Prozess gegen Bo Xilai in China:Machterhalt mit dem Mao-Revival

Bo Xilai war ein Pragmatiker, der westliche Investoren hofierte, ein Narziss, der einen eigenen Hofstaat unterhielt. Weil er bei Chinas Machtelite in Ungnade fiel, steht er jetzt vor Gericht. Dabei finden sich in den Ankündigungen der neuen Führung viele Themen, die Bo als Gouverneur in Chongqing vorexerzierte.

Von Kai Strittmatter, Peking

Die Karriere des Bo Xilai, dem seine Konkurrenten um die Macht heute den Prozess machen, war eine für China erstaunliche. Wo andere Funktionäre alles daran setzen, um keinen Preis aufzufallen, setzte er oft auf Show und Medien, und erfand sich unter großem Tamtam neu. Der Hafenstadt Dalian schenkte er eine Polizeireiterstaffel, die vor allem einen Zweck hatte: die hübschen Polizistinnen auf den Pferden und ihren smarten Bürgermeister so oft wie möglich in die Presse zu bringen. Als ihn die Zentrale später ins Hinterland abschob, ins schwer regierbare Chongqing, da ließ er dort keinen Stein auf dem anderen und präsentierte dem Land nach kurzer Zeit sein "Chongqing Modell". Er ließ nie einen Zweifel daran, dass er dieses Modell gern dem ganzen Land übergestülpt hätte.

Wie Partei- und Staatschef Xi Jinping, der Sieger in diesem Machtkampf, ist auch Bo Xilai einer aus der Prinzenclique: ein Sprössling jener alten Veteranen also, die an der Seite von Mao Zedong die Volksrepublik erkämpft hatten. Den ideologischen Eifer ihrer Väter ersetzten die Söhne und Töchter der neuen Elite schnell durch Pragmatismus, Profitlust und eher unideologischen Machthunger. Bo Xilai ist ein Mann, der feine Anzüge schätzt, ein Vater, der seinen Sohn zur Ausbildung in Eliteschulen nach England und Amerika schickte, ein Pragmatiker, der westliche Investoren hofierte, ein Narziss, der einen Hofstaat ihm genehmer Journalisten und Akademiker unterhielt, und der 2011 Henry Kissinger einfliegen ließ, um sich von ihm in einer Rede bauchpinseln zu lassen.

Bizarrster Streich

Da war Chongqing schon längst bekannt für den bizarrsten Streich Bo Xilais: Er hatte in der Stadt eine Wiedergeburt maoistischer Rituale eingeläutet. Wie einst in der Kulturrevolution traten Schulen, Firmen und sogar Gefängnisse an zum kollektiven Singen "roter Lieder". Die lokale Regierung verschickte maoistische Parolen per SMS. Bo Xilai war clever: Er spürte die Stimmung im Land, die wachsenden Ressentiments gegen die aus dem Ruder laufende Korruption und die immer krassere Kluft zwischen Superreichen und Armen. Und da es bis heute tabu ist in China, die Verbrechen Mao Zedongs öffentlich zu debattieren, die Millionen Menschen, die seiner Politik zum Opfer fielen, hatte Bo es leicht, eine in der Luft liegende Sehnsucht nach den alten Zeiten auszubeuten, Zeiten, in denen nach Meinung vieler vielleicht nicht alles gut war, in denen aber wenigstens alle gleich waren, wo es angeblich weder Kriminalität noch Korruption gab. Bo wurde schnell zur Galionsfigur der neuen Linken in China.

Es ist kein ideologischer Streit, der Bo das Genick gebrochen hat. Im neuen China wird kaum mehr um Ideologie, es wird vor allem um Macht und Privilegien gestritten. Und so steht Bo Xilai auch wegen "schwerer Disziplinarvergehen" vor Gericht, wo es nicht um Politik geht und schon gar nicht um das Mao-Revival, das Bo zum Entsetzen vieler Liberaler im Land in Chongqing feierte. In den Ankündigungen der neuen Führung finden sich sogar zahlreiche Themen wieder, die Bo als Gouverneur in Chongqing vorexerzierte: Jene Schritte etwa, die für einen sozialeren Kurs stehen und die den Unmut der weniger Privilegierten dämpfen sollen: zum Beispiel die Aufweichung der Melderestriktionen gegen Wanderarbeiter, die vom Land in die Stadt kommen. Oder der massenhafte Bau billiger Sozialwohnungen.

