Psychologie:Gesunder Selbstbetrug

Wer sich positiv einschätzt, hilft seinem Körper und lebt länger.

Von Werner Bartens

Matratzen hochwuchten, Betten machen, im Bad in jede Ecke kriechen: Reinigungskräfte müssen sich ziemlich anstrengen, um Hotelzimmer in Ordnung zu bringen. Doch obwohl sie die medizinischen Empfehlungen für regelmäßige Bewegung locker erfüllen, haben viele das Gefühl, körperlich inaktiv zu sein. Das änderte sich bei einigen Putzfrauen, als Psychologinnen der US-Universität Harvard ihnen für ein Experiment erklärten, dass ihr aktiver Berufsalltag durchaus gesund sei. Fortan fühlten die Reinigungskräfte sich im Vergleich zu Kolleginnen besser, nahmen an Gewicht ab, und ihr Blutdruck normalisierte sich.

Klar, das Leben ist hauptsächlich Kopfsache - und wozu der Körper in der Lage ist, eher eine Frage des sogenannten Mindsets als der Muskeln. Wie stark sich die Selbstwahrnehmung auf handfeste physiologische Messwerte auswirkt, wurde vielen Ärzten und Psychologen jedoch erst klar, nachdem der erwähnte Harvard-Versuch vor mehr als zehn Jahren publiziert worden war. "Das passende Selbstbild beeinflusst die Gesundheit positiv", so die Folgerung der Psychologinnen.

An trüben Novembertagen, an denen sich die Laune allenfalls auf Höhe des Bodennebels erhebt und Neujahrsvorsätze scheitern, noch bevor sie formuliert worden sind, lohnt der Griff in den Erste-Hilfe-Kasten des sanften Selbstbetrugs. Warum also nicht den trägen Körper mit einem entsprechend präparierten Geist überlisten?

Eine der Harvard-Forscherinnen hat, nachdem sie an die Universität Yale gewechselt war, gezeigt, wie leicht sich der Mensch und seine Hormone in die Irre führen lassen. In einem Versuch erhielten Freiwillige einen Milchshake mit 380 Kalorien. Der Hälfte der Teilnehmer wurde gesagt, dass sie ein 620-Kalorien-Getränk zu sich nehmen würden, der anderen Hälfte, dass es sich um einen Diätdrink mit gerade mal 140 Kalorien handele. Wer die vermeintliche Kalorienbombe getrunken hatte, fühlte sich nicht nur weniger hungrig, sondern das dafür zuständige Hormon Ghrelin zeigte auch einen deutlich höheren Sättigungsgrad an.

Als "subjektive Ideologie", Denkmuster oder Selbstkonzepte bezeichnen Soziologen und Psychologen diese Formen der Eigenwahrnehmung. In Zeiten lähmender Lethargie kann ein positives Bild von den eigenen Fähigkeiten dabei helfen, enge Vorstellungen der eigenen Begrenztheit zu erweitern. Forscher betonen, dass es dabei nicht um platte Motivationsformeln geht, sondern um handfeste Vorteile für die Gesundheit.

Erst kürzlich haben Psychologen aus Stanford gezeigt, dass sich die Selbsteinschätzung der eigenen Bewegungsfreude massiv auf die Lebenserwartung auswirkt. Wer sich für überdurchschnittlich aktiv hält, lebt länger, auch wenn dies nicht dem tatsächlichen Ausmaß an Bewegung entspricht. Wer sich hingegen für weniger aktiv hält als seine Altersgenossen, erhöht die Wahrscheinlichkeit um erstaunliche 71 Prozent, vorzeitig zu sterben. Ein positives Selbstbild ist also weniger ein Zeichen von Eitelkeit, sondern gesund. "Wir sollten immer danach fragen, wie aktiv und gesund sich die Leute selbst sehen", fordern Forscher daher. "So können wir zielgerichtet Risiken erkennen und früh helfen."

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