Prozess:Ferner Konflikt

Beim Prozess gegen zwei mutmaßliche Schergen Assads schildert eine Gutachterin die "Atmosphäre der Angst" in Syrien.

Von Moritz Baumstieger, Koblenz

Anwar R. hört mit einem an die Wange gelegten Zeigefinger zu, der Mitangeklagte Eyad A. legt das Kinn auf den vor ihm gefalteten Händen ab, als die Gutachterin eine Art Einführungsvorlesung zur jüngeren Geschichte ihres Heimatlandes hält. Der weltweit erste Folterprozess gegen Mitglieder des syrischen Geheimdienstes ist nach seinem international beachteten Auftakt vergangene Woche im Verfahrensalltag angekommen. Die Markierungen, die Zuschauer und Medien auf Corona-Abstand halten sollen, sind noch da. Die Kamerateams sind jedoch weitergezogen, der Andrang der Besucher überschaubar.

Anwar R. und Eyad A. arbeiteten laut Anklage beim Allgemeinen Geheimdienstdirektorat Syriens, bis sie sich 2012 absetzten. Anwar R. leitete eine für Ermittlungen zuständige Abteilung, befahl nach Ansicht der Bundesanwälte Folter in mindestens 4000 Fällen, 58 Opfer überlebten nicht. Eyad A. war Mitglied eines Greifkommandos, das Demonstranten, Oppositionelle und gewöhnliche Zivilisten in das Gefängnis von Anwar R. brachte. Beide Angeklagten beantragten später in Deutschland Asyl - und weil die Justiz hier seit 2002 laut dem Weltrechtsprinzip auch Kriegsverbrechen im Ausland aufarbeiten kann, stehen sie nun in Koblenz vor Gericht.

Die Taten können außer Landes geschmuggelte Dokumente und Zeugen belegen, die nach Europa geflohen sind. Bevor sie gehört werden, wollte sich das Gericht am Dienstag einen Überblick über den politischen und gesellschaftlichen Kontext verschaffen, in dem die Taten geschehen konnten - oder mussten, weil sie Militär oder Geheimdienst befahlen.

Und schon bei dieser Aufarbeitung der Entstehung des Syrienkonflikts zeigt sich, welche Schwierigkeiten der ungewöhnliche Prozess birgt - mal abgesehen von den Plexiglasscheiben, die die Teilnehmer zum Virenschutz trennen und eine Verhandlung via Mikrofon nötig machen: Natürlich können die beteiligten Juristen nicht alle Syrien-Experten sein. Doch selbst die Gutachterin, die von der Bundesanwaltschaft mit einer Zusammenschau der ersten beiden Jahres des Konfliktes beauftragt wurde, ist keine - Zuschauer scherzen, dass die Länderspezialisten wohl in Verfahren gegen Islamisten gebunden sind.

Das, was die Gutachterin von der alawitischen Minderheit und der sunnitischen Mehrheit in Syrien referiert, von der Geschichte der Baath-Partei und von dem, was sie Medien zu den ersten Konfliktjahren entnommen hat, ist keinesfalls falsch. Aber es zeigt, wie weit weg und schwer durchschaubar der Konflikt selbst für jene ist, die ihn verstehen möchten. Die "Atmosphäre der Angst", durch die das Assad-Regime das Volk seit Jahrzehnten beherrscht und zu der Anwar R. und Eyad A. beitrugen, bleibt an jenem dritten Verhandlungstag recht blass.

Bald aber soll es expliziter werden: Anwar R. hat eine schriftliche Einlassung angekündigt, die sein Anwalt an einem der kommenden Verhandlungstage verlesen wird. Eyad A. schweigt weiter, aber versteckt sich nicht mehr wie beim Prozessauftakt unter einer Kapuze - auch seine Corona-Schutzmaske baumelt nun lose auf der Brust.

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