Prozess gegen Ratko Mladic:Beweise mit beschränkter Haltbarkeit

Viele Zeugen sind verstorben, viele Beweise sind inzwischen 15 Jahre alt: Vor dem Kriegsverbrecher-Prozess gegen Ratko Mladic in Den Haag muss die Anklage Schwerarbeit leisten. Es könnte ihr letzter Einsatz werden. Eine Blamage wie im Fall Karadzic soll unbedingt vermieden werden.

Ronen Steinke

Die Taten liegen weit zurück. 19 Jahre sind seit den Granateneinschlägen in das belagerte Sarajewo vergangen, dem ersten von zahlreichen Kriegsverbrechen, die Ratko Mladic nach Ansicht der Ankläger am Jugoslawien-Tribunal der UN befehligt hat. Vor 16 Jahren hatten die Haager Ankläger ausreichend Zeugenaussagen, Satellitenfotos und Telefonmitschnitte beisammen, um eine Anklageschrift gegen Mladic zu formulieren, die den Ansprüchen genügt, die die Richter am Tribunal an Beweise stellen. Und 15 Jahre liegt es zurück, dass auf der Grundlage dieser Beweismittel ein erster internationaler Haftbefehl gegen Mladic erlassen wurde.

Bosnia Srebrenica mass grave

In einem Massengrab nahe der Stadt Sebrenica liegt ein Uhr eines Opfers. Der mutmaßliche Verantwortliche für das Massaker, Ratko Mladic, muss sich in Den Haag vor dem Jugoslawien-Tribunal verantworten.

(Foto: AP)

Schon für ein alltägliches Strafverfahren wären das lange Zeiträume - für ein hochkomplexes, das Befehlsketten erhellen, politische Zuständigkeit aufklären und womöglich noch die unterschiedlichen Geschichtsbilder auf dem Balkan zurechtrücken soll, ist es das erst recht.

Viele Zeugen, auf die sich die Ankläger zu Beginn der neunziger Jahre berufen wollten, sind verstorben. Andere wurden später selbst zu Angeklagten oder wandten sich aus politischen Gründen vom Tribunal ab. Bis Ratko Mladic in Den Haag die Anklageschrift verlesen werden kann, muss ihn nicht nur die serbische Justiz ausliefern, die das am Freitag ankündigte. Auch den Haager Anklägern steht viel Arbeit bevor.

Die Anklagebehörde wirft dem ehemaligen General der bosnisch-serbischen Armee Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vor, wobei der Vorwurf des Völkermordes gegen den Befehlshaber des Massakers von Srebrenica im Mittelpunkt steht.

Serbische Truppen hatten dort im Juli 1995 fast 8000 muslimische Männer und Jugendliche getötet. Dass dies nicht nur ein vielfacher Mord war, sondern ein Völkermord im rechtlichen Sinne, wie es ihn in Europa ein halbes Jahrhundert lang nicht gegeben hatte, hat das Jugoslawien-Tribunal bereits im Jahr 2004 geurteilt.

"Spannend wird in einem Prozess gegen Mladic aber die Frage sein, ob auch andere Massaker erstmals als Völkermord eingestuft werden", sagt der Kölner Völkerrechtsprofessor Claus Kreß. Die Anklageschrift zählt eine lange Reihe von Orten auf, in denen Mladics Truppen die von ihnen sogenannten "ethnischen Säuberungen" durchführten: Vertreibungen der nicht-serbischen Bevölkerung, oft durch fürchterliche Morde.

Für den Vorwurf des Völkermords werde sich das Tribunal im Wesentlichen auf Indizienbeweise stützen müssen, vermutet der Göttinger Strafrechtler Kai Ambos. Und wie auch im Verfahren gegen den ehemaligen Serbenführer Radovan Karadzic, das derzeit in Den Haag verhandelt wird, wird sich das Gericht dabei auf Zeugen stützen müssen - worin dann die Hauptschwierigkeit liegt.

Peinliche 15 Monate

Seit den Anfängen dieses Strafverfahrens haben sich vier Chefankläger im Amt abgelöst. Alle haben mit unterschiedlich großem diplomatischen Druck daran gearbeitet, Mladic zu fassen zu bekommen - allerdings nicht immer auch mit derselben Mühe daran, ihre Beweismittel frisch zu halten. Das führte zuletzt zu einer Blamage.

Als im Sommer 2008 überraschend der ehemalige bosnische Serbenführer Radovan Karadzic ergriffen wurde, waren die Juristen in Den Haag auf diesen lang ersehnten Coup nur schlecht vorbereitet, es dauerte Monate, bis die Ankläger genügend neue Zeugen für einen Prozess im Jahr 2009 zusammengestellt hatten.

Aus der Sicht der Geldgeber im UN-Sicherheitsrat hatte da bereits die Endphase des Tribunals eingesetzt, sein Mandat lief aus, das Personal war reduziert. Peinliche 15 Monate vergingen bis zur Eröffnung des Prozesses - den die Richter dann gleich wieder vertagten, um es dem Angeklagten zu ermöglichen, sich in die neu gefasste Anklageschrift einzulesen.

Der Chefankläger des Tribunals, Serge Brammertz, ordnete damals an, die Beweise auch gegen die beiden noch flüchtigen mutmaßlichen Kriegsverbrecher, Ratko Mladic und Goran Hadzic, vorsorglich auf den neusten Stand zu bringen. Bis zum Frühjahr 2010 schnürten die Ankläger ein komplettes neues Paket an Beweisen gegen Mladic. Doch bis heute haben die Richter des Tribunals dieses neue Paket nicht offiziell zugelassen.

An inhaltlichen Differenzen liege diese Verzögerung nicht, vermutet Claus Kreß. Grund könne vielmehr sein, dass auch die Richter, die derzeit zahlreiche Verfahren zu einem Ende bringen müssten, von der plötzlichen Aktualität des Falles Mladic überrascht wurden.

Nach der Ergreifung von Karadzic im Jahr 2008 hatte der UN-Sicherheitsrat dem Tribunal noch einmal zwei Jahre geschenkt. Anstatt 2011 sollte es erst 2013 geschlossen werden, 20 Jahre nach seiner Gründung. Ob die Juristen nun noch eine zweite letzte Frist bekommen, ist offen.

Die russische Regierung, von Beginn an kein Freund des Tribunals und im UN-Sicherheitsrat mit einem Vetorecht ausgestattet, forderte am Freitag bereits, dass nach dem Mladic-Prozess jedenfalls Schluss sein müsse.

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