Prozess in Russland gegen Band "Pussy Riot":Punk gegen Putin

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Weil sie in einer Moskauer Kirche Putin schmähten, drohen ihnen sieben Jahre Gefängnis: Drei Mitglieder der feministischen Aktivistengruppe "Pussy Riot" stehen seit heute in Russland vor Gericht. Schon am ersten Verhandlungstag verlängert die Justiz die Untersuchungshaft der Frauen bis 2013.

Johannes Kuhn

Als die drei Mitglieder der Punkband Pussy Riot an diesem Freitag den bislang größten Auftritt ihres Lebens haben, ist statt Musik nur das laute Bellen eines Polizeirottweilers zu hören. So berichten es Augenzeugen, die bei der ersten Anhörung im Moskauer Chamownitscheskij-Gericht anwesend sind.

Pussy Riot-Mitglieder Nadjeschda Tolokonnikowa (Mitte), Maria Aljochina (rechts) and Jekatarina Samuzewitsch (links) zum Prozessauftakt: Tatbestand "organisiertes Rowdytum". (Foto: AFP)

Zu diesem Zeitpunkt hat sich der Verhandlungsbeginn bereits um anderthalb Stunden verzögert. Das Gerichtsgebäude ist hoffnungslos überfüllt, melden schon früh anwesende Reporter. Während draußen die Sicherheitspolizei Gegner und Unterstützer der Aktivistinnen abschirmt, warten drinnen Dutzende Journalisten auf die drei Angeklagten - auf den Gängen ist kein Durchkommen mehr.

Behörden und Regierung mag die öffentliche Aufmerksamkeit nicht passen, doch der Prozess gegen die drei Freundinnen Nadjeschda Tolokonnikowa, 22, Maria Aljochin, 24, und Jekaterina Samuzewitsch, 29, ist längst zum derzeit wichtigsten Prozess Russlands geworden.

Formal geht es dabei um die Frage, ob die Aktivistinnen im Februar gegen Artikel 213 Absatz 2 des russischen Strafgesetzbuchs verstoßen haben. "Organisiertes Rowdytum" wirft die Staatsanwaltschaft den Frauen vor, laut Gesetz als "grobe Verletzung der öffentlichen Ordnung" definiert.

Punk-Gebet erzürnte die Kirche

Auf 2800 Aktenseiten hat sie zusammengetragen, was bei Youtube in 113 Sekunden dokumentiert ist: Zwei Wochen vor der Präsidentschaftswahl stürmten im Februar fünf Frauen mit Häkelmasken und kurzen Kleidern den Altar der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale, um tanzend und singend für die Vertreibung Wladimir Putins zu beten.

Mit ihrer Persiflage der orthodoxen Liturgie wollte das bekannt provokative Kollektiv nach eigenen Angaben auf die allzu enge Beziehung zwischen Staat und Kirche hinweisen: Patriarch Kirill unterstützte im Wahlkampf öffentlich Putin und bezeichnete seine Herrschaft als "Geschenk Gottes".

Die Staatsanwaltschaft hingegen interpretiert das "Punk-Gebet" der Gruppe als antireligiös motivierten Hass, der die geistliche Grundlage des russischen Staates untergrabe und "auf blasphemische Weise die jahrhundertealten Grundfesten der russisch-orthodoxen Kirche erniedrigt". Drei der fünf Frauen sitzen deshalb seit März in einem Moskauer Untersuchungsgefängnis, ihnen drohen bis zu sieben Jahre Haft.

Die Kontroverse um die Aktivistinnen ist längst zu einem Stellvertreterkonflikt zwischen liberalen und konservativen Kräften geworden. Die russisch-orthodoxe Kirche verurteilte den Auftritt als Schändung der Kathedrale, ein Sprecher des Patriarchen bezeichnete die Aktion gar als "Spott des Teufels".

Im April veranstaltete sie landesweit Andachten "zur Verteidigung des Glaubens, der geschändeten Heiligtümer, der Kirche und ihres guten Namens" und rief zu Großkundgebungen gegen den "aggressiven Liberalismus" auf. Inzwischen sprechen sich Priester allerdings auch vereinzelt gegen die Verhaftung aus. Eine Umfrage des Lewada-Zentrums für Meinungsforschung zeigt, dass vielen Russen die Provokationen der Gruppe zu weit gehen: 47 Prozent der Bevölkerung erklärten, eine Bestrafung der Pussy-Riot-Aktivistinnen sei angemessen.

Die Anwälte von Pussy Riot sowie zahlreiche russische und internationale Künstler halten den Prozess hingegen für politisch motiviert. Putin selbst hatte die Aktion der Feministinnen kritisiert und sich öffentlich bei der Kirche dafür entschuldigt. Nun soll nach Meinung der Verteidigung die Justiz dem Volk die Grenzen der freien Meinungsäußerung vor Augen führen. Amnesty International hat die drei Frauen inzwischen zu politischen Gefangenen erklärt, weltweit organisieren Musiker Benefizkonzerte, im Internet läuft eine Spendenaktion, um die Anwaltskosten des Trios zu übernehmen.*

Bislang ist unklar, ob die Staatsanwaltschaft wirklich genügend Indizien vorlegen kann, um die Bandmitglieder zu überführen. Die Verteidigung erklärt, die Anklage berufe sich vor allem auf ein religionshistorisches Gutachten, um die Illegalität der Aktion zu beweisen: Dort werde unter anderem eine Regel der Trullanischen Synode aus dem 7. Jahrhundert angeführt, die das Tanzen in der Kirche untersage, auch Entscheidungen eines Kirchenkonzils aus dem 4. Jahrhundert sollen als Argument dienen.

Erinnerungen an den Chodorkowskij-Prozess

Ein faires Verfahren erwarten die drei Angeklagten nicht, wie sie während der Voranhörungen die Medien wissen ließen - entsprechend lächeln sie, als sie am ersten Verhandlungstag wie in solchen Gerichtsprozessen üblich in einem Käfig Platz nehmen.

Als die Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit beginnt, beantragt die Verteidigung zunächst, Putin und den Patriarchen als Zeugen vorzuladen. Die Staatsanwaltschaft hingegen verlangt weitere sechs Monate Untersuchungshaft für die Frauen - und das, obwohl Aljochina und Tolokonnikowa Mütter von Kleinkindern sind. Das immer wieder vorgebrachte Argument: Das Gefängnis biete den Pussy-Riot-Mitgliedern auch Schutz vor aufgebrachten Christen, die sich durch die Aktion angegriffen fühlten. Das Gericht folgt dem Antrag, wie die Agentur Interfax berichtet: Die drei Frauen müssen bis 2013 in U-Haft bleiben.

Dass viele Beobachter sich inzwischen an den Prozess gegen Putin-Gegner Michail Chodorkowskij erinnert fühlen, ist kein Zufall: Nicht nur der Moskauer Verhandlungsort ist identisch, auch sitzt den Verhandlungen Richter Viktor Danilkin vor.

Der hatte Chodorkowskij und dessen mitangeklagten Ex-Geschäftspartner 2011 wegen Geldwäsche und Betrugs zu 14 Jahren Haft verurteilt - seiner Assistentin zufolge soll er dabei auf Druck des Kremls gehandelt haben. Bereits 2010 hatte eine Kollegin über Danilkin geurteilt: "Er achtet die Regeln, erkennt die Hinweise und zeigt keine überflüssige Selbständigkeit."

*Korrektur: Zunächst stand an dieser Stelle, dass der Street-Art-Künstler Banksy die Anwaltskosten übernehmen würde. Dies war eine Fehlinformation. Wir bitten, dies zu entschuldigen.

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