Braunkohleprozess:"Wir werden beweisen, dass die Klimakrise schon heute tötet"

Das Kohlekraftwerk Weisweiler mit dem Tagebau Inden im Vordergrund am 27 10 2018 nahe Eschweiler De

Fünf Angeklagte, beschuldigt der stundenlangen Blockade des Kohlekraftwerks Weisweiler im November 2017, klagen nun selbst an.

(Foto: Markus Heine/imago images)
  • Fünf Aktivisten wird vorgeworfen, stundenlang das Kohlekraftwerk Weisweiler blockiert zu haben.
  • RWE verlangt deswegen 2,17 Millionen Euro Schadensersatz.
  • Die Angeklagten nutzen den Prozess, um selbst anzuklagen.

Von Christian Wernicke, Eschweiler

Sie drehen den Spieß einfach um. Die fünf Angeklagten, beschuldigt der stundenlangen Blockade des Kohlekraftwerks Weisweiler im November 2017 - sie klagen selbst an diesem Mittwochmorgen. Zum Auftakt des Strafprozesses hat jeder der Öko-Aktivisten einen eigenen Schriftsatz in den engen, stickigen Gerichtssaal des Amtsgerichts Eschweiler mitgebracht. "Wir werden beweisen", lautet ihr Mantra.

Moritz B. zum Beispiel will nachweisen, dass der in Deutschland mitgemachte Klimawandel in Bangladesch Ackerböden vernichtet oder in Mosambik tödliche Wirbelstürme verursacht. Und er will Kanzlerin Angela Merkel oder NRW-Ministerpräsident Armin Laschet als Zeugen vor den Richtertisch in der Kleinstadt nahe Aachen zerren - um zu beweisen, dass sie eben "nichts tun gegen die Klimakatastrophe".

Saal 17 des Provinzgerichts soll zum Tribunal über die globale Zerstörung des blauen Planeten werden. Die Angeklagten prangern an - und hoffen tatsächlich, auf diese Weise einer Strafe zu entgehen. Ihre Angriffe sind die beste, ja einzige Verteidigung, die sie haben gegen die drei Vorwürfe von Staatsanwältin Jana Thevis: Hausfriedensbruch, Störung eines Betriebs der öffentlichen Versorgung und Widerstand gegen Amtsträger. Darauf stehen, zumindest theoretisch, bis zu fünf Jahren Haft.

Ellen G., die Öko-Aktivistin im roten Kapuzenpulli, reklamiert den Klimanotstand, erklärt ihre Aktion zur Notwehr - und beruft sich sogar auf das deutsche Strafgesetzbuch, auf Paragraf 34: Dort stehe schließlich, dass nichts Rechtswidriges tue, wer im Falle einer "nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum" handle. Der Paragraf setzt freilich hohe Hürden und verlangt eine strikte "Abwägung der widerstreitenden Interessen". G. indes glaubt, mit ihrer Aktion habe sie den Klimawandel "zumindest ein kleines Stück weit aufgehalten". Dann fügt die 29-Jährige hinzu: "Wir werden beweisen, dass die Klimakrise schon heute tötet."

RWE will von den Aktivisten bis zu 2,17 Millionen Euro Schadenersatz verlangen

Zum Tathergang selbst schweigen die Angeklagten. Da hilft Staatsanwältin Thevis aus, per Verlesung der Anklage. Sie erzählt in groben Zügen, was die militante deutsche Öko-Szene bis heute als einen ihrer größten Erfolge zelebriert. Morgens gegen 4.30 Uhr, noch vor Anbruch der Dämmerung, seien am 15. November 2017 mindestens 13 Kohlegegner über einen Maschenzaun geklettert, hätten ein Förderband und einen Bagger am Kohlebunker besetzt. Die Aktivisten ketteten sich per "Lock-on" - mit Gips verkleideten Stahlrohren - aneinander. Und Cornelia W. legte sich ein stählernes Fahrradschloss um den Hals, das sie mit einem drei Meter hohen Tripod ("Dreibein") verband: Hätten die RWE-Mitarbeiter nicht die Kohlezufuhr gestoppt, die Klimakämpferin hätte von ihrer Fessel getötet werden können.

Knapp acht Stunden lang hätten die 13 "Tatgenossen" die "Bekohlung" der vier Blöcke des Kraftwerks Weisweiler unterbrochen. Keine Kohle, kein Strom: Erst gegen 13 Uhr gelang es RWE, wieder Energie zu liefern. Weshalb der Essener Konzern demnächst in einem separaten Zivilverfahren von den Aktivisten bis zu 2,17 Millionen Euro Schadenersatz verlangt. Und weshalb die Aktivisten jubeln, ihre Aktion habe den Ausstoß von circa 27 000 Tonnen CO₂ verhindert. Das entspreche dem durchschnittlichen CO₂-Footprint von 2400 Deutschen (oder 270 000 Menschen in Äthiopien) pro Jahr. Cornelia W., mit 20 Jahren damals die jüngste RWE-Gegnerin (weshalb der Prozess nun vor einem Jugendschöffengericht stattfindet), ist bisweilen kaum zu verstehen bei ihrem Plädoyer gegen Kohle und Kapitalismus. Von draußen schallen Sprechchöre in den Saal, 70 Unterstützer fordern "Climate Justice now". Vor Prozessbeginn sprach W. draußen mit Rosa Gierens, der finnischen Meteorologin, die per Modellrechnungen erforscht, wie Feinstaub aus Kohlekraftwerken wirkt. "Weisweiler verursacht jedes Jahr 280 vorzeitige Todesfälle", sagt sie, "das heißt: ein Toter alle 32 Stunden." Gierens soll als Sachverständige aussagen - doch am späten Nachmittag entschied das Gericht, dass weder sie noch vier andere Klima- und Kohleexperten gehört werden. Cornelia W. glaubt bis heute, sie habe vor zwei Jahren das Richtige getan. "Wenn man ein Kohlekraftwerk mit dem eigenen Körper blockiert und stilllegt, dann nimmt man den Kohleausstieg für einen Tag selbst in die Hand", sagt sie. Nur, die Angriffsstrategie der Angeklagten dürfte kläglich scheitern. Sven Gißelbach, der Vorsitzende Richter, will kein Klimakrisen-Tribunal zulassen. Und Kanzlerin Merkel, das zeichnet sich ab, wird nicht nach Eschweiler kommen. Jedenfalls nicht vor dem Urteil, das Anfang Dezember ansteht.

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