Prozess gegen Verena Becker:Schuldig, ohne dabei gewesen zu sein

ehemalige RAF-Terroristin Verena Becker

Die ehemalige RAF-Terroristin Verena Becker voriges Jahr bei ihrer Verurteilung in Stuttgart

(Foto: dpa)

Das Urteil gegen die ehemalige RAF-Terroristin Verena Becker ist rechtskräftig. Damit kommt ein langwieriger, oftmals quälender und bizarrer Prozess endlich zum Abschluss, an dessen Ende die Schuldige wohl doch nicht ins Gefängnis muss.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Nun ist er also endgültig abgeschlossen, der Versuch, nach Jahrzehnten Licht ins dunkle Terrorjahr 1977 zu bringen. Das Urteil gegen Verena Becker ist rechtskräftig, es wird kein Nachspiel geben zu dem Stuttgarter Prozess, an dessen Ende das Oberlandesgericht im Juli 2012 vier Jahre Haft gegen die einstige Terroristin der "Roten Armee Fraktion" verhängt hatte; der Bundesgerichtshof hat nun die Revision Beckers wie auch die des Nebenklägers Michael Buback verworfen.

Damit ist sie schuldig der Beihilfe zum Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seinen beiden Begleitern, die am Gründonnerstag 1977 vom Sozius eines Motorrads aus in Karlsruhe erschossen worden waren. Schuldig, ohne dabei gewesen zu sein - weil sie dem Urteil zufolge Monate vor der Tat mit "Zähigkeit und Vehemenz" auf die Umsetzung des lange gefassten Plan der terroristischen Offensive 77 ("Der General muss weg") gedrungen hat. Aber es ist unwahrscheinlich, dass die 61 Jahre alte, kranke Frau noch einmal ins Gefängnis muss. Zweieinhalb Jahre gelten als verbüßt, weil sie schon eine lange Haftstrafe abgesessen hat, dazu kommen vier Monate Untersuchungshaft - das reicht für die nach zwei Dritteln mögliche Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung.

Das letzte Wort aus Karlsruhe ist freilich arg knapp ausgefallen: Der dritte Strafsenat des BGH hat die Revisionen ohne ein Wort der Begründung verworfen - die Nachprüfung habe "keinen Rechtsfehler" ergeben. Hans Wolfgang Euler und Walter Venedey, die Anwälte Beckers, hatten ihre Verurteilung wegen Beihilfe in Zweifel gezogen, weil das OLG offen gelassen habe, wer die eigentlichen Haupttäter seien, denen sie geholfen haben soll. Zu dieser juristisch heiklen Konstruktion hätte man gern ein paar höchstrichterliche Ausführungen gelesen, kritisierte Euler.

21 Monate hatte der Prozess gedauert, ein oftmals quälender und mitunter bizarrer Versuch, jene Lücken zu schließen, welche die so forsche wie oberflächliche Abarbeitung der RAF-Morde durch die Justiz einst hinterlassen hatte. Denn in den Geschichtsbüchern galten längst Christian Klar, Knut Folkerts und Günter Sonnenberg als das Tätertrio von Karlsruhe, die ersten beiden wurden dafür verurteilt; Sonnenberg, anderweitig verurteilt, blieb wegen einer schweren Kopfverletzung ein Prozess erspart. Doch mit einem Mal war vor allem die Mittäterschaft von Folkerts in Zweifel geraten. Stefan Wisniewski geriet in den Verdacht, der Schütze auf dem Motorrad gewesen zu sein; die Bundesanwaltschaft ermittelt bis heute, freilich mit geringer Aussicht auf Erfolg.

Bubacks privates Ermittlungsverfahren gegen Becker

In dieser Situation, in der alte Wahrheiten brüchig geworden waren, geriet auch Verena Becker ins Visier der Ankläger. Anlass waren ihre DNA-Spuren auf den Briefumschlägen des damaligen Bekennerschreibens. Michael Buback, der Sohn des Opfers, hielt sie für die Schützin auf dem Sozius und führte fortan eine Art privates Ermittlungsverfahren. Dass er dabei Beweise ausblendete, sobald sie seiner These widersprachen, dass er zudem an der Behauptung festhielt, aus dem Zwielicht staatlicher Sicherheitsbehörden sei eine "schützende Hand" über Becker gehalten worden, weil sie dem Verfassungsschutz Informationen geliefert habe: All dies mag man als die Überreaktionen einer verletzten Seele sehen, auf der verzweifelten Suche nach der vollständigen, lückenlosen Wahrheit über den Tod des Vaters.

Zwar ließ sich von seinen Thesen nichts beweisen; je länger der Prozess dauerte, umso unwahrscheinlicher erschienen sie. Dabei hat der Stuttgarter OLG-Senat mit seinem akribischen Vorsitzenden Hermann Wieland wirklich alles versucht, nicht nur die juristische, sondern auch die historische Wahrheit zu ermitteln. Wieland hat die hartnäckig schweigende Riege der zweiten RAF-Generation - darunter Brigitte Mohnhaupt, Christian Klar und Stefan Wisniewski - aufmarschieren lassen. Mal hat er sie mit der Chance auf Versöhnung gelockt, mal ihnen mit dem letzten Gericht im Jenseits gedroht. Er hat Heerscharen erinnerungsschwacher Zeugen angehört, deren Gedächtnis sich längst den zahllosen RAF-Dokumentationen angepasst hatte. Schillernde Märchenerzähler kamen zu Wort, die von solchen Prozessen angezogen werden wie Wespen vom Pflaumenkuchen. Letztlich waren die windungsreichen Aussagen von Peter-Jürgen Boock ausschlaggebend, des einzig validen, wenngleich nicht immer zuverlässigen Zeugen.

Die Lehre aus dem Becker-Prozess mag lauten: Für die Hinterbliebenen der Ermordeten ist die Ermittlung der Wahrheit wichtiger als die Härte des Urteils. Doch ebendiese Wahrheit werden die gescheiterten Ex-Kämpfer nicht preisgeben. Sie ist alles, was ihnen geblieben ist.

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