Prozess gegen russische Punkband:Warum "Pussy Riot" trotzdem gewonnen hat

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Der Stoff taugt zur Legende: Drei junge Frauen rebellieren lautstark gegen ein autoritäres System, werden vor Gericht gestellt und schleudern ihren Gegnern dort ihre Verachtung ins Gesicht. Der Prozess gegen die russische Punkband "Pussy Riot" hat weltweit Proteste ausgelöst und die Künstlerinnen zu Ikonen des Widerstands gemacht. Heute wird das Urteil verkündet.

Hannah Beitzer

Der Auftritt, der das Leben von Nadeschda Tolokonnikowa, Jekaterina Samuzewitsch und Maria Aljochina für immer verändern wird, dauert nur wenige Minuten. Vier Frauen in knallbunten Kleidern mit ebenso bunten Strumpfmasken auf dem Kopf stürmen in eine Kirche und zappeln vor dem Altar herum. Sie nennen sich Pussy Riot und singen: "Jungfrau Maria, Mutter Gottes, räume Putin aus dem Weg!" Dann werden sie von Männern in dunklen Jacken hinausbefördert. Kurz darauf werden sie verhaftet, wenig später beginnt in Moskau der Prozess gegen drei der Frauen, die hinter den Masken vermutet werden, ein Prozess, der von Anfang an als politisch motiviert kritisiert wird. Heute wird das Urteil erwartet.

Solidarität mit Pussy Riot
:Mit Häkelmaske und Kettensäge

Seit das Moskauer Gericht die drei Mitglieder der Punk-Band "Pussy Riot" verurteilte, solidarisieren sich Aktivisten auf der ganzen Welt mit den Musikerinnen. In diesem Jahr waren sie sogar auf dem Karneval vertreten.

Die Staatsanwaltschaft hat drei Jahre Haft für die Musikerinnen gefordert - eine harte Strafe, vor allem, da zwei der Frauen Mütter kleiner Kinder sind. In ihren Schlussplädoyers machten die Künstlerinnen deutlich, dass sie damit rechnen, im Gefängnis zu landen. "Ich habe, was den Prozess angeht, gemischte Gefühle. Einerseits erwarten wir einen Schuldspruch (...) Wir haben verloren. Andererseits haben wir aber auch gewonnen. Die ganze Welt sieht, dass der Prozess gegen uns nur gestellt ist", sagte etwa die 30-jährige Jekaterina Samuzewitsch.

"Ich habe keine Angst vor euch. Ich habe keine Angst vor euren Lügen, vor eurem notdürftig verschleierten Betrug und dem Urteil dieses sogenannten Gerichts", hielt die 24-jährige Maria Aljochina der Anklage entgegen, "alles, was ihr mir rauben könnt, ist die äußere Freiheit. Aber meine innere Freiheit könnt ihr mir nicht nehmen." In ihrem Plädoyer rechnete sie unbeirrt mit dem russischen Bildungssystem ab, das den Menschen eigenständiges Denken abgewöhne. (Sehen Sie Ausschnitte der Schlussplädoyers im Video. Eine vollständige englische Übersetzung finden Sie hier.)

Tatsächlich haben die Aktivistinnen - unabhängig davon, ob sie bald hinter Gittern sitzen werden oder nicht - eines ihrer wesentlichen Ziele erreicht: Sie haben die ganze Welt auf die autoritären Tendenzen in ihrem Heimatland aufmerksam gemacht. Das verwackelte Video des "Punk-Gebets" ist inzwischen tausendfach im Internet verschickt worden und Pussy Riot sind weit über Russland hinaus zum Symbol für Widerstand und Rebellion geworden.

Überall auf der Welt initiierten Unterstützer Protestaktionen, bei denen Demonstranten mit bunten Strumpfmasken die Freilassung der Aktivistinnen fordern. Auf der Seite Freepussyriot.org wird in vielen verschiedenen Sprachen zur Unterstützung der Rebellinnen aufgerufen, auch auf Facebook tun Tausende Fans in bunten Posts und Videos, mit Fotoaktionen und Petitionen ihre Unterstützung kund. Auch über Twitter organisieren sich Anhänger der Band unter dem Hashtag #Pussyriot, Freepussyriot.org hat dort einen mehrsprachigen Account.

