hat. Seine Armee begeht schreckliche Kriegsverbrechen."

Es wurden bei der Veranstaltung jede Menge Geld und Unterstützung eingesammelt. 40 Nationen waren vertreten, für das deutsche Außenministerium nahm Staatsminister Tobias Lindner teil. Er teilte mit, die Bundesregierung werde die Arbeit des IStGH mit einer weiteren Million Euro und der Entsendung nationaler Fachleute unterstützten. Und die ukrainische Gerichtsmedizin werde weiteres Material für forensische Untersuchungen erhalten.

Von den vielen Kriegsverbrechen werden am Ende wohl nur wenige angeklagt werden können

Hoekstra freute sich besonders, dass nicht nur der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij eine Grußbotschaft sandte, sondern auch die US-Regierung Unterstützung signalisierte. Die USA erkennen die Legitimität des IStGH ebenso wie Russland nicht an. Nach Meinung von Hoekstra sollten die Den Haager Ermittler aber, neben der ukrainischen Staatsanwaltschaft, die zentrale Rolle bei den Ermittlungen spielen. Der Strafgerichtshof verfüge über die meiste Erfahrung und sei am besten ausgestattet für solche Fälle.

Die Zuständigkeit des Strafgerichtshofs umfasst im Wesentlichen die Kernverbrechen des Völkerstrafrechts - Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Nur der IStGH könnte, theoretisch, Putin oder Außenminister Lawrow anklagen, ohne auf die Immunität von Amtsträgern Rücksicht nehmen zu müssen. Jedenfalls ist die internationale Gerichtsbarkeit fest entschlossen, davon zeugen auch Eilentscheidungen beim Internationalen Gerichtshof der Vereinten Nationen, ebenfalls in Den Haag angesiedelt, wie auch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Von vielen Tausend möglichen Kriegsverbrechen ist mittlerweile die Rede, am Ende werden wohl nur wenige angeklagt werden können. Man wird sich wohl auf die schweren konzentrieren müssen: Mord, Vergewaltigung, Folter. IStGH-Chefankläger Khan hat das größte Ermittlerteam in der Geschichte seines Gerichts in die Ukraine entsandt, darunter viele Fachleute aus den Niederlanden. Auch andere Länder ermitteln wegen Kriegsverbrechen, Frankreich zum Beispiel wegen des Tods eines Kriegsreporters.

Beim Völkerstrafrecht benötige man einen "langen Atem", sagt der Generalbundesanwalt

Deutschland beteiligt sich ebenfalls an der Suche nach Beweisen. Es ist eine Beweissicherung von "beispielloser Intensität", wie Thomas Beck, in der Bundesanwaltschaft bis vor Kurzem dafür zuständig, vor zwei Monaten feststellte. Zwar hat Generalbundesanwalt Peter Frank vor wenigen Tagen zu Geduld gemahnt: "Bitte erwarten Sie nicht, dass wir morgen oder übermorgen irgendwelche Beschuldigten identifiziert haben." Beim Völkerstrafrecht benötige man einen "langen Atem". Aber am Beispiel des syrischen Bürgerkriegs, in dem die Bundesanwälte viel Erfahrung gewonnen haben, zeigt sich der Lohn der Beharrlichkeit. 2011 hat der Krieg begonnen, 2019 wurde in Deutschland die erste Anklage erhoben.

Das Bundeskriminalamt verteilt zu diesem Zweck Fragebögen an ukrainische Flüchtlinge. Werden mögliche Zeugen identifiziert, folgt eine Vernehmung. BKA-Präsident Holger Münch sprach kürzlich in der Welt von einer dreistelligen Zahl von Hinweisen. Darüber hinaus werden Bilder aus dem Internet oder Informationen von Nichtregierungsorganisationen ausgewertet. Ob in Deutschland je Anklagen geschrieben werden, ist ungewiss. Denkbar wäre, Verantwortliche aus der militärischen Hierarchie vor Gericht zu bringen. Wenn man sie denn identifiziert, was komplizierter ist, als die Verbrechen selbst zu dokumentieren. Da dürften die Nachrichtendienste eine wichtige Rolle spielen.

Die Konferenz in Den Haag wird möglicherweise nicht die letzte ihrer Art gewesen sein. Die internationale Gemeinschaft brauche einen langen Atem, sagt auch Hoekstra, der Gerechtigkeit müsse Genüge getan werden. Die Niederlande fühlen sich besonders in der Pflicht - aus ihrer Tradition der Rechtsstaatlichkeit heraus, wie der Außenminister sagt, und wohl auch wegen des Dramas namens MH 17. Am 17. Juli 2014 starben 298 Menschen, die meisten aus den Niederlanden, weil eine mutmaßlich russische Rakete eine Maschine der Malaysian Airlines über der Ostukraine zum Absturz brachte. Hoekstra kann jedenfalls wenig anfangen mit dem Satz des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der Westen dürfe Russland mit Blick auf künftige Verhandlungen nicht "erniedrigen". Keinesfalls, sagt Hoekstra, dürfe am Ende der Eindruck entstehen, dieser Krieg habe sich für Putin "gelohnt".

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