Prozess in München:Wie Deutschland mithilfe der USA eine Islamistin überführte

IS-Anhängerin Jennifer W. beim Prozess in München

Jennifer W. bei der Gerichtsverhandlung in München.

(Foto: Getty Images)

Der Prozess gegen Jennifer W. offenbart, wie eng die deutschen Sicherheitsbehörden mit dem FBI zusammenarbeiten. Versuchte ein V-Mann aus den USA, W. zu einer Reise ins IS-Gebiet zu ermuntern?

Aus dem Gericht von Annette Ramelsberger

Sollte man noch nicht gewusst haben, wie eng die Zusammenarbeit zwischen deutschen Sicherheitsbehörden und dem amerikanischen FBI ist, im Prozess gegen eine deutsche Islamistin in München kann man das jetzt sehr schön nachverfolgen. Man erfährt hier, wie sich die deutsche Polizei mal eben eine Vertrauensperson der Amerikaner ausleiht, um eine IS-Anhängerin zu überführen. Wie der amerikanische Agentenführer diese V-Person auch auf dem Flug nach Deutschland begleitet und dann während der verdeckten Aktion im Wagen eines deutschen Polizisten mitfährt, um seinen Agenten auch stets im Auge zu haben. Und natürlich, damit ihm beim Zugriff des mobilen Einsatzkommandos nichts passiert.

Denn so ein Mann ist wertvoll. Er kann sich in die Lebenswelt von IS-Anhängern einfühlen, er kennt die richtigen Codes, er redet mit ihnen, wie sie es von einem "Bruder" aus der Szene kennen. Selbst Misstrauische kann er überzeugen - so wie Jennifer W., eine deutsche Konvertitin aus Lohne in Niedersachsen, die schon ein Jahr im IS-Kalifat verbracht hatte und unbedingt wieder dorthin wollte.

In einem Chat hatte sich der V-Mann ihr genähert und versprochen zu helfen, wenn sie wieder zum Islamischen Staat zurückwolle. Zunächst hatte sie ihm vorgeworfen, ein Spion zu sein. "Was nicht ganz falsch war", sagt der Polizist vor Gericht, der den Spion vom FBI ausgeliehen hatte. Doch dann hat sie doch mit ihm geredet. Am Morgen des 29. Juni 2018 kreuzte er bei ihr auf und sie stieg in den Wagen - der war verwanzt und die Polizei hörte mit, was der V-Mann und die Islamistin miteinander redeten.

Sie wussten schon viel: Dass sie mit einem IS-Kämpfer eine kleine Tochter hat, dass sie in Falludscha gelebt hatte, dass sie, so sagte sie, bei der Tugendpolizei des IS, der Hisba, war. Doch dann sagte die Frau etwas, was auch den V-Mann ganz aufgeregt machte - so sehr, dass er in einer Fahrpause, Jennifer W. war gerade auf der Toilette, aufgewühlt mit dem deutschen Polizisten im Wagen ein paar Hundert Meter hinter ihm sprach. Denn Jennifer W. hatte ihm gerade erzählt, dass sie damals in Falludscha eine Sklavin gehabt habe, ein kleines, fünf Jahre altes Mädchen. Und dass ihr Mann dieses Kind bei 45 Grad in der Sonne angekettet habe - aus Verärgerung darüber, dass das Kind ins Bett gemacht hatte. Das Mädchen sei verdurstet.

Wegen dieser Aussage ist Jennifer W. nun wegen Mordes durch Unterlassen vor dem Oberlandesgericht München angeklagt. Der V-Mann ist einer der wichtigsten Zeugen. Doch er wird nicht persönlich im Gericht auftreten. Die Bundesanwaltschaft hat ihm Vertraulichkeit zugesichert. Also berichtet der Oldenburger Kripomann Ralf L., der das Ganze eingefädelt hatte. Und er sagt, die Amerikaner hätten ihm den V-Mann als sehr erfahren, als sehr zuverlässig empfohlen. Niemand, der schon mal ein Strafverfahren am Hals gehabt hätte. Und natürlich habe er ihn genau darüber aufgeklärt, was in Deutschland erlaubt ist und was nicht.

Das ist nämlich recht unterschiedlich. In den USA darf ein V-Mann auch zu verbotenen Taten provozieren, in Deutschland ist diese Art von "Agent provocateur" verboten. Und genau darauf zielen die Fragen von Jennifer W.s Anwalt Ali Aydin. Warum hat der V-Mann Jennifer W. gefragt, ob sie sich noch mehr Geld beschaffen könne für die Reise? Warum hat er die Frau zur Reise ermuntert? Mit Worten wie diesen: "Du bist eine Löwin. Es sind Schwestern wie du, die das Kalifat wiederherstellen werden."

Der Polizist aus Oldenburg kommt nicht verkleidet - so wie man es bei V-Mann-Führern aus dem NSU-Prozess kennt. Er trägt keinen angeklebten Bart, keine Kapuze, keine Perücke. Und er antwortet auf die Fragen präzise und ruhig. All diese Worte von der Löwin - das seien reine Geschichten, Legenden, wie das bei den Geheimdiensten heißt. Nie habe der V-Mann Geld an Jennifer W. gegeben - auch wenn er das behauptet hat. Nämlich, dass er schon für ihre Pässe bezahlt habe und auch den Preis für das Fahrzeug Richtung Türkei drücken werde. "Reine Legenden, damit er weiter als Gesprächspartner fungieren kann", sagt Polizist Ralf L. "So viel zum Thema Tatprovokation", sagt Verteidiger Aydin.

Es war ein intensives Gespräch im Auto. Der V-Mann und Jennifer sprachen englisch. Bei der Bundesanwaltschaft saß eine Übersetzerin, die alles mithörte und übersetzte. 43 Stunden hat sie das Gespräch transkribiert, 14 Stunden übersetzt - nur die Kinderreime und Lieder, die Jennifer W. mit ihrer Tochter auf dem Rücksitz sang, ließ sie aus. Das Protokoll ist die Grundlage für die Verhandlung gegen die 27 Jahre alte Jennifer W. Ohne ihre eigenen Angaben wüsste die Bundesanwaltschaft nichts von der kleinen Sklavin und ihrem Tod in der Sonne von Falludscha.

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