Puigdemont zur Unabhängigkeit:Katalonien lenkt vorerst ein

  • Im Streit mit Spanien verschiebt Kataloniens Regierungschef Puigdemont faktisch die Ausrufung der Unabhängigkeit der Region.
  • Er begründet dies damit, dass er den Dialog mit Madrid suchen wolle.
  • In seiner Rede vor dem Parlament beklagt er, dass die spanische Zentralregierung jeglichen Dialog "radikal und absolut" abgelehnt habe.

Von Thomas Urban, Barcelona

Nach Warnungen aus Madrid sowie aus Brüssel hat der katalanische Regionalpräsident Carles Puigdemont am Dienstagabend die Entscheidung über eine Unabhängigkeit der Region verschoben. Er sagte vor dem Regionalparlament in Barcelona, die Katalanen hätten sich im Referendum vom 1. Oktober zwar eindeutig für eine Abspaltung von Spanien ausgesprochen. Diese werde aber vorerst nicht umgesetzt, um Zeit für einen Dialog mit Madrid zu schaffen. Später unterzeichneten Puigdemont und andere Abgeordnete ein Dokument, das die Unabhängigkeit und zugleich deren Aussetzung erklärt.

Ein Sprecher der Zentralregierung wertete die Rede Puigdemonts als "implizite" Unabhängigkeitserklärung und bezeichnete diese als "inakzeptabel". Puigdemont habe Katalonien "in die größtmögliche Ungewissheit gestürzt", sagte die stellvertretende Ministerpräsidentin Soraya Saéz de Santamaría. Für diesen Mittwoch setzte die Regierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy (konservative Volkspartei, PP) eine Krisensitzung an, um über weitere Schritte zu beraten. Für den Fall einer Unabhängigkeitserklärung hatte Madrid zuvor "geeignete Maßnahmen zur Verteidigung der Einheit des Landes" angekündigt.

"Wir erleben einen außerordentlichen Moment von historischer Dimension", sagte Puigdemont zu Beginn seiner halbstündigen Rede vor dem Plenum. Er erwarte, dass Madrid die Interessen der Bevölkerung der Region stärker respektiere als bislang. "Wir sind keine Verbrecher, wir sind keine Putschisten", sagte er.

Puigdemont beklagte, dass die Zentralregierung in Madrid jeglichen Dialog über die Zukunft Kataloniens "radikal und absolut" abgelehnt habe. Er verwies darauf, dass Rajoy als Oppositionsführer vor einem Jahrzehnt die Aufhebung des Autonomiestatuts für Katalonien mit Erfolg vorangetrieben habe, obwohl dieses von den Parlamenten in Madrid und Barcelona sowie von den Katalanen in einem Referendum angenommen worden war.

Drohung mit Artikel 155

In den Stunden vor dem Auftritt Puigdemonts hatten Sprecher der PP angekündigt, dass "weit über den Artikel 155 hinausgehende Maßnahmen" ergriffen würden, um die verfassungsmäßige Ordnung wieder herzustellen. Artikel 155 erlaubt die Aussetzung der Autonomie für eine Region, sie würde somit direkt von Madrid aus verwaltet.

Nach den Worten Puigdemonts müsste ein Weg gefunden werden, um die Trennung Kataloniens von Spanien einvernehmlich zu regeln. Die Sprecher der oppositionellen liberalen Bürgerpartei (Ciudadanos) und der Sozialisten erklärten hingegen, Puigdemont habe keinerlei Mandat, die Unabhängigkeit zu erklären, da das Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober nicht nur illegal gewesen sei, sondern überdies auch keine Mehrheit für seinen Kurs ergeben habe. Zwar hatten laut Wahlkommission 90 Prozent für die Ausrufung der Unabhängigkeit gestimmt. Die Beteiligung hatte jedoch nur bei 43 Prozent gelegen.

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