Der Protest im Netz ist kaum weniger kreativ als die anarchistisch anmutenden Aktionen der Band selbst. Flink werden da Matrjoschkas, die berühmten russischen Schachtelpuppen, mit bunten Strumpfmasken entworfen, T-Shirts mit dem Logo "Free Pussy Riot" designt oder Elektro-Songs komponiert. Manch einer ruft gar zum Boykott von russischem Wodka auf.

Für noch größere Aufmerksamkeit haben die prominenten Fans der Musikerinnen gesorgt: Die Sängerin Peaches hat ein Musikvideo mit dem Slogan der Bewegung "Free Pussy Riot" produziert und eine Petition initiiert, die zahlreiche Künstler unterschrieben haben. Paul McCartney wünscht den drei Frauen per offenem Brief viel Glück, die isländische Musikerin Björk widmet ihnen einen Song. Schließlich trat auch die Königin des Pop, Madonna, mit einem Pussy-Riot-Schriftzug auf dem Rücken in Sankt Petersburg auf - und musste sich dafür Anfeindungen der russischen Regierung gefallen lassen.

Fast könnte man meinen, die Popwelt hätte nur darauf gewartet, endlich einmal wieder die Freiheit der Kunst verteidigen zu können, schreibt der Journalist Sebastian Hammelehle auf Spiegel Online zu diesem geballten Star-Aufgebot: "Pop wäre vollends der Bedeutungslosigkeit anheim gefallen, wäre nicht am Mittwoch, den 8. August, ein Bild um die Welt gegangen, auf Facebook gepostet, von den Nachrichtenseiten veröffentlicht und damit zur Instant-Ikone geworden: Es zeigt Nadeschda Tolokonnikowa." Wie eine der berühmten Inszenierungen aus den Benetton-Werbekampagnen von Oliviero Toscani habe die Frau ihre Faust in den Himmel gereckt. Nur sei das Bild eben keine Inszenierung gewesen - sondern echte Rebellion.

Ein ähnliches Unbehagen spricht aus einem Text von Michael Idow, Chefredakteur der russischen Ausgabe des GQ-Magazins. Er beklagt in der New York Times, dass Gefühle im Verfahren eine zu große Rolle spielten. Dass vor Gericht die Zeugen des Auftritts etwa völlig unverständlicherweise als "Opfer" bezeichnet und behandelt würden, dass aber auch die Verteidigung sich auf Jesus Christus und dessen Botschaft der "Vergebung" berufe. "Ein Prozess sollte sich um Fakten drehen (...). Stattdessen geht es die ganze Zeit nur um Gefühle, inklusive der von Patriarch Kirill I. und Präsident Wladimir Putin", schreibt er.

Einzige Ausnahme: die drei Angeklagten selbst, die nicht "auf die Knie fallen, weinen und so weiter" - sondern stattdessen sachlich bleiben, lächeln. Jedoch werde so ein Verhalten in Russland gänzlich "westlich" und "unfeminin" wahrgenommen, beobachtet Idov. Es gilt zumeist der alte Grundsatz: "Wenn du eine Frau in Russland bist, hilft nichts besser als Tränen".

Pussy Riot jedoch steht in der Tradition der feministischen Riot-Grrrl-Bewegung - und das "in einem Land, wo Feminismus immer noch ein Schimpfwort ist", wie Valeria Costa-Kostritsky in der britischen Wochenzeitung New Statesman schreibt. Erstaunt zitiert sie eine russische Bekannte, die zum Thema Feminismus sagt: "Das ist doch nur ein Mythos für junge Mädchen, die amerikanische Filme ansehen. Wir haben keine Zeit für Feminismus." Der westlich geprägte Feminismus von Pussy Riot ist für Costa-Kostritsky der Grund, warum selbst die russische Protestbewegung um den Blogger Alexej Nawalny den drei Aktivistinnen zuerst kritisch gegenüberstand und erst allmählich Partei für sie ergriff.

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