Wahl in Russland:Der Westen muss sich schützen

Wahlkampfveranstaltung in Russland

Putin bei einer Wahlkampfveranstaltung im Luschniki-Stadion in Moskau.

(Foto: dpa)

An diesem Sonntag wird Wladimir Putin zum neuen alten Präsidenten gewählt. Sein Land fällt derweil immer weiter zurück. Und trägt seine Kämpfe längst jenseits der russischen Grenzen aus.

Kommentar von Julian Hans

Am Sonntag, dem vierten Jahrestag der Krim-Annexion, lässt sich Wladimir Putin das Mandat für weitere sechs Jahre im Kreml geben. Das Ergebnis, davon darf man ausgehen, wird überwältigend ausfallen und Putin noch einmal Anlass für eine triumphale Rede bieten à la: Wieder einmal habe Russland bewiesen, dass es stark ist, wenn es geeint ist. Das Volk geschlossen hinter ihm. Aber schon ab Montag wird eine Frage im Raum stehen, die von Tag zu Tag lauter hallen wird: Was kommt nach Putin? Wer oder was soll das Volk dann einen? Hinter wem soll es sich sammeln, damit das Land stark bleibe?

Die Verfassung erlaubt dem Präsidenten nur zwei Amtszeiten hintereinander. Beim letzten Mal hat Putin die Regel umgangen, indem er seinen Getreuen Dmitrij Medwedjew der Form halber eine Weile als Präsident regieren ließ. Das wird nicht noch mal funktionieren. Der Unmut, den die Machtmauschelei seinerzeit im Volk auslöste, ist dabei das geringste Problem. Entscheidender ist, dass die Außenpolitik und das Oberkommando über die Streitkräfte Sache des Präsidenten sind. Das sind die einzigen Felder, auf denen Putin zuletzt noch glänzen konnte, während es wirtschaftlich bergab ging. Der Ärger über niedrige Löhne, steigende Preise und schlechte Gesundheitsversorgung soll auch künftig an Medwedjew haften bleiben.

Die Frage nach der Nachfolge lastet deshalb so schwer, weil in den 18 Jahren, die Putin das Land regiert, Staat und Gesellschaft immer mehr auf ihn ausgerichtet wurden. Das begann mit der Gleichschaltung des Fernsehens und der Entmachtung der Gouverneure in seiner ersten Amtszeit. Viele haben das damals begrüßt, auch im Westen. Ein trockener KGB-Zögling anstelle des zuletzt kaum noch trocken anzutreffenden Boris Jelzin. Machtvertikale statt Anarchie. Dazu kam die Rhetorik von einem europäischen Russland, vorgetragen auf Deutsch im Bundestag.

Die Wahl am Sonntag ist mehr ein Bestätigungsritual für Putin als eine echte Wahl

Diese hat sich inzwischen ins Gegenteil verkehrt. Drohungen gegen den Westen sind zur Ersatzbefriedigung geworden für ein Volk, das sich im Alltag mit immer weniger zufriedengeben muss. Das Fernsehen führt Armenspeisungen durch - auf dem Speiseplan steht die tägliche Dosis Großmachtstolz. Dafür werden Kriege geführt in der Ukraine und in Syrien; und Angriffe im Cyberspace. Putin schwärmt von neuen Massenvernichtungswaffen, die angeblich alles je Dagewesene in den Schatten stellen. Die Eskalation ist zum Elixier seiner Herrschaft geworden: Sie schafft den Eindruck, nur einer sei in der Lage, die hochriskante Situation im Griff zu haben, die er selbst immer wieder neu erzeugt. "Solange Putin da ist, gibt es Russland", hat Wjatscheslaw Wolodin vor einigen Jahren gesagt, damals Chef der Kreml-Administration und heute Parlamentsvorsitzender. "Ohne Putin kein Russland."

In einem Interview vor der Wahl hat Putin diesen Gedanken auf schreckliche Weise weitergesponnen: Ein nuklearer Angriff der USA würde unverzüglich zu einem atomaren Gegenschlag Russlands und in letzter Konsequenz zur Vernichtung der Menschheit führen, sinnierte er ruhig. "Wozu brauchen wir eine Welt, in der es kein Russland gibt?"

Die Frage für die kommenden sechs Jahre wird sein, ob es gelingt, das Land aus dieser Fixierung auf eine Person wieder zu befreien. Oder ob Putin längst selbst ein Gefangener der Umstände ist, die er mitgeschaffen hat. Die nötigen Garantien für einen Rückzug könnte ihm nur der Geheimdienst geben, was bedeutet, dass ein Nachfolger mit hoher Wahrscheinlichkeit aus den Diensten kommen oder zumindest von ihnen gebilligt werden wird. Alternativ wird der Kreml Szenarien entwickeln, wie Putin über das Jahr 2024 hinaus an der Macht bleiben könnte. Beispiele dafür gibt es in ehemaligen Sowjetrepubliken in der Nachbarschaft zuhauf. In Kasachstan etwa führt der 77-jährige Nursultan Nasarbajew inzwischen seit 28 Jahren das Regiment. In diesem Alter wäre Putin erst bei der übernächsten Wahl im Jahr 2030.

Schon die Präsidentschaftswahl an diesem Sonntag ist mehr ein Bestätigungsritual für Putin als eine echte Wahl. Sollte die Manöverkritik im Kreml positiv ausfallen, könnte diese Wahl als Blaupause für ein Referendum dienen, in dem das Volk Putin zu gegebener Zeit bittet zu bleiben und gleichzeitig eine Änderung der Verfassung absegnet. Warum sollte dem russischen Präsidenten verwehrt werden, was Chinas Volkskongress gerade Xi Jinping erlaubt hat - Regieren auf Lebenszeit?

Allerdings gibt es einen wichtigen Unterschied: Während China dabei ist, die USA als größte Volkswirtschaft der Erde abzulösen, fällt Russland weiter zurück. Das größte Wachstumshindernis, darin sind sich die Ökonomen einig, ist der Staat selbst. Vetternwirtschaft, Überregulierung und fehlende Rechtssicherheit stehen einer Befreiung aus der Abhängigkeit von Öl und Gas im Wege.

Diese Gemengelage wird die kommenden Jahre prägen: Die Konflikte im Zentrum der Macht werden immer härter ausgetragen. Dabei ringen unterschiedliche Flügel in Geheimdiensten, Militär und Wirtschaft um Einfluss. Unter Konzernen grassiert der Kanibalismus, die Zivilgesellschaft muss nach einer Schonfrist wegen der Fußballweltmeisterschaft mit neuen Repressionen rechnen.

Von außen werden diese Vorgänge schwer zu durchblicken und kaum zu beeinflussen sein. Gleichwohl wird das Ausland davon berührt sein, sei es durch den schrillen Ton der Propaganda, sei es, weil die Kämpfe längst jenseits der russischen Grenzen ausgetragen werden, in harmlosen Fällen vor britischen Gerichten, in schlimmeren mit Waffen oder Gift. Dem Westen bleibt nicht viel übrig, als sich zu schützen - indem Militär und Geheimdienste abwehrbereit gehalten werden und die Demokratie gesund. Denn es mögen russische Hacker gewesen sein, die Desinformation betrieben, aber es waren Amerikaner, die Donald Trump wählten.

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