Süddeutsche Zeitung

Prozess zur Elbvertiefung:Forellen gegen den Hamburger Hafen

Vordergründig geht es um den Tiefgang der Schiffe und die Anpassung der Elbe. Tatsächlich aber geht es im Prozess vor dem Bundesverwaltungsgericht um eine Grundsatzfrage: Was ist wichtiger, Wirtschaft oder Umweltschutz?

Von Marc Widmann

An sonnigen Abenden zieht es die Hamburger hinaus an den Elbstrand, sie graben die Füße in den Sand und genehmigen sich ein Feierabendbier, während vor ihnen die großen Pötte vorbeiziehen, hoch wie ein Häuserblock, lang wie vier Fußballfelder. Diese gewaltigen Containerschiffe, die in den vergangenen Jahren immer gewaltiger wurden, sind hier vor allem eines: eine atemraubende Kulisse.

Global betrachtet sind sie der Motor der Globalisierung. Sie transportieren 90 Prozent der weltweit gehandelten Güter, verstaut in normierten Containern aus Stahl. Sie transportieren alles so billig, dass es nur ein paar Cent kostet, um einen Tablet-Computer, ein Kuscheltier oder ein Paar Turnschuhe von der Fabrik in Asien zum Käufer nach Europa zu verfrachten. Der moderne Europäer stünde ziemlich nackt da ohne die Ware der schwimmenden Giganten. Doch billig ist nicht billig genug, der Transport soll noch preiswerter werden, noch effizienter, weshalb die Schiffe noch größer werden, so groß, dass sie nicht mehr in die Flüsse passen.

Die Frage ist nun, wer sich anpassen muss: Die Schiffe? Oder die Flüsse?

In Hamburg ist diese Frage traditionell schnell beantwortet. Die Stadt liegt an Deutschlands wichtigster Schifffahrtsstraße, der Elbe, die 130 Kilometer weit von der Nordsee zum Hamburger Hafen führt. Einst, vor 200 Jahren, war der Fluss gerade einmal dreieinhalb Meter tief. Je schneller die Schiffe wuchsen, desto öfter ließen die Hamburger die Bagger anrücken, acht Mal haben sie die Elbe inzwischen tiefergelegt, zuletzt zur Jahrtausendwende.

Jetzt ist es wieder so weit, jetzt sollen die Bagger zum neunten Mal heranschwimmen und einen weiteren Meter des Elbgrundes absaugen, damit auch Containerriesen mit einem Tiefgang von 14,5 Metern den Hafen erreichen können. Seit bald zehn Jahren laufen die Planungen, so lange tobt auch der Streit zwischen Wirtschaftsvertretern und Umweltschützern über die Grenzen des Wachstums. Über die Frage, was man der Elbe noch zumuten kann, bis sie stirbt.

Die Fachleute haben große Mühe, sich verständlich auszudrücken

Die entscheidende Phase dieses Streits hat nun in Leipzig begonnen, im reichlich vergoldeten Saal des Bundesverwaltungsgerichts. Hier verhandeln seit Dienstag fünf Richter über die Klagen der Umweltschützer von BUND und Nabu gegen die Elbvertiefung. Sechs Tage lang arbeiten die Richter nun ihre Frageliste ab, die bisweilen klingt wie eine Prüfung in Hydrologie und Biologie. Die Fragen sind so detailliert, dass die promovierten Fachleute auf beiden Seiten des Öfteren Mühe haben, sich allgemeinverständlich auszudrücken.

Gleich zu Beginn geht es um so einen Punkt, der für normale Zuhörer kaum verständlich ist, aber entscheidend sein kann. Es geht um ein Computerprogramm namens Sedimorph, mit dem die Bundesanstalt für Wasserbau zwei Wochen lang die vertiefte Elbe dreidimensional simulierte. Zwei Wochen nur, das sei viel zu kurz, kritisieren die Umweltschützer. "Warum gab es keine langfristige 3-D-Modellierung?", fragt dann auch der Vorsitzende Richter Rüdiger Nolte und lässt seine Stimme streng klingen. Die Behörde hätte doch externe Großrechner mieten können, falls die eigenen Computer nicht ausgereicht hätten.

Es sind solche Nachfragen, die bei den Umweltschützern die zarte Hoffnung keimen lassen, dass das Gericht den Ausbau doch noch stoppen könnte. Wankt ein zentrales Gutachten, auf dem alles basiert, dann wankt die gesamte Elbvertiefung.

