Prozess gegen Sauerland-Gruppe:Tiefer Einblick in die Terrorszene

Nach Geständnissen wird der Prozess gegen die Sauerland-Gruppe wieder aufgenommen - die Einlassungen der Angeklagten lassen staunen.

H. Leyendecker und J. Nitschmann

Nach einer mehrwöchigen Verhandlungspause wird an diesem Montag der Prozess gegen vier Terrorverdächtige wieder aufgenommen, die eine Serie von Autobombenanschlägen gegen amerikanische Ziele auf deutschem Boden geplant haben sollen.

Sauerland-Gruppe Prozess dpa

Der Angeklagte Fritz Gelowicz im Verhandlungssaal des Oberlandesgerichtes in Düsseldorf. Er gilt als mutmaßlicher Rädelsführer der "Sauerland-Gruppe".

(Foto: Foto: dpa)

Die mutmaßlichen Terroristen der "Sauerland-Gruppe", denen seit dem 22. April vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht der Prozess gemacht wird, haben in getrennten Vernehmungen vor Beamten des Bundeskriminalamts (BKA) Geständnisse abgelegt, die einen tiefen Einblick in die Szene ermöglichen, die Anklage der Bundesanwaltschaft in allen wichtigen Punkten belegen und bisherige Lücken schließen.

In keinem anderen der vergangenen Terrorprozesse haben Angeklagte so umfassende Geständnisse abgeliefert. Der Vorsitzende Richter, Ottmar Breidling, hatte schon vor Wochen von "sehr umfassenden Einlassungen" der Angeklagten gesprochen. Auch einer der Ankläger, Bundesanwalt Volker Brinkmann, hatte sich beeindruckt gezeigt: Er habe das "in dieser Art und Weise noch nicht erlebt".

Die Vernehmungen wurden erst Ende vergangener Woche abgeschlossen. Die Einlassungen der vier Angeklagten sind insgesamt etwa 1200 Seiten stark und vermitteln ungewöhnliche Einblicke über den Alltag in Terrorcamps. Auch sollen die gesamten Strukturen der Islamischen Dschihad-Union (IJU) offengelegt worden sein.

Voraussetzung für die Aufnahme in die IJU soll das Leisten eines Treueschwurs gewesen sein. Den Schilderungen der Angeklagten zufolge sollen sie ursprünglich geplant haben, nach einer Ausbildung in einem Terrorcamp der IJU in der pakistanischen Grenzprovinz Waziristan als Kämpfer an die Front zu gehen. Angeblich soll die Leitung der IJU sie aber aufgefordert haben, Anschläge in Europa auszuführen.

Nach Darstellung mehrerer Angeklagter haben sie selbst das Anschlagsziel Deutschland festgelegt. Sie sollen Autobombenanschläge auf amerikanische Bürger und US-Einrichtungen in Deutschland vorbereitet haben als eine Art Gegenangriff für die Gefangenenlager in Abu Ghraib und Guantanamo.

"Vaterland" bedeutete "Ausbildungslager"

In abgefangenen E-Mails sollen Begriffe wie "Vaterland" und "Heimatland" als Synonyme für "Ausbildungslager" verwendet worden sein. Für eine angebliche Unterwanderung und Steuerung der IJU durch westliche Geheimdienste, wie dies Kritiker behauptet hatten, soll es in den Verhören keine Hinweise gegeben haben.

Ungeklärt ist weiter die Rolle eines Helfers der Terrorgruppe, der V-Mann des türkischen Geheimdienstes und Helfer der CIA sein und zentraler Ansprechpartner für die Beschaffung von 26 Sprengzündern für die "Sauerland-Gruppe" gewesen sein soll.

Wie der Spiegel berichtet, soll sich der Hauptangeklagte Fritz Gelowicz in den Vernehmungen als Leiter der deutschen Operation bezeichnet haben. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm bereits in der Anklage Rädelsführerschaft vor.

Dass die Angeklagten, die zwischen 23 und 30 Jahre alt sind, so umfassend mit den Behörden kooperierten, hängt vermutlich mit dem Strafrabatt zusammen, den der Strafsenat und die Ankläger für den Fall umfassender Geständnisse in Aussicht gestellt haben.

Zu den einzelnen Sachverhalten sollen die Angeklagten von Montag an vor Gericht selbst aussagen. Der Essener Anwalt Axel Nagler, der den Angeklagten Atila Selek verteidigt, sagte der SZ, sein Mandant habe "alles offengelegt, was er weiß. Manches weiß er aber auch schlicht nicht, oder kann sich einfach nicht mehr erinnern".

Er lege Wert darauf, dass sein Mandant vor Gericht "Auge in Auge offene verbale Erklärungen" zum Sachverhalt abgebe. Selek müsse "für die Richter als Person erlebbar und wahrnehmbar" sein. Es ist damit zu rechnen, dass die Angeklagten nach ihren Einlassungen zu einzelnen Abschnitten vom Gericht mit ihren eigenen Aussagen in den Vernehmungsprotokollen konfrontiert werden.

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