Prozess:Anwälte der NSU-Opfer erheben massive Vorwürfe gegen Bundesanwaltschaft

Fortsetzung NSU-Prozess

Beate Zschäpe, die Angeklagte im NSU-Prozess am 5.12.2017.

(Foto: dpa)
  • Der Generalbundesanwalt habe die Aufklärung des NSU-Komplexes be- und verhindert, sagt eine Nebenklagevertreterin im NSU-Prozess.
  • Beate Zschäpes Verteidigung sieht in den Vorwürfen erneut einen Missbrauch des Schlussvortrags durch die Nebenklage.
  • Ausgerechnet die gescholtenen Vertreter der Bundesanwaltschaft verteidigen die Opferanwältin.

Aus dem Gericht von Wiebke Ramm

Es ist ein bitteres Fazit, das die Berliner Nebenklagevertreterin Antonia von der Behrens am Dienstag nach viereinhalb Jahren NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München zieht. "Das hiesige Verfahren hat nicht die nötige Aufklärung erbracht", sagt sie ganz am Ende ihres Plädoyers. "Dieser Umstand ist zu kritisieren, er ist aber nicht überraschend." Und weiter: "Die Machtverhältnisse zwischen unseren Mandanten und uns auf der einen und den Sicherheitsbehörden auf der anderen Seite sind zu ungleich."

Von der Behrens vertritt den jüngsten Sohn von Mehmet Kubaşık. Der Dortmunder Kioskbesitzer wurde am 4. April 2006 von den Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ermordet.

Schon zu Beginn ihres Plädoyers in der vergangenen Woche hatte Anwältin von der Behrens deutlich gemacht, dass sie nicht glaubt, dass der NSU lediglich aus Beate Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt bestand. Sie spricht von einem großen und bundesweiten NSU-Netzwerk.

"Verbrechen mit staatlicher Verstrickung", sagt sie

Sie hoffe darauf, sagt von der Behrens, dass die Zeit Aufklärung bringen werde: "Die Aufklärung von Verbrechen mit staatlicher Verstrickung braucht Jahrzehnte, wenn sie denn jemals gelingt." Verbrechen mit staatlicher Verstrickung, sagt sie. Stunde um Stunde hatte sie zuvor ausgeführt, worin sie diese staatliche Verstrickung sieht.

Der Verfassungsschutz und die Bundesanwaltschaft hätten die Aufklärung der NSU-Verbrechen und eines NSU-Netzwerkes "be- und verhindert". Auch ein Motiv für ein derartiges Handeln nennt Anwältin von der Behrens: "Das Ausmaß des Mitverschuldens, die Verstrickung der Verfassungsschutzämter sowie das Ausmaß rechtsextremer Strukturen sollte und soll nicht bekannt werden."

Immer wieder kritisiert sie die "frühe Festlegung auf das Verständnis des NSU als abgeschottetes Trio, bestehend aus Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe". Nur in diese Richtung sei ermittelt worden. "Der Generalbundesanwalt hat mit seiner Fokussierung auf den NSU als Trio nicht nur das Netzwerk der Mitwisser ausgeblendet", sagt von der Behrens, "sondern auch die Rolle der Verfassungsschutzbehörden und der V-Personen im NSU-Komplex." Ihr Vorwurf: "Der Generalbundesanwalt hat den Verfassungsschutz aktiv geschützt."

"Es geht hier nicht um eine Anklage gegen die Bundesrepublik"

Es sind vor allem die Vertreter der Bundesanwaltschaft, Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten und Oberstaatsanwältin Anette Greger, die sich an diesem Tag erneut immense Vorwürfe anhören müssen. Und doch sind sie es, die die Anwältin verteidigen. Denn irgendwann meldet sich Beate Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer zu Wort. An den Richter gewandt sagt er: "Ich muss beanstanden, das Sie dies zulassen, Herr Vorsitzender. Langsam sehe ich es veranlasst, dass Oberstaatsanwältin Greger und Oberstaatsanwalt Weingarten auf dieser Seite Platz nehmen mögen." Er meint auf der Anklagebank.

Nicht zum ersten Mal moniert die Verteidigung Zschäpes einen sogenannten Missbrauch des Schlussvortrages durch die Nebenklagevertreter. Inhalt eines Plädoyers dürfe nur sein, was auch Thema der Hauptverhandlung war. "Es ist schlicht und ergreifend nicht in Ordnung, dass Sie derartige Ausführungen zulassen, Herr Vorsitzender", sagt Heer: "Es geht hier nicht um eine Anklage gegen die Bundesrepublik Deutschland." Der Kieler Opferanwalt Alexander Hoffmann springt seiner Kollegin zur Seite: "Die Verteidigung soll hier eigentlich nicht die Ehre der Ermittlungsbehörden, Sie sollen eigentlich Frau Zschäpe verteidigen."

Schließlich verteidigt ausgerechnet der Vertreter der Bundesanwaltschaft Anwältin von der Behrens. "Sie moniert die Ausgestaltung der Hauptverhandlung. Sie moniert, dass manches, was sie für relevant hält, nicht zum Inbegriff der Hauptverhandlung geworden ist", sagt Weingarten: "Das kann als Appell an Senat verstanden werden. Das halte ich für zulässig." Das Gericht sieht es ähnlich und lässt die Anwältin ihr Plädoyer fortführen.

Ideologie spielte eine große Rolle bei der Beweisaufnahme

Sie rechnet weiter ab. Nun mit den Richtern des Senats. Auch das Gericht habe "mit seinem engen Verständnis von der Aufklärungspflicht den Verfassungsschutz geschützt". Doch das Zeugnis, das sie den Richtern ausstellt ist geringfügig besser als jenes, das sie der Bundesanwaltschaft ausstellte. "Der Senat hat sich - mit wichtigen Ausnahmen - an die engen Vorgaben der Anklage gehalten und dem Aufklärungsanspruch der Nebenkläger auch nicht zur Geltung verholfen", sagt sie zwar.

Aber: "Entgegen der Anklage hat der Senat allerdings dem Thema Ideologie in der Beweisaufnahme im Verhältnis zur Anklage einen sehr viel größeren Raum gegeben." So habe das Gericht etwa die sogenannten Turner-Tagebücher zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht. Dabei handelt es sich um ein rechtsextremes Werk, das eine Handlungsanleitung für den bewaffneten Kampf in Kleinstgruppen liefert und sich wie die Blaupause des NSU liest. Und doch habe sich auch das Oberlandesgericht nicht entschieden genug für die Aufklärung eingesetzt.

Am Mittwoch gehen die Schlussvorträge der Opfer des NSU und ihrer Anwälte weiter.

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