Prozess in München:Botengänge für den NSU

Klamotten, Geld, möglicherweise Waffen: Jürgen H. fungierte als Botenjunge der rechtsterroristischen NSU. Beim Prozess in München spricht er nicht viel, liefert aber nach und nach wertvolle Informationen.

Aus dem Gericht von Tanjev Schultz

Beate Zschäpe ist wieder gesund, im NSU-Prozess verfolgt sie am Montag die zähe, am Ende aber doch sehr aufschlussreiche Befragung von Jürgen H. Der Zeuge redet mit tiefer Stimme, nuschelnd. Er ist nicht sehr gesprächig - ein Muster, das man mittlerweile von Zeugen kennt, die aus der rechten Szene kommen. Manchmal pustet Jürgen H. ins Mikro und schweigt eine Weile. Er ist Fahrer bei einer Spedition, früher arbeitete er auf dem Bau.

Der 38-Jährige war befreundet mit Uwe Böhnhardt und Ralf Wohlleben. Beate Zschäpe und Uwe Mundlos will er nur flüchtig gekannt haben. Gemeinsam mit Böhnhardt hat Jürgen H. als Jugendlicher Autos aufgebrochen. Die beiden wollten ausreißen. Weg aus Jena. Sie kamen aber nicht weit, die Polizei griff sie auf.

Ein paar Jahre später, im Jahr 1998, war Uwe Böhnhardt erfolgreicher. Er floh vor der Polizei, tauchte unter. Sein alter Kumpel Jürgen H. hielt eine Weile Kontakt zu ihm, als eine Art Kurier für das untergetauchte Trio Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe. Jürgen H. nahm Anrufe entgegen, sprach mit den Uwes, übergab seltsame Beutel, über deren Inhalt der Zeuge angeblich nicht Bescheid wusste.

Organisiert wurden die konspirativen Aktionen angeblich von Ralf Wohlleben und Carsten S., den beiden Angeklagten, denen die Bundesanwaltschaft Beihilfe zum Mord vorwirft. Carsten S. war selbst ein Kurier; er soll die Mordwaffe des NSU gebracht haben. Mit Jürgen H. fuhr er zu Zschäpes Wohnung, um dort Kleidung und Papiere herauszuholen. Jürgen H. habe Schmiere gestanden.

Richter Manfred Götzl fordert den Zeugen zu Beginn auf, erst mal von sich aus zu erzählen. Es kommt aber nicht viel. Jürgen H. sagt stets nur das Allernötigste. Als Götzl wissen möchte, wie der Kontakt zu den Untergetauchten gehalten wurde, kommt als Antwort nur: "Telefonzelle." - "Können Sie mir bitte in ganzen Sätzen antworten? Das wäre ein Gebot der Höflichkeit!", mahnt der Richter.

Richter Götzl bleibt geduldig, dann tröpfeln die Informationen

Götzl bleibt an diesem 112. Prozesstag erstaunlich geduldig. Das ist klug, denn dieser Zeuge ist sehr wichtig, und nach und nach tröpfeln doch wertvolle Informationen.

Nach Darstellung des Zeugen hat vor allem Ralf Wohlleben die Hilfe für die Untergetauchten organisiert; der habe den Kontakt hergestellt und gesagt, wann Jürgen H. in eine bestimmte Telefonzelle gehen sollte. Jürgen H. glaubt, dass er sowohl mit Böhnhardt als auch mit Mundlos telefoniert habe; mit Zschäpe jedoch nie. Wie viele Telefonate es waren, wisse er nicht mehr. Es müssen etliche gewesen sein, einige haben die Behörden damals sogar mitbekommen. Durch Observationen und Telefonüberwachungen waren die Fahnder bereits 1998 auf die Spur von Jürgen H. gekommen. Sie hätte die Polizei zum Trio führen können. Allerdings war die Kette zum Trio lang, Jürgen H. hatte angeblich nur telefonischen Kontakt.

Die Ermittler konnten einen Anruf bis ins Ausland zurückverfolgen. Er kam am 11. April 1998 aus Concise in der Schweiz und hatte diesen Wortlaut: "Ja, Jürgen, pass auf, ich hab da eine Nachricht für den Ralf. Sag ihm bitte, er soll am Montag 14 Uhr an demselben Treffpunkt sein wie vor zwei Wochen und soll aber bitte vorher noch bei Böhnis Eltern vorbeifahren und Klamotten oder so was kaufen."

