Justiz in Mecklenburg-Vorpommern:Prozess gegen ehemaligen SS-Mann könnte scheitern

"Selektion" an der Rampe des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau

"Selektion" durch die SS im Vernichtungslager Auschwitz: Mord verjährt nicht - auch nicht nach 72 Jahren.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Hubert Z. war SS-Sanitäter im KZ Auschwitz, dafür soll er im Februar in Neubrandenburg vor Gericht stehen. Gäbe es da nicht schwere Vorwürfe gegen die Richter.

Von Lena Kampf

Der Zug aus dem Ghetto Lodz erreichte Auschwitz am 15. August 1944. Gleich an der Rampe wurde Walter Plywaski von seiner Mutter getrennt, sie musste sich einreihen bei denen, welche die SS sofort ins Gas trieb. Walter Plywaski, damals 15 Jahre alt, sein Adoptivbruder und sein Vater wurden zum Arbeiten in die Männerbaracken geschickt. Das Vernichtungslager überlebten nur die beiden Kinder.

Im SS-Lazarett in Auschwitz-Birkenau tat zu dieser Zeit Hubert Z. seinen Dienst, er war Unterscharführer in der SS-Sanitätsstaffel, medizinisches Hilfspersonal, das SS-Angehörige pflegte. Sanitätsdienstgrade ermordeten auch Gefangene mit Giftspritzen oder schütteten als "Desinfektoren" das Zyklon B in die Gaskammern.

Staatsanwalt versus Kammer

Z. will nur Erste Hilfe geleistet haben, Verbände, keine Spritzen. Er habe nicht gewusst, dass in Auschwitz Häftlingstransporte ankamen, sagte er in einer Vernehmung im März 2014. Er habe weder Rampe und noch Züge gesehen. Die Schlote der Krematorien, aus denen nachts die Flammen bis zu zehn Meter herausschossen, habe er für ein Heizwerk gehalten.

Die Erklärungen des heute 95-Jährigen hält die Staatsanwaltschaft Schwerin für wenig plausibel. In Kleinstarbeit haben die Ermittler Indizien gegen Hubert Z. zusammengetragen, die seine Mitschuld am Massenmord in der Zeit vom 15. August 1944 bis zum 14. September 1944 beweisen sollen. Neben dem Deportationszug von Walter Plywaski sind in diesem Zeitraum 14 weitere in Auschwitz angekommen, darunter auch jener mit Anne Frank und ihrer Familie.

Zur Massenvernichtung in Auschwitz habe Hubert Z. durch seine tägliche Arbeit beigetragen, das Gesamtgeschehen der Vernichtung unterstützt, heißt es in der Anklageschrift - diese Linie fahren die Ankläger in solchen NS-Prozessen seit einigen Jahren. Vier Jahre hatte er nach dem Krieg wegen seiner SS-Zugehörigkeit in Polen im Gefängnis gesessen, nun wirft ihm die Staatsanwaltschaft Schwerin Beihilfe zu Mord in 3681 Fällen vor.

Am 29. Februar soll vor dem Landgericht Neubrandenburg der Prozess gegen Z. beginnen, fast 72 Jahre nach den Taten. Nun aber mehren sich die Zweifel daran, ob das Gericht ihn überhaupt führen will. Zwar hat die Schwurgerichtskammer unter Vorsitz von Richter Kabisch drei Verhandlungstermine festgelegt, doch weder Zeugen noch andere Beweismittel vorgesehen. Lediglich zwei Sachverständige sind geladen, die erneut über die Verhandlungsfähigkeit von Hubert Z. entscheiden sollen.

Dass die anberaumte Hauptverhandlung nur dazu dienen soll, das Verfahren schnellstmöglich einzustellen, vermutet sogar der Schweriner Oberstaatsanwalt Förster.

Eine schnelle Prozesserledigung scheine für den Richter im Vordergrund zu stehen - und weil der das unverzichtbare Maß an Neutralität verloren habe, hat Förster den Vorsitzenden Richter Kabisch und den Berichterstatter nach Informationen von SZ, NDR und WDR in der vergangenen Woche wegen Befangenheit abgelehnt.

Es ist außergewöhnlich, dass ein Staatsanwalt sich in einer solchen Form gegen eine Kammer stellt. An diesem Dienstag haben auch die Anwälte von Walter Plywaski einen Befangenheitsantrag gegen die Richter gestellt, in dem sie den Umgang mit ihrem betagten Mandanten und Holocaust-Überlebenden rügen.

An- und Nebenkläger fühlen sich durch das Gericht in ihren Beteiligungsrechten massiv eingeschränkt. "Das Gericht will einfach nicht", fasst es der Juraprofessor Cornelius Nestler zusammen, der Walter Plywaski vertritt. Schon im Juni 2015 hatte das Landgericht entschieden, das Verfahren gegen Z. nicht zu eröffnen, nachdem es ihn für verhandlungsunfähig befunden hatte.

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