Einer der Angeklagten lässt sich schon jetzt als Märtyrer feiern: Man entscheide sich für den "Knast im Bewusstsein dafür, dass man wenigstens als Individuum etwas getan hat, was sich vom allgemeinen Durchschnitt allzu sorgsamer allwissender, selber aber peinlichst auf die persönliche Sicherheit bedachter, Volksgenossen abhebt". Unterzeichnet: Die Schriftleitung.
Hinter der Schriftleitung dürfte der Neonazi Axel M. stecken. Er muss sich von diesem Dienstag an zusammen mit einem Kameraden vor dem Landgericht Rostock verantworten: Dort beginnt der Prozess gegen die beiden mutmaßlichen Betreiber der Internetplattform Altermedia Deutschland - Störtebeker-Netz. Der zweite Angeklagte ist der 30-jährige Robert R. Nach Angaben von Altermedia soll dieser angekündigt haben, dass er mit Gericht und Staatsanwaltschaft zusammenarbeiten wolle. Beide Angeklagte sind bereits wegen Volksverhetzung und anderer Delikte vorbestraft.
Die Staatsanwaltschaft legt den Angeklagten zur Last, in 50 Fällen durch Veröffentlichungen auf der Internetplattform straffällig geworden zu sein. Sie sollen im Zeitraum zwischen Ende 2008 und Mitte Juli 2010 unter anderem Kommentare, die zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufrufen, nationalsozialistische Verherrlichungen, verfassungsfeindliche Kennzeichen sowie Beleidigungen von Politikern und Aufforderungen zur Begehung von Straftaten - für jedermann lesbar - veröffentlicht haben. Die Anklageschrift umfasst 246 Seiten.
Bei Altermedia Deutschland - Störtebeker-Netz handelt es sich nach Einschätzung des Verfassungsschutzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern um eines der bedeutendsten Portale deutscher Rechtsextremisten. "Die Seite ist an Radikalität nicht zu überbieten", sagt Julian Barlen, Rechtsextremismus-Experte und SPD-Landtagsabgeordneter in Mecklenburg-Vorpommern. Dem Leserklientel, das Altermedia bedient, sei die rechtsextreme NPD zu lasch. Täglich werden auf der Seite neue Artikel eingestellt. Zumeist sind es Verweise auf Nachrichten, die die Schriftleitung auf anderen Seiten entdeckt hat und die sie auf Altermedia buchstäblich in die rechte Ecke rückt.
"Ein hohes Maß an Rafinesse"
2002 war die deutsche Version von Altermedia International ans Netz gegangen, seither gilt M. als Betreiber der Seite. Zwar prahlte der Stralsunder auch selbst in einem Gespräch mit der Frankfurter Rundschau im Jahr 2003 damit, dass er die "Nummer eins im Netz" sei. Doch bislang konnten ihm dies die Ermittlungsbehörden nicht eindeutig nachweisen. Auf dem Portal ist kein Impressum zu finden und es liegt auf Internet-Servern in den USA, wo vieles, was in Deutschland verboten ist, unter die Meinungsfreiheit fällt. Darunter auch Holocaust-Leugnung. Es könnte deshalb interessant werden, wie das Gericht in Rostock eine mögliche Strafbarkeit in Deutschland begründet.
Der SPD-Landtagsabgeordnete Mathias Brodkorb sagt denn auch, dass bereits die Anklage von zwei mutmaßlichen Drahtziehern der Seite schon jetzt als Erfolg angesehen werden könne. "Es war weder Dummheit noch Naivität, für alle lesbar verfassungsfeindliche Parolen zu verbreiten. Dahinter stand schon ein hohes Maß an Raffinesse." Bei einer Verurteilung drohen den Angeklagten Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren. Insgesamt sind vier weitere Verhandlungstage angesetzt.
Die Seite spiegelt die Themenagenda der rechtsextremen Szene wider: Besonders häufig finden sich dort Beiträge, die die Kriminalität in Deutschland lebender Ausländer belegen sollen, antisemitische Hetze sowie Beiträge, die den Holocaust nicht als historische Tatsache anerkennen und den Nationalsozialismus verherrlichen.
Hitler ist bei Altermedia der "beliebteste Staatsmann" der Welt - und den feiern die Betreiber der Neonazi-Plattform jedes Jahr am 20. April. Auch diese Einträge beschäftigen nun die Staatsanwaltschaft. 2009 soll ein Beitrag mit einem Hitler-Porträt online gegangen sein, in dem es hieß: "Denn was eine Welt von Feinden über IHN auch sagen und behaupten mag (...), letztendlich bleibt er uns Deutschen doch immer, was er ist und immer war UNSER HITLER." Das kommt bei der rechtsextremen Leserschaft an, die Einträge unter dem Beitrag fallen ähnlich glorifizierend aus. So schreibt ein Nutzer: "Unserem geliebten Führer zum 120-sten Geburtstag ein dreifach-donnerndes S..g HEIL !!!"
