Süddeutsche Zeitung

Pulsnitz:Groß im Kleinen

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Bürgermeister fühlen sich bedroht, Bürger unverstanden. Der Bundespräsident bringt sie an einen Tisch.

Von Hannah Beitzer, Pulsnitz

Es braucht heute gar kein Flüchtlingsheim mehr, damit es für eine Bürgermeisterin unangenehm werden kann. In Pulsnitz in Sachsen war es zuletzt der Abriss einer alten Sporthalle, der einige Bürger so aufbrachte, dass sie die parteilose Bürgermeisterin Barbara Lüke beschimpften und beleidigten. Mit Argumenten, erzählt die Lokalpolitikerin, sei dagegen nicht anzukommen: "Es wird nicht zugehört." Da sei es egal, dass die Sporthalle schon fast eingestürzt sei, unsanierbar. Lüke erzählt das an einer langen Tafel im Restaurant "Schumanns Genusswerkstatt", in deren Mitte Frank-Walter Steinmeier sitzt. Der Bundespräsident trifft regelmäßig Bürgerinnen und Bürger zu derartigen "Kaffeetafeln" und bringt so Menschen mit unterschiedlichen Ansichten zusammen.

Barbara Lüke hat Steinmeier im Sommer bei einem Treffen kennengelernt, in dem es um die schwierige Situation deutscher Kommunalpolitiker ging. Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister berichteten damals von Galgen im Garten, von Fäkalien im Briefkasten. "Drei dieser Bürgermeister haben mir inzwischen gesagt, dass sie aus Rücksicht auf ihre Familie nicht mehr antreten wollen", erzählt Steinmeier nun. Dabei brauchte Deutschland gerade diese Menschen, die die große Politik im Kleinen umsetzen. "Sie sind das Gerüst der Demokratie." Unweigerlich kommt einem da der Fall von Martina Angermann in den Sinn, SPD-Bürgermeisterin der sächsischen Gemeinde Arnsdorf, die nach monatelangen Hetzkampagnen gegen ihre Person bis hin zu Gewaltandrohungen ihr Amt aufgab. Und natürlich der Mord an Walter Lübcke.

Hübsch sanierte Altbauten, wenig Arbeitslosigkeit: Woher kommt die miese Stimmung in Pulsnitz?

Doch woher kommt überhaupt die schlechte Stimmung, die nach Ansicht der Runde die Grundlage bildet für die Gewalt? In Pulsnitz jedenfalls gibt es auf den ersten Blick gar nicht so viel Grund zu klagen. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig, die Altstadt hübsch saniert, die Bevölkerung ist stolz auf ihre Pfefferkuchentradition. Ein anwesender Kommunalpolitiker berichtet von einem entspannten Wahlkampf, von Gesprächen mit zufriedenen Bürgern - die dann trotzdem ihr Kreuz bei der AfD machen. "Dabei waren die Leute, die da für die AfD auf der Liste standen, vorher nie in Erscheinung getreten", sagt er. Sein Fazit: Es kann dabei nur um Protest gehen - ein Fazit, das einem ebenfalls eingeladenen AfD-Anhänger nicht gefällt. Er will die AfD als normale Partei verstanden wissen, nicht als Sammelbecken für Unzufriedene.

Doch was stört sie denn nun, die Pulsnitzer, egal ob AfDler oder nicht? Die Sprache kommt auf die Nachwuchssorgen in der Pflege, auf den Mittelstand, der sich von zu viel Bürokratie bedroht fühlt, auf Familien, die sich keine Häuser mehr leisten können, auf Politiker mit zu wenig Demut. Ziemlich einig sind sich alle, dass es falsch sei, dass die AfD so oft vom Diskurs ausgeschlossen werde. Irgendwann flüstert eine Teilnehmerin der Runde mehr als sie sagt: "Es traut sich niemand, öffentlich die Meinung zu sagen." Was ein wenig seltsam anmutet, wenn man gerade einem doch recht lebhaften Meinungsaustausch in Anwesenheit des Bundespräsidenten beiwohnt. Und wenn soziale Netzwerke nur so überquellen vor Meinungen, die die Grenze zur Hetze nicht selten überschreiten.

Gisela Pallas, Bürgermeisterin einer Nachbargemeinde, beobachtet da eine zunehmende Aggressivität. "Die Leute haben den Eindruck, die eigene Meinung nur mit Gewalt durchsetzen zu können." Und was ist nun mit der Sporthalle in Pulsnitz, warum sorgt sie für so viel Hass? Steinmeiers Frau Elke Büdenbender, die mitgereist ist, versucht eine Deutung: "Ist sie vielleicht ein Symbol für einen Ort, an dem man sich trifft? Dafür, dass diese Plätze immer mehr verloren gehen?" Ein Pulsnitzer zuckt mit den Schultern. "Eigentlich gibt es hier so viele Orte, an denen sich alle treffen können." Dann sagt er einen Satz, für den er viele laute Lacher erntet: "Gejammer auf hohem Niveau gehört in Deutschland dazu."

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Quelle:
SZ vom 12.12.2019
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