Psyche:Krieg in den Köpfen der Flüchtlinge

Psyche: In Deutschland sind solche Szenen nicht vorstellbar - in den Köpfen der Geflohenen sind sie oft Alltag.

In Deutschland sind solche Szenen nicht vorstellbar - in den Köpfen der Geflohenen sind sie oft Alltag.

(Foto: AFP)

Wer aus Syrien oder Afghanistan geflohen ist, hat für uns Unvorstellbares erlebt. Aber noch lange nicht jeder Traumatisierte ist ein möglicher Gewalttäter.

Kommentar von Paul-Anton Krüger

Menschen, die aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan geflohen sind, suchen in aller Regel Sicherheit. Sie fliehen vor Bomben und Granaten, vor Gewalt und Verfolgung. Von dem, was einmal ihr Leben war, ist oft nichts geblieben, außer Trümmern. Sie haben Anspruch auf Schutz in Deutschland, ein Recht, das zum Kernbestand und zur Identität unsere Gesellschaft und politischen Ordnung zählt.

Die meisten dieser Menschen haben Dinge erlebt, am eigenen Leib, in ihrem engeren oder weiteren Umfeld, die für die große Mehrheit in Deutschland die Grenzen alles Vorstellbaren sprengen. Die Generation, die in Europa noch die Gräuel des Kriegs und die Schrecken der Flucht bewusst erlebt hat, ist heute im Greisenalter.

Die Gesellschaften, aus denen die Menschen heute fliehen, haben bei allen Unterschieden eines gemeinsam: ein horrend hohes Gewaltniveau. In Syrien führt das Regime seit Jahren unter den Augen des weithin untätigen Westens einen Vertreibungsfeldzug gegen einen Teil des eigenen Volkes. Fassbomben terrorisieren von Rebellen kontrollierte Wohngebiete. Bäckereien, Märkte, selbst Krankenhäuser werden gezielt angegriffen. Zigtausende verschwinden in einem System aus Folterknästen. Und in vielen Rebellengebieten herrschen Gruppen, die schwerste Menschenrechtsverletzungen begehen.

Die wenigsten Traumatisierten sind aggressiv oder gefährlich

Der Westen trägt Mitverantwortung. In Syrien hat er weggeschaut und blieb untätig. Im Irak war es die herbeigelogene Invasion der Amerikaner mit ihren verheerenden Folgen, die Gewalt auslöste. In Afghanistan war man nur in Teilen erfolgreich mit dem nation building, dem Versuch, Demokratie und Gesellschaftsformen nach westlichem Muster zu errichten. Allerdings reichen die Wurzeln der Gewalt weiter zurück.

Es ist gerade in Deutschland ein populäres Märchen, in den genannten Ländern wäre vorher alles friedlich und stabil gewesen. Es reagierten teils über Jahrzehnte dieselben Herrscher, das schon, aber die Gesellschaften sind seit Jahrzehnten zerfressen von Gewalt. Sie war in diesen autokratischen Ländern Herrschaftsprinzip, und ist es zum Teil bis heute.

Saddam Hussein etwa führte Angriffskriege gegen Iran und Kuwait, vergaste Kurden, schlachtete Schiiten ab. Er und seine Söhne waren extrem gewalttätig und brutal. Der Diktator unterhielt einen Geheimdienst, dessen Grausamkeit ihm die Macht sicherte. Genauso verfahren oder verfuhren die Sicherheitsapparate in den Reichen der Assads oder Gaddafis. Aber auch in Ländern, die nicht von Bürgerkrieg zerrissen wurden, fürchten die Menschen die Staatsgewalt, weil sie oft willkürlich agiert - in Ägypten etwa, wo Tausende politische Gefangene einsitzen und Polizeibrutalität alltäglich ist.

Die "Willkommenskultur" zu geißeln ist billige Stimmungsmache

Die Flucht, so sie gelingt, führt zwar in physische Sicherheit, zumal wenn sie in einem Rechtsstaat wie Deutschland endet. Der Krieg ist in den Köpfen der Geflüchteten aber noch lange nicht vorbei. Zugleich bringt die Flucht für viele erneut schreckliche Erlebnisse mit sich: Beschuss, Misshandlung, Vergewaltigung, den Anblick ertrinkender Menschen. Nicht jeder Mensch, der Gewalterfahrungen erlitten hat, ist traumatisiert, aber viele sind es. Nach Einschätzung von Experten ist es jeder dritte Flüchtling, der nach Deutschland kommt, unter Kindern und Jugendlichen sogar jeder zweite. Die allerwenigsten Traumatisierten sind jedoch aggressiv oder gefährlich, das kann man nach den Attacken von Würzburg, Reutlingen und Ansbach nicht oft genug betonen.

Es war und bleibt richtig, den Menschen aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan Zuflucht zu bieten. Es ist ein Gebot der Mitmenschlichkeit, der Nächstenliebe, dass freiwillige Helfer, Organisationen und der Staat ihnen das Gefühl vermittelten, in Deutschland willkommen zu sein. Helfer deswegen als naiv zu verspotten oder die "Willkommenskultur" zu geißeln, ist billige Stimmungsmache. Nach Wolldecken, Jacken, Unterbringung und Sprachkursen brauchen viele dieser Menschen nun aber professionelle Hilfe, um mit Gewalterfahrungen fertigzuwerden. Da geschieht noch viel zu wenig.

Der Anschlag von Ansbach rechtfertigt auch keinen Generalverdacht gegen Syrer oder andere Flüchtlinge. Jedoch sind mit der ganz großen Mehrheit der Menschen, die Sicherheit suchen, auch Einzelne nach Europa gekommen, die anfällig für Radikalisierung sind oder die womöglich länger schon Gewalttaten planten. Deshalb muss der Staat in begründeten Verdachtsfällen Flüchtlinge überprüfen können, im Zweifel lieber einmal zu oft als einmal zu wenig. Wie man potenzielle Gewalttäter finden und stoppen kann, muss ebenso eine legitime Frage sein. Sie muss jedoch mit Augenmaß und Gelassenheit beantwortet werden.

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