Süddeutsche Zeitung

Prozess:Neonazi-Prozess platzt, weil der Richter in Ruhestand geht

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17 Angeklagte, 34 Verteidiger, fast 1000 Seiten Anklage, 337 Verhandlungstage und ein Paukenschlag: Einer der umfangreichsten Neonazi-Prozesse Deutschlands ist in Koblenz geplatzt. Grund: der Vorsitzende geht in den Ruhestand.

Wie eine Sprecherin des Gerichts sagte, werde die Hauptverhandlung ausgesetzt, weil Richter Hans-Georg Göttgen mit Erreichen der Altersgrenze Ende Juni laut Gesetz aus dem Dienst scheiden müsse. Bis dahin sei aber ein Prozessende auszuschließen. Der ursprüngliche Ergänzungsrichter musste schon vor Längerem für einen anderen Pensionsfall der Staatsschutzkammer einspringen und steht deshalb nicht zur Verfügung.

Die Anklage des Prozesses richtete sich gegen eine "kriminelle Vereinigung" mutmaßlicher Neonazis des "Aktionsbüros Mittelrhein", die sich regelmäßig in Bad Neuenahr-Ahrweiler in ihrem sogenannten "Braunen Haus" getroffen haben soll. Der Truppe wird unter anderem vorgeworfen, Hakenkreuze auf Gegenstände gesprüht, Autos angezündet und Linke in Dresden attackiert zu haben.

Jetzt, da die Verhandlung geplatzt ist, sind die Vorwürfe der Anklage dennoch nicht vom Tisch. "Der Prozess wird wieder neu losgehen bei einer anderen Kammer", sagt Günther Herzogenrath-Amelung, einer der 34 involvierten Verteidiger. Das Gericht selbst ist sich da augenscheinlich noch nicht ganz sicher. Ob das Verfahren von einer anderen Kammer gegen die verbliebenen 17 Angeklagten neu verhandelt werden wird, könne derzeit nicht beantwortet werden, sagte eine Sprecherin.

Auch die Frage, ob Entschädigungen an Angeklagte gezahlt werden müssten, könne erst nach Abschluss des Verfahrens beantwortet werden. Anwalt Herzogenrath-Amelung wittert im rot-gelb-grün regierten Rheinland-Pfalz politische Motive hinter dem gesamten Verfahren, das woanders längst eingestellt worden wäre: "Da geht es um den Kampf gegen Rechts." Die Staatsanwaltschaft hat diesen Vorwurf schon früher zurückgewiesen.

Nach Angaben des Verteidigers gehen die Kosten für das gescheiterte Verfahren in den zweistelligen Millionenbereich. Das sei "eine Verschwendung von Steuergeldern". Die Staatsschutzkammer hat schon in den ersten Jahren des Mammutprozesses viel erlebt. Etwa Stinkbomben, die eine Saalräumung erzwangen. Oder eine anwaltliche Stellungnahme in Reimform. Oder einen Schöffen, der der Anklage vor Weihnachten Schokoladen-Nikoläuse auf den Tisch stellte - und sich dann wegen Befangenheit aus dem Verfahren verabschieden musste.

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