Süddeutsche Zeitung

Prozess gegen Bo Xilai:Verbotene Liebe

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Bo Xilai, Angeklagter in Chinas Sensationsprozess, präsentiert sich als Unschuldslamm und Opfer einer Dreiecksbeziehung. Korruption, Intrigen und Machthunger seien ihm fern, sagt der ehemalige Kader in seinem Schlussplädoyer. Vielmehr seien Frau und Kind schuld - und er so sparsam, dass er noch heute die langen Unterhosen trägt, die ihm einst seine Mutter schenkte.

Von Kai Strittmatter, Peking

Am Ende wimmelt es in dem Drama, das Bo Xilai zeichnet, vor korrupten, intriganten, machthungrigen Schurken. Die Ehefrau: "verrückt". Sein früherer Polizeichef: "bösartig". Nur einer ist unschuldig: der Erzähler selbst, die männliche Hauptrolle.

Bo Xilai, noch immer smart, gut aussehend und eloquent wie in seinen Zeiten als Politstar. Im Moment aber ist er Angeklagter in Chinas Sensationsprozess, und als solcher fühlt er sich vornehmlich verkannt, hereingelegt, hintergangen.

In seinem Schlussplädoyer am Montag zog das einstige Politbüromitglied noch einmal alle Register seines Könnens, und wie es sich für einen starken Abgang gehört, ließ er noch eine Bombe platzen: Am Ende, so Bo, sei alles nur ein Liebesdrama gewesen. Der verräterische Polizeichef sei ein Nebenbuhler um die Gunst seiner, Bos, Ehefrau gewesen. Nicht die Machtgier brachte ihn also zu Fall, nein, eine verbotene Liebe.

Da hielten noch einmal alle den Atem an, die vor den Bildschirmen im Land den Strom der Mikroblognachrichten verfolgten, die das Gericht in Jinan am Montag zum letzten Mal der Öffentlichkeit präsentierte. Moment mal, schrieb ein Nutzer aus Sichuan namens Pufei: "Hat das Ganze nicht einmal als Palastdrama begonnen? Um sich dann in einen Korruptionsthriller und schließlich in eine Familiensitcom zu verwandeln. Und plötzlich ist es eine Liebestragödie, eine Dreiecksbeziehung!"

Man weiß nicht, wessen Chuzpe man mehr bewundern soll: die der KP, die den Schauprozess als Beleg für Rechtsstaat und hartes Durchgreifen gegen Korruption verkauft, oder die des Angeklagten Bo Xilai, der das Unschuldslamm gibt.

Geständnis in allen Punkten

Das war schon kühn und kaum zu erwarten angesichts der Umstände: Das Urteil steht bei solchen Politprozessen schon vor Beginn fest, zudem hatte Bo zuvor ein Geständnis in allen Punkten unterzeichnet: schuldig der Bestechlichkeit, der Unterschlagung und des Amtsmissbrauchs. Das Geständnis widerrief Bo aber gleich zu Beginn des Prozesses: Es sei ihm von den Inspekteuren der berüchtigten KP-Disziplinarkommission abgepresst worden.

Am Montag schilderte er im Gerichtssaal die Taktik seiner Vernehmungsbeamten. Sie hätten ihm eingeschärft, so Bo, er solle zwei Fälle studieren: den des Ex-Gouverneurs von Anhui, Wang Huaizhong, und den des früheren Eisenbahn-Ministers Liu Zhijun. Beide standen wegen Korruption vor Gericht.

Der eine, Wang, wehrte sich gegen die Vorwürfe. Er wurde 2004 hingerichtet.

Der andere, Liu, kooperierte und äußerte seine "Dankbarkeit" der Partei gegenüber. Er sitzt im Gefängnis, aber er lebt noch.

Dieser Teil von Bo Xilais Verteidigungsrede fand im Übrigen nie seinen Weg in die Mikroblogs des Gerichts, die South China Morning Post berichtete am Montag als erste Zeitung von diesem und anderen Akten der Zensur.

