Süddeutsche Zeitung

Ukraine-Krise:Dieser Beschluss könnte den Konflikt weiter verschärfen

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Das russische Parlament fordert Putin auf, die sogenannten "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk anzuerkennen. Für den Präsidenten ist das ein machtvolles Druckmittel.

Von Frank Nienhuysen, München

Im prachtvollen Kreml ging es beim Treffen von Wladimir Putin und Olaf Scholz am Dienstag wieder einmal um Krieg und Frieden, aber das tat es auch nur einen kurzen Fußweg weiter, im deutlich schlichteren Gebäude der russischen Staatsduma. Es ging um den Donbass. Um zwei Anträge, die das Minsker Abkommen aushebeln und beerdigen könnten. Es liegt jetzt, wie so oft, an Putin. In beiden Entwürfen wird Russlands Präsident aufgefordert, die ostukrainischen Separatistengebiete, die sogenannten "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk, als "selbständige, souveräne und unabhängige Staaten" anzuerkennen.

Eingebracht hatte den Entwurf Russlands Kommunistische Partei. Er richtet sich direkt an den Präsidenten. Der zweite, inhaltsgleiche Entwurf stammte von zwei Abgeordneten der Kremlpartei Einiges Russland und sieht zunächst eine Beratung im russischen Außenministerium vor, bevor er an Putin geht. Doch die Abgeordneten haben es eilig. Für den Antrag der Kommunisten stimmen 351 Abgeordnete, für den der Regierungspartei lediglich 310. Die Aufforderung werde nun sofort unterschrieben und dem Staatschef weitergeleitet, sagt Dumachef Wjatscheslaw Wolodin. Für Putin bedeutet dies nun ein weiteres machtvolles Druckmittel im Konflikt mit der Ukraine. Und er kann sich Zeit lassen.

Kiew ist empört. Schon kurz vor der Abstimmung im russischen Parlament hatte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba davor gewarnt, dass eine Anerkennung der Gebiete durch Russland praktisch einen Ausstieg aus dem Minsker Abkommen "mit allen Begleiterscheinungen" bedeuten würde. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte, die Anerkennung "wäre ein klarer Verstoß gegen die Minsker Vereinbarungen".

Der Friedensplan von 2015 gilt als Schlüssel, zumindest als Grundlage für ein mögliches Ende des Konflikts, denn er sieht unter anderem den Abzug schwerer Waffen vor, einen Autonomiestatus für die umkämpften ostukrainischen Gebiete, Wahlen und die Kontrolle der Landesgrenzen durch die Ukraine. Was theoretisch gut klingt, ist praktisch jedoch ein erbitterter Streit darum, was konkret die Voraussetzung des jeweils anderen ist. Außerdem: Moskau, das die Separatisten unterstützt, sieht sich in dem Prozess als Vermittler, Kiew dagegen hält die Separatistenführer für Handlanger Russlands und will mit ihnen erst gar nicht reden.

Der gebilligte Antrag der Kommunisten liest sich wie eine Schimpfkanonade Richtung Kiew. Da ist von "Faschisten" die Rede, vom Handeln des ukrainischen Staates, das man "mit einem Genozid am eigenen Volk vergleichen" könne. Es gehe um den Schutz der russischen Sprache, um Freiheit, die angeblich verletzt werde. Eine Anerkennung als Staat würde den Menschen Sicherheit garantieren und vor einer Bedrohung schützen, heißt es. Doch selbst Kremlsprecher Dmitrij Peskow hatte vor der Abstimmung darauf hingewiesen, dass die Sache "sensibel" sei und es sehr wichtig sei, Schritte zu vermeiden, die noch mehr Spannungen provozieren könnten.

Ob, wann und inwieweit Putin auf den Vorstoß der Duma eingeht, liegt an ihm. Vielleicht wird er es nie tun. Es würde von Russlands bisheriger Haltung abrücken, dass einzig das Minsker Abkommen eine Lösung ermögliche und deshalb umgesetzt werden müsse. Falls doch, würde sich der Weg zu einer möglichen Annexion der Gebiete verkürzen. Wolodin, der Duma-Vorsitzende, hatte schon vor Wochen zum Antrag der Kommunisten gesagt, dass man eine Lösung suchen müsse, um die Sicherheit "unserer Bürger" in den "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk zu gewährleisten. Russland hat bereits mehr als 500 000 russische Pässe an die Einwohner der Separatistengebiete vergeben und könnte nach eigener Gesetzgebung ihnen bei Bedarf auch im Ausland zu Hilfe eilen.

Eine Anerkennung der Volksrepubliken wäre das Ende der Minsker Abkommen

Der russische Politologe Dmitrij Oreschkin glaubt, dass Putin sich jedenfalls mit einer Entscheidung nicht beeilen werde. Eine Anerkennung der "Republiken" würde faktisch ein Gebiet von einem Staat abtrennen und die Minsker Vereinbarungen zerstören, sagte er im Radiosender Echo Moskaus. Andererseits gebe es schon jetzt eine Situation, aus der es keinen Ausweg gebe: "Jede Seite traktiert das Minsker Abkommen auf ihre Weise", sagte Oreschkin. Immerhin würde eine Anerkennung einen großen Krieg abwenden und "schmutzige Tricks auf eine bestimmte Region der Ukraine begrenzen".

Andere Beobachter wie die Politologin Tatjana Stanowaja bezweifeln allerdings, dass es so weit kommt. Sie halten die Duma-Entscheidung für einen Teil der großen Nervenschlacht. "Am Ende des Tages", sagt Stanowaja, "wird es keine Anerkennung geben." Russland stehe zu dem Minsker Abkommen, sagte auch Kremlsprecher Peskow am Dienstag. Trotzdem hat Putin nun immerhin die offizielle Aufforderung des Parlaments auf dem Tisch. Und das Orakeln der Experten dürfte ihm gefallen.

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