In Concise fand am Tag des Anrufs ein Skinhead-Konzert statt, an dem auch Deutsche teilnahmen. Hielt sich das Trio oder einer der drei zeitweise in der Schweiz auf? Die Fahnder dachten damals zunächst, bei dem Anrufer handelte es sich um den sächsischen Neonazi Jan W.; später gingen sie von Uwe Böhnhardt aus. Nach dem Ende des NSU gab Jürgen H. bei der Polizei an, es sei Mundlos gewesen. Vor Gericht sagt er, er sei sich nicht sicher.

Einmal sei er nach Zwickau gefahren, auf einen Parkplatz von McDonald's, direkt an der Autobahn. Sein Auftrag sei gewesen, eine Plastiktüte zu übergeben, die ihm Wohlleben ausgehändigt haben soll. Details dazu kann oder will der Zeuge kaum nennen: Es sei ein anderer Mann gekommen, der habe die Tüte in Empfang genommen. Der Mann habe ein schwarze Kapuzen-Jacke getragen und sei mit einem Opel Corsa gefahren. Was war in der Tüte? Angeblich CDs und Kleidung.

Spendensammlungen in der rechten Szene

Auch in Jena übergab Jürgen H. einmal einen Beutel oder ein Paket. Treffpunkt war eine alte, stillgelegte Brauerei. Abends sei er dorthin gefahren. Ein Mann - wieder ein Unbekannter - habe das Paket entgegengenommen. Er habe ein komisches Gefühl gehabt, sagt Jürgen H., es habe ihm "alles nicht so behagt". Bei der Polizei sagte Jürgen H. nach dem Ende des NSU, er vermute, es könnte eine Waffe in dem Paket gewesen sein. Er habe damals Wohlleben gefragt, was denn in dem Paket war. Der habe nur geschwiegen.

Das fand Jürgen H. verdächtig, er wollte daraufhin nicht mehr als Kurier tätig sein und allenfalls noch Telefonnachrichten annehmen. Vor Gericht verschweigt Jürgen H. zunächst seinen Verdacht, damals eine Waffe übergeben zu haben. Als ihn der Richter das Polizei-Protokoll vorhält, bestätigt er es. Letztlich wisse er aber nicht, was in dem Paket steckte.

"Pogromly"-Spiele für 100 Mark

Waffen waren das eine, Geld das andere. Nach der Flucht mussten die Untergetauchten dringend Geld auftreiben; die Überfälle des NSU kamen erst später. In der rechten Szene wurden Spenden gesammelt. Außerdem sollten Erlöse aus dem Verkauf des "Pogromly"-Spiels helfen. Von diesem selbstgebastelten Spiel, das den Holocaust verherrlichte, bewahrte Jürgen H. etliche Exemplare in seiner Wohnung auf, unter dem Bett. Es seien etwa 20 Stück gewesen. Ab und zu seien Leute aus der Szene gekommen, die das Spiel kauften. Ein Spiel habe 100 Mark gekostet. Wer die Käufer waren? Weiß der Zeuge angeblich nicht. Kannte er höchstens vom Sehen.

Der Verfassungsschutz versuchte einmal, Jürgen H. anzuwerben und ihn zu Wohlleben auszufragen. Jürgen H. lehnte offenbar ab und erzählte seinem Freund von dem Versuch. Später, im Jahr 1999, befragten ihn Fahnder der Polizei und Mitarbeiter des Militärischen Abschirmdienstes (MAD). Jürgen H. leistete zu der Zeit seinen Wehrdienst. Laut Protokoll des MAD soll er damals gesagt haben, die Untergetauchten hätten sich bereits "auf der Stufe von Rechtsterroristen" bewegt. Das war ziemlich hellsichtig.

Wie er das gemeint habe, fragt ihn Götzl vor Gericht. "Ich hab' es mehr aus Trotz gesagt." Inwiefern aus Trotz? "Warum ich das gesagt hab, weiß ich nicht genau", sagt der Zeuge. Uwe Böhnhardt sei jedenfalls ein "Waffennarr" gewesen; Ausländer habe er gehasst. Böhnhardt sei der Ansicht gewesen, die Ausländer müssten vergast werden.

Ein Jahr, nachdem Jürgen H. die Untergetauchten als "Rechtsterroristen" bezeichnet hatte, begann die Mordserie des NSU.

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