Auf Altermedia Deutschland werde "in den Artikeln und Kommentaren eine radikal antisemitische und nationalsozialistische Einstellung" der Macher und der Kommentatoren deutlich, heißt es in einer Antwort der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern auf eine Anfrage der Linke-Fraktion aus dem Jahr 2010. Ziel der Verantwortlichen sei es, "eine Gegenöffentlichkeit aus rechtsextremistischer Sicht zu schaffen", schreiben die Verfassungsschützer des Landes in ihrem Bericht aus dem Jahr 2009.
Besonders eifrig war die Schriftleitung im Vorfeld des Prozesses: Allein an diesem Dienstag wurden fünf Beiträge online gestellt. Unter den neuesten Veröffentlichungen findet sich etwa ein Artikel mit dem Titel "Igittigitt: Der schuppenflechtekranke Untertaucher": Darin verweist die Schriftleitung auf einen Bericht über einen Roma, der gegen seine Abschiebung kämpft. In den Kommentaren unter dem Beitrag setzt sich die Hetze fort: Es ist die Rede von "Parasiten" und "Zigeunerpöbel".
Das Gefährliche an der Internetplattform sei, dass offen zu Angriffen und zu körperlicher Gewalt gegen konkrete Personen aufgerufen worden sei. "Mir ist es vor ein paar Jahren selbst passiert. Da hat man in Foren gefragt, ob denn nicht rauszukriegen sei, wo ich wohne, um mein Haus in Brand zu stecken und mir auf den Leib zu rücken", sagte Brodkorb der Nachrichtenagentur dapd.
Zielscheibe von Altermedia wurde 2007 auch die CDU-Landtagsfraktion. Unter anderem war Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier als "Arme-Leute-Himmler" diffamiert worden. Die CDU ging gegen die Hetze vor - allerdings mit begrenztem Erfolg: Ein halbes Jahr lang habe man eine einstweilige Verfügung erwirken können, sagte Wolfram Axthelm, Sprecher der CDU-Landtagsfraktion im Schweriner Landtag.
Dagegen setzte sich Axel M. zur Wehr: Das Gericht erachtete die Indizien schließlich nicht als ausreichend, dass M. tatsächlich der Urheber der Seite sei. Von dem nun laufenden Prozess erhofft man sich eine Verurteilung der beiden mutmaßlichen Betreiber, damit "ein kräftiges Signal gesendet wird, dass der deutsche Rechtsstaat auch bei so kompliziert angelegten Internetseiten nicht wehrlos ist".
M. selbst ist seit den neunziger Jahren in der rechtsextremen Szene aktiv - zuletzt hatte er bei der NPD einen Posten im Stralsunder Kreisverband inne. Allerdings verließ er die rechtsextreme Partei im Streit, was häufig in den Kommentaren der Schriftleitung auf Altermedia zum Ausdruck kam. Besonders geärgert haben dürfte sich die NPD darüber, dass in den Beiträgen auf Altermedia immer wieder interne Konflikte öffentlich ausgetragen wurden.
Die Zugriffe auf Altermedia sollen sich in einer Größenordnung von bis zu vier Millionen im Jahr bewegt haben, schreiben die Schweriner Verfassungsschützer im Jahr 2003. Und nach Einschätzung des Rechtsextremismus-Experten und SPD-Politikers Barlen bestimmt die Seite noch immer die Themenagenda "eingefleischter Rechtsextremisten", denen die NPD zu bürgerlich ist. Das rechtsextreme Portal Mupinfo, das ebenfalls seinen Sitz in Mecklenburg-Vorpommern hat und täglich aktualisiert wird, dürfte für die Leserschaft von Altermedia keine Alternative darstellen. Die Berichterstattung sei ihnen zu NPD-nah, erklärt Barlen. Zudem sei dort die Kommentarfunktion sehr eingeschränkt.
SPD-Mann Barlen, der das Internetportal Endstation Rechts betreut, rechnet mit einer Verurteilung der beiden Angeklagten. Hoffnung macht ihm ein Urteil von März 2011, in dem das Landgericht Stralsund zu dem Ergebnis kam, dass M. der redaktionell Verantwortliche für das Portal sei. Sollte M. tatsächlich zu einer Haftstrafe verurteilt werden, wäre dies nach Einschätzung von Barlen ein schwerer Schlag für die extrem rechte Szene. Zwar könnte sich auf lange Sicht ein ähnliches Angebot entwickeln. Doch kurzfristig würde die Seite von Altermedia Deutschland stillstehen. "Solche Projekte hängen auch in der rechtsextremen Szene sehr stark am Engagement einzelner Personen", erklärt Barlen.
Mit Material von dapd