Umstrittene Behandlungen von Kindern:Prozess gegen Psychiater Winterhoff beginnt im Februar

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Ein Star seiner Branche: Michael Winterhoff. (Foto: Stefan Arend/FUNKE Foto Services)

Das Landgericht Bonn sieht 40 Verhandlungstage im Verfahren gegen den bekannten Kinder- und Jugendpsychiater Michael Winterhoff vor. Die Anklage: gefährliche Körperverletzung in 36 Fällen, begangen an Minderjährigen.

Von Rainer Stadler

Das Landgericht Bonn hat den Beginn des Prozesses gegen den Bonner Kinder- und Jugendpsychiater Michael Winterhoff für den 12. Februar angesetzt. Vorgesehen sind 40 Verhandlungstage. Nach jetzigem Stand wäre damit Ende Juli mit einem Urteil zu rechnen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 69-jährigen Psychiater, Autor mehrerer Bücher und bekannt aus zahlreichen Fernsehsendungen, „gefährliche Körperverletzung in 36 Fällen“ vor.

WDR und Süddeutsche Zeitung hatten im August 2021 erstmals über mehrere Kinder und Jugendliche berichtet, die bei Winterhoff in Behandlung waren. Vielen von ihnen diagnostizierte er „frühkindlichen Narzissmus“ und „Eltern-Kind-Symbiose“. Beide Diagnosen sind in Fachkreisen umstritten. Er verordnete seinen jungen Patientinnen und Patienten, zum Teil über Jahre, das Medikament Pipamperon, das sedierende Wirkung hat und schwere Nebenwirkungen auslösen kann. Die Staatsanwaltschaft Bonn schreibt in der Anklage, für diese Verordnung habe „keine Indikation im Rahmen der Zulassung des Medikaments“ bestanden, Winterhoff habe die von ihm diagnostizierten Krankheiten nicht gemäß den ärztlichen Leitlinien abgeklärt.

Die Staatsanwaltschaft hat zunächst Hunderte Fälle ermittelt

Die Sorgeberechtigten habe Winterhoff nicht umfassend über die Nebenwirkungen aufgeklärt, sie hätten deshalb „nicht selbstbestimmt“ über die Medikation ihrer Kinder entscheiden können. Der sedierende Effekt von Pipamperon habe dazu gedient, die Kinder „für die von ihm vertretenen und den Erziehungspersonen empfohlenen autoritären Erziehungsmethoden gefügig“ zu machen, hießt es in der Anklage weiter. Ein Teil der jungen Patienten von Winterhoff kam aus Einrichtungen der Jugendhilfe in ganz Deutschland. Nach Informationen von WDR und SZ setzte sich der Bonner Kinderpsychiater in mehreren Fällen dafür ein, Eltern oder Sorgeberechtigten das Sorgerecht zu entziehen, die gegen die Verordnung des Medikaments protestierten.

Die Staatsanwaltschaft Bonn hat laut eigenen Angaben zunächst Hunderte Fälle ermittelt. Aus Gründen der „Verfahrensverschlankung und -effizienz“ seien schließlich 36 Fälle zur Anklage gekommen, erklärt ein Sprecher. Bei diesen Fällen sei die Beweislage am besten, die Folgen der Behandlungen seien am gravierendsten. Ein solches Vorgehen ist bei so komplexen Sachverhalten üblich. Das Landgericht Bonn erklärte, dass sieben Betroffene, die als Kinder und Jugendliche von Winterhoff behandelt wurden, in dem Prozess als Nebenkläger auftreten sollen.

Kinderpsychiater Winterhoff hat die Vorwürfe bisher abgestritten, er sei davon ausgegangen, dass seine Behandlung rechtskonform gewesen sei. Er behauptet, das Medikament Pipamperon nur dann verschrieben zu haben, wenn Kinder von Aggressionen, Stimmungslabilität oder Verwirrtheit beherrscht und für das Gegenüber nicht anders erreichbar waren. Es sei eine regelmäßige Überprüfung erfolgt, ob die medikamentöse Behandlung noch notwendig ist oder angepasst werden muss.

Obwohl der Prozessbeginn noch bevorsteht, hat das Verfahren in der Polizeistatistik bereits Spuren hinterlassen. Die Bonner Polizei meldete im Frühjahr einen drastischen Anstieg der gefährlichen Körperverletzungen. Erklärung: Die Statistik berücksichtigt auch die Fälle, die Winterhoff zur Last gelegt werden.

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