Prozess gegen Oldschool Society:Virtueller Stammtisch oder terroristische Zelle

Defendants of far-right 'Oldschool Society' organisation stands between lawyers in courtroom in Munich

Die Angeklagten der Oldschool Society im April 2016 im Münchner Gerichtssaal.

(Foto: REUTERS)
  • Im Prozess gegen die Mitglieder der Oldschool Society soll das Urteil fallen.
  • Den drei Männern und einer Frau wird unter anderem die Bildung einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung eines Sprengstoffanschlags vorgeworfen.
  • Die Besonderheit: Die Anklage beruht wesentlich auf ihren Aussagen in sozialen Netzwerken.

Von Moritz Geier, Antonius Kempmann und Ronen Steinke

Ein letztes Wort also. Die Plädoyers sind gesprochen, der Richter hat sich den Angeklagten zugewandt, und Andreas H. hat noch etwas zu sagen. Er sitzt im Saal B277/II des Oberlandesgerichts München, zwischen seinen Anwälten. "Morden? Ich, der H.?" Stille. H. weicht allen Blicken aus, schaut in den Teil des Raumes, in dem niemand sitzt. Dann schüttelt er den Kopf. "Mit Sicherheit nicht."

Audionachricht von Andreas H., 13. Februar 2015, 21:48 Uhr: Dann reingehen, dingsbums, Sturmhaube aufsetzen, reingehen, zack, einfach, einer drin ist oder nicht, scheißegal, laufst da durch, bupp bupp bupp, kippst die 20 Liter aus quer durch die ganze Kirche in Richtung Ausgang, schmeißt am Ausgang, ich sach nen Streichholz drauf, wumm bumm, des des des brennt wie Zunder.

Andreas H. aus Augsburg ist 58, verheiratet, von Beruf Maler. Im Netz verschickte er über Monate solche Nachrichten, er hatte eine Facebook-Seite mit mehr als 2000 Fans und eine Chat-Gruppe, zunächst bei Whatsapp, später bei Telegram. Jetzt sitzt er vor der Staatsschutzkammer, weil er der Anführer der Oldschool Society (OSS) sein soll, einer rechtsextremen Gruppe, die sich virtuell austauschte.

Vor einem Jahr hat der Prozess gegen drei Männer und eine Frau begonnen, die mutmaßlich deren harter Kern waren. Der Vorwurf: Bildung einer terroristischen Vereinigung, Planung von Mord und Totschlag, Vorbereitungen eines Sprengstoffanschlags.

Das Einzigartige an diesem Fall ist: Die Ermittler haben monatelang jedes Wort mitgelesen und mitgelauscht. Sie haben erlebt, wie in Chatrooms und Facebook-Timelines der Hass gegen Ausländer in gegenseitiger Bekräftigung anschwillt wie in einer Echokammer, bis immer mehr von handfester Gewalt die Rede ist. Im Netz ist das natürlich keine Seltenheit. Aber es ist selten, dass man es so genau rekonstruieren kann.

Im Gerichtssaal sitzen neben Andreas H. drei Mitangeklagte. Olaf O., 48, verdeckt die Tattoos an seinem Hals mit einem schwarzen Kapuzenpullover. In der Facebook-Gruppe hatten sie sich ein Logo gebastelt, das ein bisschen nach Heavy-Metal-Band aussieht, und sie hatten sich Titel verliehen: Olaf O. war der "Press Chief", der Presseverantwortliche.

Hinter ihm sitzt Denise G., 24, Piercings im Gesicht: die "Schriftführerin". Schrift geführt hat sie natürlich nicht, genauso wenig wie Olaf O. Pressemitteilungen geschrieben hat. In ihrem Blick liegt etwas Spöttisches, so als müsste sie sich ständig anstrengen, ein Grinsen zu unterdrücken über das, was man hier spielt. Dann ist da noch Markus W., 41, "Vizepräsident".

Radikalisierung im Chat

Ende 2013, Anfang 2014 lernen sie sich beim Chatten kennen. Sie schreiben über private Dinge, schimpfen über Ausländer, einer schreibt "Asylis", der nächste "Musels". Es dauert ein wenig, bis die ersten aufdrehen und immer derber formulieren. Auch im Netz entblättert sich nicht jeder gleichermaßen schnell.

