Psychiatrie:Der entfesselte Patient

Das Verfassungsgericht hat ein gutes Urteil gefällt: Es ordnet die Fixierung der Fixierung an. Es reagiert damit auf eine Urangst vieler Menschen - auf die Angst, auf einmal hilflos in einer heillosen Maschinerie zu stecken. Solche Ängste hatte zuletzt der Fall Mollath geweckt.

Von Heribert Prantl

Es mag Leute geben, denen der verfassungsrechtliche Bohai wegen ein paar Fixierungen in der Psychiatrie etwas übertrieben vorkommt. Nein, er ist nicht übertrieben. "Fixierung" ist ein harmlos klingendes Wort für eine brutale Sache. Es geht darum, wann und wie und von wem, auf wessen Anordnung und wie lange ein psychisch kranker Mensch festgebunden oder festgeschnallt werden darf - zu seinem eigenen Schutz oder zum Schutz der Menschen in seiner Umgebung. Es geht um eine Kernfrage des Rechts: Was darf der Staat einem Menschen antun?

Das Bundesverfassungsgericht hat nun sehr klar geurteilt, grundsätzlich und pragmatisch zugleich: Über Freiheitsbeschränkungen muss in einem Rechtsstaat der Richter entscheiden, auch wenn es umständlich zu sein scheint, auch wenn es die Abläufe in einer Klinik zu stören scheint. Warum? Weil die Fesselung die extremste Form der Freiheitsbeschränkung ist. Ohne richterliche Genehmigung kann und darf daher künftig eine Fixierung, die medizinisch unabdingbar erscheint, allenfalls sehr kurze Zeit dauern. Das heißt: Bei akuter Eigen- oder Fremdgefährdung, wenn es sehr schnell gehen muss, ist die Fixierung zwar zulässig, die richterliche Genehmigung muss aber umgehend nachgeholt werden.

Ansonsten macht sich der Arzt der Freiheitsberaubung schuldig. Wann darf die Psychiatrie einen Menschen so ans Bett fesseln, dass er sich überhaupt nicht mehr rühren kann? Festgeschnallt an Armen und Beinen, an Stirn und Brust, tagelang womöglich? Darf die Psychiatrie ein Ort sein, der es in Kauf nimmt, dass die festgeschnallten Kranken ins Fixierbett pinkeln, weil niemand rechtzeitig auf ihr Rufen reagiert? Um solche Fragen ging es im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Fixierung. Das Urteil sagt: Die Psychiatrie darf kein rechtloser Ort sein. Das Urteil sagt: Die Psychiatrie bedarf der Verrechtlichung. Das Urteil sagt: Ein Mensch in der Psychiatrie ist Subjekt, nicht Objekt. Das Urteil sagt: Die Freiheitsbeschränkung, die die stationäre Psychiatrie ohnehin mit sich bringt, schließt nicht automatisch noch zusätzliche, härtere Formen der Freiheitsbeschränkung mit ein.

Das Urteil sagt: Fesselung ist grundsätzlich nicht erlaubt. Ausnahmen darf nicht ein Arzt, sondern nur der Richter erlauben. Kann die Erlaubnis nicht vorab eingeholt werden, darf die richterlich nicht genehmigte Fixierung nur eine halbe Stunde dauern. Und: Der fixierte Kranke muss von den Ärzten sorgfältig und fürsorglich überwacht, die Fixierung muss von ihnen penibel dokumentiert werden. Das Urteil ordnet die Fixierung der Fixierung an. Es ist dies ein gutes Urteil; es reagiert auf Urängste - wie sie zuletzt der Fall des Gustl Mollath geweckt hat, der siebeneinhalb Jahre in der Psychiatrie festgehalten wurde.

Viele kennen noch andere Fälle aus der Verwandtschaft oder der Bekanntschaft, bei denen es jemanden in einer psychischen Notlage "erwischt" hat, der auf einmal um sich schlug oder mit Selbstmord drohte. Ist das dann eine Situation, in der das Recht beiseite tritt und dem Zugriff der sichernden Gewalt freien Raum gibt? Nein, in dieser Situation ist das Recht in besonderer Weise gefordert. Das Recht ist besonders für Schutzbedürftige da. Ein psychisch kranker Mensch ist besonders schutzbedürftig. Das Bundesverfassungsgericht gibt ihm diesen Schutz. Dafür ist dem Gericht zu danken.

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