Prozess gegen die Sauerland-Gruppe:Mörderisch und höflich

Die "Sauerland-Terroristen" sind so skrupellos wie einst die RAF - dennoch gibt es einen Unterschied: Sie zeigen vor Gericht ein deutlich anderes Verhalten.

Hans Leyendecker

Ein mutmaßlicher Terrorist, der stundenlang über seine Taten spricht und am Ende seiner Ausführungen den Richter fragt, ob er "was ausgelassen" habe, erinnert an die Geschichte vom einstmals mörderischen Krokodil, das zum Vegetarier wurde. Der Hauptangeklagte im Sauerland-Prozess, Fritz Gelowicz, 29, trat diese Woche im großen Sitzungssaal des Düsseldorfer Landgerichts sehr brav auf.

Prozess gegen die Sauerland-Gruppe: Der Angeklagte Adem Yilmaz mit seinem Anwalt

Der Angeklagte Adem Yilmaz mit seinem Anwalt

(Foto: Foto: Reuters)

Er war überaus geständig und ausgesprochen höflich zum Vorsitzenden Richter Ottmar Breidling, 62, der streng sein kann. Ähnlich werden in der nächsten und den kommenden Wochen vermutlich auch die Auftritte der anderen drei Angeklagten im Zeugenstand ablaufen.

"Also, du faschistisches Arschloch"

Das war früher anders: Im Baader-Meinhof-Prozess, der im Mai 1975 in Stammheim begann, rief der Angeklagte Andreas Baader morgens dem Vorsitzenden Richter Theodor Prinzing ein herzliches "Also, du faschistisches Arschloch" zu. "Prinzing, auf einen wie dich muss man an der nächsten Ecke mit einem Gewehr warten", meinte ein anderer Angeklagter. Der Richter fragte lammfromm, ob das ein Antrag sei. Geständnisse gab es keine.

Die jahrhundertealte Geschichte des Terrorismus ist lang und blutig, aber die 34 Jahre, die zwischen dem größten RAF-Verfahren und dem bislang größten deutschen Verfahren gegen islamistische Terroristen liegen, scheinen geradezu eine Ewigkeit zu sein. So gravierend die Unterschiede zwischen den Terror-Prozessen einst und heute sind, so auffallend ist auch die Verschiedenartigkeit der Träumer und Fanatiker, was wiederum erhebliche Auswirkungen auf die Arbeit der Strafverfolger hat.

Unterschied Nummer eins: Die Verschwörer der RAF, insbesondere die der dritten Generation, führten ihren selbsterklärten Krieg im Dunkeln. RAF-Mitgründer Andreas Baader war noch in auffälligen Autos durch die Gegend karriolt, seine Nachfolger lebten äußerst unauffällig. Nur ganz selten hinterließen sie irgendwelche Spuren. Vor Einbrüchen, die meist der Geldbeschaffung dienten, sprühten sie die Hände ein, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen.

Tarnung als Lebenselexier

Sie waren Meister der Konspiration. Täuschen und Tarnen war geradezu ihr Lebenselixier. Mitglieder der Sauerland-Gruppe hingegen, die schwerste Bombenattentate plante, bewegten sich auffällig und lärmend durch die Gegend.

Einmal, das berichtete Gelowicz in seiner Aussage, seien ihnen die Leute vom Staatsschutz derart dicht mit ihren Autos auf der Pelle gewesen, dass sie einem der staatlichen Verfolger den Reifen zerstochen hätten. Indianerspiele für Erwachsene.

Als er mit den anderen am Hindukusch Anschläge in Deutschland geplant habe, so Gelowicz, seien ihm natürlich Zweifel gekommen, ob er der Richtige dafür sei. Die Behörden in Deutschland hätten ihn gekannt und überwacht. Kurz vor der Festnahme im September 2007 fiel die Gruppe bei einer Polizeikontrolle auf. Die Männer bekamen mit, dass die Behörden sie im Visier hatten und machten weiter, bis sie festgenommen wurden.

Traumtänzer, derengleichen die Welt des Terrorismus noch nie gesehen hat. Professionell klandestin waren sie lediglich in der Handhabung des Internets.

Die Legitimität von Gewalt

Unterschied Nummer zwei: Die RAF und viele andere Terrorgruppen arbeiteten völlig abgeschottet. Jahrelang haben deutsche Behörden erfolglos versucht, Spitzel in die RAF, die Bewegung 2.Juni oder in die Revolutionären Zellen einzuschleusen. Auch mehr als ein Jahrzehnt nach der Auflösung der RAF wissen die Behörden immer noch nicht, wer wirklich am Ende noch dabei war und wer nicht.

Unauffällige Schläfer

Nach den Anschlägen vom 11.September und der Feststellung, dass die Haupttäter von deutschen Behörden unbeachtet in Hamburg gelebt hatten, war bei den Sicherheitsleuten Panik aufgekommen. Von "Schläfern" war die Rede, die unauffällig lebten und dann auf Befehl von irgendwo furchtbar zuschlagen würden. Zunächst wurde befürchtet, es könne schon wegen der unterschiedlichen Kulturen kaum gelingen, in diesen Gruppierungen Informanten zu gewinnen und Agenten einzuschleusen. Diese Annahme war glücklicherweise falsch.

Die deutschen Sicherheitsbehörden haben in den vergangenen Jahren gute Arbeit geleistet: Sie schleusten ein Heer von V-Leuten und Agenten in verdächtige Gruppierungen, sie kooperieren weit intensiver als früher mit ausländischen Diensten und observieren manchmal rund um die Uhr sogenannte Gefährder.

Sie wissen so viel über potentielle Attentäter, dass ihr Wissen für sie zur Gefahr geworden ist. "Wenn etwas passiert", sagt ein hochrangiger Sicherheitsbeamter, "werden wir vermutlich die Täter gekannt haben. Und dann wird man uns vorwerfen, dass es dennoch zur Tat gekommen ist."

Leidenschaftliche Diskussionen

Der dritte Unterschied: In der RAF wurde - wie früher auch bei anderen Terrorgruppen - die Frage leidenschaftlich diskutiert, ob Gewalt immer legitim sei. Beispielsweise hat die kaltblütige Ermordung des GI Edward Pimental 1985 in Wiesbaden die RAF fast zerrissen. Terroristen beschafften sich seine Ausweispapiere, um auf dem Militärgelände einen Anschlag verüben zu können.

Der islamistische Terrorismus hingegen, das zeigten die Attentate von Djerba, London oder Madrid, kennt in der Regel keine Unschuldigen. Zu diesem Muster passte der mörderische Plan der Sauerland-Gruppe, in Deutschland Bombenattentate auf Pubs und Discos zu verüben, in denen amerikanische Soldaten verkehren.

Gelowicz hat vor Gericht aber auch gesagt, er habe sich mit einem seiner Kumpane darüber unterhalten, ob ein Lastwagen besorgt und mit Sprengstoff beladen werden könnte. Es fehlte am Sprengstoff, aber auch am Willen. Ein solches Verbrechen, so Gelowicz, käme nie in Frage, weil der Lastwagenfahrer "ja unschuldig" sei.

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