In zwei großen Blöcken sitzen die beiden Parteien nebeneinander im Saal, links vor der Richterbank sitzen die Befürworter, ihre Anwälte, die Beamten zahlreicher Behörden, der Hamburger Wirtschaftssenator in feinem Tuch. Rechts daneben ist der Block der Umweltschützer, ihre Anwälte, Gutachter und Verbandsvorsitzenden, mit einer etwas niedrigeren Krawattenquote. Der Richter stellt seine Fragen abwechselnd in beide Richtungen, es wirkt, als moderiere er die größte Talkshow der Republik.

Tatsächlich führt er den bislang größten Umweltprozess der Landes. Wann er das Urteil sprechen wird, ist angesichts der komplizierten Materie offen, auch, ob er den Fall nicht doch noch an den Europäischen Gerichtshof überweist wie ein ähnliches Verfahren zur Weser. Manche spekulieren auf ein Urteil Ende August oder Anfang September. Sicher ist: Es wird ein entscheidender Tag sein für das Schicksal des Hamburger Hafens und das zahlreicher Lebewesen wie der Meerforelle.

Beatrice Claus sitzt im Block der Umweltschützer, die Biologin des Umweltverbandes WWF ist beunruhigt, denn derzeit steht es mal wieder schlecht um die Elbe. Seit Tagen zeigt die Messstation bei Blankenese bedrohlich niedrige Sauerstoffwerte an, phasenweise liegt der Wert nur noch bei einem Milligramm Sauerstoff pro Liter. Fische brauchen das Vierfache. Deswegen gibt es in diesen Tagen einen Fischstau auf der Elbe, unweit der Villen von Blankenese, wo mancher residiert, der dank des Hafens reich geworden ist. Die Meerforelle will eigentlich den Fluss hinaufschwimmen zu ihren Laichgebieten, sagt Claus, doch das Sauerstoffloch hält sie auf. "Sie kommt nicht durch", sagt die Biologin, "sie hat den Bauch voller Eier und weiß nicht, wohin."

"Eigentlich müssten sich die Schiffe den Flüssen anpassen - und nicht umgekehrt."

Für Claus ist das eine Folge der ständigen Ausbaggerungen: Die Elbe wird tiefer, die durchlichteten Zonen, in denen Algen den lebensnotwendigen Sauerstoff produzieren, werden immer weniger. Der Fluss verliere seine Lungen. Claus findet: "Eigentlich müssen sich die Schiffe den Flüssen anpassen und nicht die Flüsse den Schiffen."

Das finden auch die Anwohner aus dem Alten Land vor Hamburg, die vor dem Gericht protestieren, weil sie Angst haben um ihre Deiche. Ein alter Mann schimpft auf die Hamburger, die ihren Hafen ständig ausbauen wollten, während in Wilhelmshaven ein nagelneuer Tiefwasserhafen weitgehend ungenutzt bleibt. Sollen die Städte doch zusammenarbeiten, findet er, anstatt sich Konkurrenz zu machen.

Doch so denken die Hamburger nicht. Ihr Hafen ist für sie nicht nur "Jobmotor", wie die Befürworter immer wieder betonen, weil er 150 000 Menschen in der Region beschäftige. Jeder achte Euro, der in Hamburg erwirtschaftet wird, stammt direkt oder indirekt aus dem Hafen. Der Stadt beschert er Steuereinnahmen von etwa 800 Millionen Euro im Jahr. Deshalb, so sieht man es im Rathaus, sei es zweifellos im allgemeinen Interesse, wenn die Elbe ein weiteres Mal ausgebaggert wird.

"Ich kann mir eine totale Ablehnung kaum vorstellen", sagt Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) dann auch auf dem Gerichtsflur. "Ich habe ein gutes Gefühl, dass hier sachorientiert gearbeitet wird." Immerhin will die Stadt 80 Millionen für Ausgleichsmaßnahmen investieren, etwa um dem bedrohten Schierlings-Wasserfenchel eine neue Heimat zu bieten. Insgesamt schätzt die Stadt die Ausbaukosten auf 600 Millionen Euro. Davon könnte der Bund zwei Drittel übernehmen.

Für die Hamburger ist ihr Hafen vor allem auch das Fundament ihres Stolzes. Sollte das Projekt scheitern, drohe eine "Abwärtsspirale zu einem Hafen zweiter oder dritter Klasse", heißt es im Rathaus. Und das wäre für die Hansestadt nun wirklich eine beachtliche Zumutung.

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Quelle:
SZ vom 16.07.2014/mahu
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