Auch Bos Rivale reitet auf der Mao-Welle

Gleichzeitig ist Bos zahlreichen Sympathisanten nicht entgangen, dass auch Parteichef Xi Jinping auf der Maowelle reitet. Tatsächlich beruft der sich seit Anfang des Jahres zur Überraschung von Freund und Feind so sehr auf Maos Erbe wie kein anderer Staatschef seit dem Tod Maos. Er besuchte Maos alte Kampfplätze und schwor: "Unsere rote Nation wird nie die Farbe wechseln." Er erteilte der von Liberalen verlangten Aufarbeitung der Verbrechen und katastrophalen Fehler Maos, letztlich einer historischen Neubewertung des Großen Vorsitzenden, eine kategorische Absage.

Xis eigener Vater war einst Opfer einer Säuberungswelle unter Mao. Dennoch: Hätte die KP sich nach Maos Tod von ihm abgewandt, so Xi vor Parteikadern im Januar, dann wäre der Sozialismus untergegangen und "in China hätte Chaos geherrscht". Anfang des Sommers trat der Parteichef eine gewaltige "Berichtigungs"-Kampagne los, die nun ein Jahr laufen soll: Sie soll die Partei von Korruption und Extravaganz säubern und die Kader im ganzen Land auf die "Massenlinie" einschwören - an Stelle politischer Reformen also eine Kampagne à la Mao, wie sie in Ausmaß und maoistischer Rhetorik keiner seiner Vorgänger gewagt hatte.

Mit politischen Reformen hat Xi Jinping nichts am Hut

Das heißt keineswegs, dass je zu befürchten gewesen wäre, Bo Xilai oder Xi Jinping könnten sich als Wiedergänger des alten Mao gerieren: Beide benutzen ihn bloß. Mao wollte mit seinen Worten stets die permanente Revolution befeuern, Bo wollte damit lediglich an die Macht, und Xi will das Gegenteil von Mao, nämlich Einheit und Stabilität in Partei und Land. Es heißt, die Führung um Xi Jinping wolle im Herbst Wirtschaftsreformen anstoßen: vielleicht die Macht der Staatsfirmen beschneiden, die Finanzpolitik ein Stück weit liberalisieren. In den Augen vieler Parteilinker sind solche Schritte Blasphemie - und so lautet ein häufig geäußerter Verdacht, dass Xi Jinping gerade deshalb das Andenken an Mao demonstrativ vor sich her trägt, um die innerparteiliche Opposition für sich einzunehmen.

Möglich, dass Xis Wirtschaftsreformen tatsächlich kommen, sicher ist mittlerweile: Mit politischen Reformen hat der Parteichef nichts am Hut. Seit April kursiert im ganzen Land ein "Dokument Nummer Neun", das die Kader vor "feindlichen westlichen Kräften" warnt und sieben Übel benennt, die in China niemals Fuß fassen dürften, darunter Ideen wie "Zivilgesellschaft", "universale Werte" wie Menschenrechte, unabhängige Medien oder "nihilistische Kritik" an der Vergangenheit der Partei. Die Volkszeitung druckt seither wütende Attacken, wonach zum Beispiel das Konzept einer "Regierung nach der Verfassung" nichts als "psychologische Kriegsführung" amerikanischer Kapitalisten sei. Bürgerrechtler, die die Offenlegung der Vermögensverhältnisse der KP-Kader oder die Umsetzung von Chinas eigener Verfassung von 1982 fordern, landen im Gefängnis. Gleichzeitig läuft eine Kampagne, die die Bürger zum "dreifachen Vertrauen" auffordert: Vertrauen ins politische System, Vertrauen in die Linie der Partei und Vertrauen in die kommunistische Theorie. Nach großem Selbstvertrauen klingt das nicht.

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