Prozess in München:Nebenkläger: Zschäpes Erklärung ist ein "Lügenkonstrukt"

Beate Zschaepe Finally Testifies In NSU Trial

Die Angeklagte Beate Zschäpe mit ihren Verteidigern im Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München. Im Hintergrund sitzen die Nebenkläger.

(Foto: Getty Images)
  • Im NSU-Prozess äußert sich die Angeklagte Zschäpe erstmals zu den Vorwürfen - ihr Verteidiger Grasel verliest dazu eine Erklärung.
  • Zschäpe gesteht lediglich die Brandstiftung in der Zwickauer Fluchtwohnung, bestreitet aber eine Beteiligung an den zehn Morden und zwei Sprengstoffanschlägen.
  • Die Taten hätten Böhnhardt und Mundlos begangen - sie habe stets erst im Nachhinein davon erfahren.
  • Die Polizistin Kiesewetter soll wegen ihrer Pistole getötet worden sein.
  • Zschäpe entschuldigt sich bei den Opfern und gesteht eine moralische Schuld ein.

Nach mehr als zwei Jahren hat Beate Zschäpe im NSU-Prozess ihr Schweigen gebrochen. Ihr Verteidiger Mathias Grasel hat eine etwa 50-seitige Erklärung im Namen seiner Mandantin verlesen.

An ihrem 19. Geburtstag habe Zschäpe Böhnhardt kennengelernt, erklärte Grasel der Nachrichtenagentur dpa zufolge. Sie habe sich in ihn verliebt, sei aber noch mit Mundlos zusammen gewesen. Kurz nach Mundlos' Wehrdienst hätten sie sich getrennt. Anschließend sei sie eine Beziehung mit Böhnhardt eingegangen. So sei sie stärker in Kontakt zu Böhnhardts Freunden gekommen, die nationalistischer eingestellt gewesen seien als die von Mundlos.

Zschäpe bestreitet NSU-Mitgliedschaft

Zschäpe bestritt, an den zehn Morden und zwei Sprengstoffanschlägen beteiligt gewesen zu sein, die die Bundesanwaltschaft der Terrorgruppe NSU vorwirft. Diese bezeichnete sie als "von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt begangene Straftaten".

Die Hauptangeklagte entschuldigte sich "aufrichtig" bei allen NSU-Opfern. "Ich fühle mich moralisch schuldig, dass ich zehn Morde und zwei Bombenanschläge nicht verhindern konnte."

Nebenklage-Anwalt Mehmet Daimagüler sagte dem BR nach Ende von Zschäpes Erklärung: Zschäpe könne doch nicht "nach 249 Verhandlungstagen kommen und uns so ein Lügenkonstrukt vorsetzen". Diese Art von Entschuldigung könne sie behalten, sagte Daimagüler. Der Nebenklage-Anwalt Stephan Lucas sagte: "Heute hat man sehr gut verstehen können, warum es manchmal klug ist, einfach den Mund zu halten." Er ergänze: "Wenn das alles ist, was Frau Zschäpe uns zu sagen hatte, dann hätte sie besser gar nichts gesagt." Bundesanwalt Herbert Diemer sagte: "Wir werden diese Einlassung natürlich genauestens prüfen." Sie sei "ein Beweismittel unter vielen". Eine Bewertung wolle er noch nicht vornehmen. "Alles andere wäre unprofessionell."

Zschäpe hatte gar abgestritten, überhaupt Mitglied des NSU gewesen zu sein. Mundlos und Böhnhardt hätten ihr erst im Dezember 2000 vom ersten Mord erzählt, also wenige Monate nachdem ein türkischstämmiger Blumenhändler in Nürnberg umgebracht worden war. Zum Bombenanschlag im Januar 2001 in Köln erklärte Zschäpe, ihr Freund Uwe Böhnhardt habe einen Korb mit dem Sprengsatz in dem iranischen Lebensmittelgeschäft deponiert. Bei der Explosion wurde die 19-jährige Tochter des Inhabers schwer verletzt. Vom Bau der Bombe habe Zschäpe nichts mitbekommen, hieß es in der Erklärung. Böhnhardt habe die Bombe gebaut und platziert, Mundlos vor dem Geschäft gewartet. Als sie von den Taten erfahren habe, sei sie sprachlos und fassungslos gewesen.

Zschäpe lieferte in ihrer Erklärung auch ein Motiv für den Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter. Mundlos und Böhnhardt hätten sie getötet, um ihre Pistole rauben zu können. Das Motiv für den Polizistenmord von Heilbronn galt bislang als unklar.

Zschäpe gesteht Brandstiftung in Zwickau

Zschäpe gestand in ihrer Erklärung lediglich, die letzte Fluchtwohnung der Terrorgruppe NSU in Zwickau in Brand gesteckt zu haben. Im Radio habe sie im November 2011 davon erfahren, dass in Eisenach ein Wohnmobil mit zwei Leichen entdeckt worden war. Sie sei sich sofort sicher gewesen, dass es sich um ihre beiden Freunde Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gehandelt habe. Vor der Brandstiftung sei sie durchs Haus gegangen, um sicherzustellen, dass sich niemand mehr darin befinde.

In dem Text stellte sich Zschäpe als unfähig dar, sich von Böhnhardt und Mundlos zu trennen und den Behörden zu stellen: "Die Kraft mich zu trennen (...) und mich der Justiz zu stellen, hatte ich jedoch nicht." Sie habe Angst gehabt, dass Mundlos und Böhnhardt sich umbringen könnten und sie vor allem Böhnhardt verlieren würde. Aus ihrer Sicht habe es sich etwa bei einem Bombenanschlag in Köln um eine "brutale und willkürliche Aktion gehandelt". Sie habe damals resigniert und keine Chance mehr gesehen, ins bürgerliche Leben zurückzukehren: "Die beiden brauchten mich nicht. Ich brauchte sie."

Nachdem die drei 1998 untergetaucht seien, hätten sie in ständiger Angst gelebt, entdeckt zu werden. Das Geld sei ihnen ausgegangen. Böhnhardt habe daher vorgeschlagen, eine Bank in Chemnitz zu überfallen. Zschäpe hatte nach eigenen Angaben zu viel Angst, sich daran zu beteiligen. Sie habe zwar von dem Vorhaben gewusst, sei aber auch bei der Vorbereitung nicht dabei gewesen. "Sie wollten mich ganz bewusst nicht dabeihaben." Mundlos und Böhnhardt hätten ihr zuvor auch nichts von Rohrbomben und Sprengstoff erzählt, mit denen sie hantierten.

In der Erklärung ging es auch um Zschäpes Kindheit in der DDR und ihre Familie. Sie berichtete von Alkoholproblemen und Streit mit ihrer Mutter. Von der habe sie so gut wie kein Geld bekommen, so dass sie sich an kleineren Diebstählen habe beteiligen müssen.

Zschäpe will Fragen beantworten

Die Verteidigung hatte angekündigt, dass Zschäpe nach der Erklärung auch alle Fragen des Gerichts beantworten will. Allerdings wünschen die Anwälte, dass die Fragen schriftlich an die Angeklagte gerichtet werden. Ob sich das Gericht auf dieses ungewöhnliche Prozedere einlässt, ist noch offen.

Zum ersten Mal erschien heute auch Zschäpes fünfter Anwalt, der Wahlverteidiger Hermann Borchert, im Gerichtssaal. Der Anwalt war zuletzt im Urlaub, weswegen das Gericht drei Wochen auf die Erklärung von Zschäpe warten musste.

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