Prozess wegen Luftangriff:Opfer von Kundus klagen gegen Deutschland

Fast hundert Zivilisten wurden bei einer Bombardierung in Afghanistan, die der deutsche Oberst Klein angeordnet hatte, getötet. Hinterbliebene der Opfer klagen nun auf Schadenersatz. Es geht um Geld, aber vor allem darum: Hat sich die Bundesrepublik schuldig gemacht?

Von Bernd Dörries, Bonn

Das sei ja keine Unsumme, die hier gefordert wurde, sagt Heinz Sonnenberger, der Vorsitzende Richter am Bonner Landgericht. Es geht um 90.000 Euro für drei Menschenleben. So kann man das rechnen. Es geht aber auch um viel mehr. Darum, ob Deutschland sich eben doch schuldig gemacht hat, in jener Septembernacht 2009, als Oberst Georg Klein im afghanischen Kundus einen Luftangriff auf zwei Tanklastwagen anforderte, bei dem wahrscheinlich um die hundert Menschen starben, darunter wohl viele Zivilisten, die Opferzahlen sind bis heute strittig.

Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages hat sich damit befasst und die Bundesanwaltschaft. Vor dem Landgericht Bonn begann am Mittwoch das erste große Zivilverfahren, zwei Hinterbliebene verklagen die Bundesrepublik auf Schadenersatz.

Abdul Hannan ist einer von ihnen und wäre auch gerne gekommen, zu diesem ersten Prozesstag nach Bonn, so wie es in der deutschen Justiz üblich ist. Sechs Kinder hatte der Bauer bis zu jener Nacht 2009, danach waren es nur noch vier - zwei Acht- und Zwölfjährige starben durch die Bomben. Hannan habe bisher kein Visum erhalten, sagt sein Anwalt Peter Derleder. Auch die zweite Klägerin nicht, eine 35-jährige Frau, die ihren Mann verlor und allein ist mit ihren sechs Kindern. Beide zusammen wollen 90.000 Euro von der Bundesrepublik, das sind 30.000 für jeden Toten, Schmerzensgeld und eine Entschädigung, weil der Ernährer nicht mehr da ist.

Der Vertreter des Verteidigungsministeriums schüttelt den Kopf

Das sei doch nicht viel, sagt der Richter. Und selbst wenn man es auf alle geschätzte 90 Opfer umrechne: immer noch eine Summe, die das Verteidigungsministerium, das auf der Seite der Beklagten sitzt, doch aufbringen könne. "Sie können sich ja auch an andere Ministerien wenden", sagt der Richter. Ans Außenministerium vielleicht. So viel Leid und so wenig Geld, um das man sich hier streite. So scheint es der Richter zu sehen.

Der Vertreter des Verteidigungsministeriums schüttelt aber den Kopf, von ihm sei kein Vergleichsangebot zu erwarten. Überhaupt müssten die Kläger erst einmal beweisen, dass die Toten wirklich ihre Familienangehörigen waren, zu viele Schummeleien habe man in Afghanistan schon erlebt.

Gut, sagt Richter Sonnenberger, dann werde man beim nächsten Mal mit den Beweisanträgen fortfahren. Zwei Dinge müssten die Kläger vor allem nachweisen können. Erstens, dass bei dem Angriff gegen das Völkerrecht verstoßen wurde und es keine Verhältnismäßigkeit gab zwischen der Zahl der Opfer und dem zu erwartenden militärischen Nutzen. Dazu müsse auch deutlich werden, dass die Bundesrepublik Deutschland tatsächlich die richtige Beklagte am Ende der Befehlskette sei. Und nicht etwa die Nato oder gar die Vereinten Nationen.

Neue Zeugen für neue Erkenntnisse

Das sind alles Fragen, denen sich zuvor schon die Bundesanwaltschaft gewidmet hatte und auch der Untersuchungsausschuss. Der Generalbundesanwalt hatte das Verfahren gegen Oberst Klein eingestellt, weil dieser nicht gegen geltendes Recht verstoßen habe und zum Zeitpunkt des Angriffs nicht davon ausgehen konnte, dass sich in großem Umfang Zivilisten an den Tanklastern befanden.

Die Bundeswehr verzichtete auf ein Disziplinarverfahren. Gehen musste hingegen der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU), der anfangs rundweg bestritten hatte, dass es in Kundus überhaupt zivile Opfer gegeben hatte. Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) enthob den Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, und Staatssekretär Peter Wichert ihrer Ämter. Er warf ihnen vor, sie hätten ihm Informationen zu den Luftanschlägen vorenthalten. Der Untersuchungsausschuss kam je nach Parteizugehörigkeit zu recht unterschiedlichen Ergebnissen: CDU und FDP waren der Ansicht, die Soldaten hätten nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt, SPD und Grüne sahen eine Reihe von Verstößen.

Jahrelang wurde über die Kundus-Affäre diskutiert und ermittelt. Strafrechtlich relevante Ergebnisse gab es keine, viele Details sind bekannt. Was erhoffen sich also die Kläger von einem Zivilverfahren vor dem Bonner Landgericht? "Wir wollen, dass das Gericht sich nicht nur auf die Ermittlungen der Bundeswehr stützt. Sondern auch externe Zeugen hört, Afghanen, Amerikaner", sagt der Anwalt der Klägerseite, Peter Derleder.

"Hauptmann X" bleibt verschwunden

Gegen manche Zeugen hätte auch der Richter nichts einzuwenden. Bisher könne er sich ja bei vielen relevanten Aussagen nur auf die Akten der Bundesanwaltschaft verlassen, sagt Heinz Sonnenberger. Zum Beispiel bei "Hauptmann X", der Oberst Klein darüber informiert haben soll, dass sich laut eines Informanten vor allem Taliban an den Tanklastern befanden. Daran wird sich aber wohl nicht viel ändern lassen, Zeuge X wird für das Landgericht wahrscheinlich unerreichbar bleiben.

Die Kläger argumentieren hingegen, dass selbst die Piloten der amerikanischen Jets Zweifel gehabt hätten, dass sich vor Ort nur Kämpfer befanden. Den Angriffen hätte ein Tiefflug vorausgehen müssen, um Zivilisten am Boden zu warnen. Dies werde auch auf den Videoaufnahmen deutlich, die von den Flugzeugen gemacht wurden. Auch die würde der Richter gerne sehen, hat sie aber noch nicht in seiner Akte. "Gibt es die auch auf YouTube, da gibt es ja heutzutage alles?", fragt er in den Saal.

Die Kläger sehen den ersten Prozesstag als Erfolg. Die Richter verwarfen den Antrag der Bundesrepublik, die Klage als unzulässig abzuweisen. Es sei positiv, dass das Gericht individuelle Ansprüche aufgrund von Verstößen gegen das Völkerrecht nicht ausgeschlossen habe, sagte Klägeranwalt Peter Derleder. Nun muss er sie noch beweisen.

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