Die Staatsanwaltschaft hatte in den vergangenen fünf Tagen Bo Xilai als Musterbeispiel des korrupten Funktionärs gezeichnet, und mit pikanten Details die Ressentiments der Bürger gefüttert: die Villa an der Côte d'Azur, der verzogene Sohn, die eiskalte Ehefrau, die einen britischen Geschäftsmann umbringt.

Bescheiden, sparsam, mit Unterhosen von der Mutter

Bo Xilais Gegentaktik war: Die Bestechungsgelder gab es, ja - aber sie flossen an Frau und Kind. Er wusste angeblich von nichts. Bo nämlich war, in seinen eigenen Worten, ein Workaholic, der kaum Zeit hatte für seine Frau, unter anderem weil er "in allen 14 Armutsbezirken von Chongqing" nach dem Rechten sehen musste. Der Bo, den Bo zeichnet, ist nicht nur ein harter Arbeiter, er ist bescheiden und sparsam und trägt heute noch die langen Winterunterhosen "die mir die Mutter in den 1960er-Jahren kaufte".

Außerdem ist er ein Freund des Rechtsstaats, der Gewaltenteilung, und vor allem: "Wir dürfen nicht nur die Worte des Staatsanwalts hören", sagte Bo Xilai an einer Stelle: "Sonst wird es viele Fehlurteile geben." Die Vorverurteilung durch die Staatspresse bedauerte er: "Das ist gegen den Geist von Rechtsstaat, Demokratie und Gerechtigkeit."

Das mögen manche von Bos Opfern mit gemischten Gefühlen gelesen haben: Als Parteichef regierte Bo Xilai im Verein mit seinem Polizeichef Wang Lijun die Stadt mit brutaler Repression, ließ Rivalen und Gegner in illegale Kerker werfen, manche foltern.

An unfreiwilliger Ironie war der Prozess ohnehin nicht arm. Auf die Vorwürfe, die Familie Bo habe sich aushalten lassen von dem reichen Unternehmer Xu Ming, und er, Bo, habe davon gewusst, sagte Bo Xilai an die Adresse des Staatsanwaltes: "Solches Verhalten fände man doch nicht einmal in den billigsten Seifenopern." Um nur zwanzig Minuten später, genau eine Stunde vor Ende, den Prozess zu einer solchen Seifenoper zu machen.

Der ganze Skandal war im Februar 2012 ins Rollen gekommen durch die Flucht von Polizeichef Wang Lijun aus Chongqing ins US-Konsulat nach Chengdu. Der Polizeichef sagt, er sei geflohen, nachdem er seinem Chef Bo Xilai den Mord durch dessen Ehefrau Gu Kailai an dem Briten Neil Heywood gebeichtet habe - und von da an um sein Leben gefürchtet habe.

Falsch, sagte Bo Xilai nun, der Polizeichef sei aus einem einzigen Grund abgehauen: "Er hatte Gefühle für meine Frau Gu Kailai." Die beiden hätten sich extrem nahe gestanden. Wang habe Gu seine Gefühle gestanden, und sich bei der Gelegenheit achtmal selbst geohrfeigt. "Es war eine spezielle Beziehung", sagte Bo. "Ich war sehr aufgebracht."

Einmal habe er Wangs Schuhe in seinem Haus gefunden. "Er ist in meine Familie eingedrungen, in meine tiefen Gefühle", sagte Bo. "Deshalb ist er in Wirklichkeit desertiert."

Das Urteil wird nicht vor nächster Woche erwartet, Bos Ehefrau Gu Kailai musste im August 2012 zwei Wochen warten, bis verkündet wurde, dass sie für den Mord an Heywood zum Tod auf Bewährung verurteilt worden war, eine Strafe, die für gewöhnlich in lebenslang umgewandelt wird.

"Der Vorhang ist gefallen", schrieb der Künstler und Bürgerrechtler Ai Weiwei am Montag auf Twitter: "Was in dem Stück fehlte, waren die 'großartige Partei', der Glanz der Wahrheit, die Hoffnung des Glaubens, die Anteilnahme der Kollegen. Da ist einer einsamer als bei einem Spaziergang im Weltraum."

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Quelle:
SZ vom 27.08.2013
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