Psychologie:Einer von uns

Menschen betrachten sogar Maschinen als Verbündete oder Feinde.

Von Sebastian Herrmann

Maschinen können große Gefühle wecken. Ohnmacht zum Beispiel, außerdem Wut, Hass und Zerstörungslust. Neulich, kurz vor einer dieser vielen dringenden Home-Office-Online-Konferenzen, verabschiedete sich schon wieder das Wlan. Stecker rein, Stecker raus, warten, drücken, fluchen, hoffen und hassen. Immerhin startete der Rechner ohne Netzzugang kein Update, was sonst zu jeder sich bietenden, unpassenden Gelegenheit geschieht. Wie vielfältig die von der Technik geweckte Gefühlspalette sein kann, berichten nun Psychologinnen um Dorina de Jong von der Universität Glasgow. Demnach können Maschinen nicht nur Wut und Frustration, sondern auch Schadenfreude und sogar Empathie im Menschen wecken.

Das klingt zunächst lustig, ist jedoch ein weiterer Beleg für das Stammesdenken im Menschen. Die Studie zeigt, wie tief der Instinkt reicht, die Welt in ein "Wir" und ein "sie" einzuteilen. Wir gegen die anderen: Das alte Prinzip greift - egal, ob es Menschen oder Maschinen trifft. Wer zum eigenen Team gehört, darf Mitgefühl erwarten. Für die Mitglieder der anderen Seite sind Schadenfreude und Misstrauen reserviert, denn das sind ja die Bösen. Im Fall der Studie handelte es sich um Roboter, denen diese gemischten Gefühle galten. Zusammen mit menschlichen Probanden traten die Maschinen gegen andere Teams in einem Wettbewerb an. Gehörte ein Roboter zur eigenen Gruppe, war ihm also die Empathie seiner Mitmenschen sicher; zählte er zur gegnerischen Mannschaft, erwartete ihn Schadenfreude.

Empathie gilt in der populären Diskussion gemeinhin als etwas Grundgutes. Doch Studien haben immer wieder auch die dunkle Seite dieser Empfindung beobachtet. Empathie reservieren Menschen in der Regel für die Mitglieder der eigenen Horde, die Ablehnung anderer stärkt sogar den Zusammenhalt der eigenen Gruppe. Je stärker die Identifikation mit dieser Gemeinschaft ist, desto kräftiger fallen auch Mitgefühl für die eigenen Leute und Ablehnung der jeweiligen Gegenseite aus.

Wie schnell sich Menschen in Teams einsortieren, haben die klassischen Minimalgruppen-Experimente des Psychologen Henri Tajfel gezeigt. Es reichte zum Beispiel, die Gruppenmitgliedschaft per Münzwurf zufällig zu bestimmen. Sobald die Sortierung ausgesprochen war, begannen die Fraktionen, eigene Mitglieder zu bevorzugen und die der Gegenseite mit Misstrauen und Ablehnung zu betrachten. Dazu passen die aktuellen Roboter-Ergebnisse: Verbündete und Gegner müssen also nicht einmal Menschen sein, um solche Reflexe zu wecken.

In diesem Mechanismus gründet sich die destruktive Kraft der Identitätspolitik. Diese Großströmung der Gegenwart schafft permanent neue Gruppen, die sich aufgrund von Geschlecht, Nationalität, sexueller Präferenz oder anderen Merkmalen zusammenfinden. Meist konstituieren sich diese gefühlten Kollektive in expliziter Gegnerschaft zu anderen Gruppen, von denen man sich drangsaliert, marginalisiert oder sonst wie schlecht behandelt wähnt. Dieser Gegenseite gelten dann Hass und Misstrauen, den eigenen Leute Empathie und Unterstützung. Psychologinnen um Samantha Stevens von der University of California in San Diego haben das gerade in einer weiteren Studie gezeigt. Mit Empathie darf ein Politiker im Fall eines tragischen Missgeschicks nur rechnen, wenn er einer "von uns" ist.

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