Einmal postet einer ein Bild einer Axt und schreibt darunter: "Kanaken zerhaken". Es wird über Anschlagsziele diskutiert: Angela Merkel, Kirchen, der Bundesgerichtshof, Moscheen, Asylbewerberheime. Am 13. Februar 2015 um 21.24 Uhr entwickelt sich ein Chat, in dem offenbar jeder der vier virtuellen Freunde dem anderen seine Radikalität beweisen will:

Audionachricht von Olaf O.: Na ja, einer wird nicht reichen, dat dat eh, dat wird keine Massen bewegen. Weil ist ja nur einer. Dat muss eh irgendwie, ja, weiß ich nicht, Einkaufsmeile oder Schule oder Kindergarten, irgendwat wat wirklich aufsehenerregend ist muss in die Luft fliegen und das muss dann den Musels angelastet werden

Textnachricht von Denise G.: Ich wollte gerade sagen olli.. Kindergarten schockt definitiv .. Aber das hab selbst ich ni drauf

Audionachricht von Andreas H.: Eben, man kann ja patriotisch eingestellt sein, ich sach, wie man mag, ne, nationalistisch denken, scheiß egal, ne und und und ne. Aber man muss sich auch wirklich die Frage stellen, habe ich dann das drauf zu tun. Kindergar ... freilich, das hört sich alles ganz ganz toll an. Also ich könnte es auch nicht, ganz ehrlich nicht. Ne, das würde ich mit mit meinem Schädel nicht in Einklag bringen

Textnachricht von Denise G.: Nen betreutes wohnen für behinderte. Das würde ich gut mit mir vereinbaren können

Das sind die Gewichte, die der Generalbundesanwalt im Prozess auf die Waage legt. Das Besondere an diesem Fall ist aber auch: Außerhalb der virtuellen Welt haben sich alle vier Angeklagten nur ein einziges Mal getroffen, bevor sie verhaftet und in einem Münchner Gerichtssaal nebeneinander gesetzt wurden.

Abwägen zwischen Gefahr und Angeberei

Am 15. November 2014 war das, bei einer Art Gründungstreffen der Oldschool Society in einer Kleingartenanlage in Borna bei Leipzig. 14 Leute sind dabei. Es wird vor allem gesoffen. Am Ende fährt ein Wagen mit Blaulicht vor, aber es sind keine Polizisten, sondern Sanitäter.

So ist dieser Fall auch ein Paradebeispiel dafür, wie schwer es für die Behörden ist, mit den Hasstiraden im Netz umzugehen. Wann meint es jemand ernst mit seinen Gewaltfantasien? Wann ist er bloß ein Schaumschläger, der sich austobt im Schutz der Anonymität, um am nächsten Morgen, ausgenüchtert, wieder aufs Baugerüst zu klettern, die Farbrolle in der Hand?

Irgendwann im Sommer 2014 wird zunächst das Bundesamt für Verfassungsschutz aufmerksam auf die Internet-Posts der Gruppe. Der Inlandsgeheimdienst wendet sich an das Bundeskriminalamt, das die Überwachung der Telekommunikation der Gruppe beantragt. Lange hört man nur zu.

Am 21. Februar dann, um 11:05 Uhr, schreibt der "Press Chief", Olaf O., an die Chatteilnehmer: Man wolle sich nun eine ganze Woche lang zum Zelten treffen, wieder in Borna. "Am Tag der Anreise ist nüchternes Erscheinen gewünscht", denn man wolle Themen besprechen, "die man nicht im Internet oder am Handy bespricht". "Desweiteren haben wir vor ein bis zwei, drei ...Aktionen zu starten".

Am 1. Mai 2015 fährt Markus W. nach Tschechien, um illegale Böller und Pyrotechnik zu kaufen. Dies ist der Punkt, an dem die Behörden genug gehört haben: Zwei Tage vor dem geplanten Treffen am 8. Mai verhaften sie vier Leute, Bundesinnenminister Thomas de Maizière zieht einen Vergleich zum NSU, der Neonazi-Terrorgruppe, die zehn Mal morden konnte, weil niemand sie rechtzeitig stoppte.

Wer ein Urteil trifft in diesem Fall, muss sich mit Worten befassen, muss Aussagen interpretieren und abwägen zwischen Wahrheitsgehalt und Übertreibung, zwischen Gefahr und Angeberei. Andreas H., der Maler aus Augsburg, doziert im Chat gern über Bombenbau, das "einfachste der Welt mit'n bisschen Schwarzpulver". Als er aber gedrängt wird, das voranzutreiben, schreibt er, er habe keine Ahnung von Chemie, seine Küche sei zu teuer.

Hirntumor, Jobverlust, Scheidung

Ein anderes Mal suggeriert er, im Besitz scharfer Waffen zu sein. Als die Ermittler am 6. Mai 2015 seine Wohnung durchsuchen, zeigt sich, es sind nur Gas- und Luftwaffen. Hat sich da einer wichtig gemacht?

Der Anwalt von Olaf O. erzählt am letzten Gerichtstermin noch einmal die Geschichte seines Mandanten: abgerutscht aus einem normalen Leben, Hirntumor, Jobverlust, Scheidung. Mit dem sozialen Abstieg kam die Einsamkeit, dann die Flucht ins Internet. Die Echokammer ist auch ein Auffangnetz.

Ein "virtueller Stammtisch" sei die OSS doch nur gewesen, hat Andreas H. in seinem Schlusswort noch gesagt. "Wenn alles für wahr genommen wird, was bei so Stammtischen gequatscht wird, dann dürfen wir bald Stadelheim ausbauen", das Gefängnis also. "Dann wär ja alles voll." Das Urteil gegen die Mitglieder der Oldschool Society soll an diesem Mittwoch fallen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: