Protestkultur:Jetzt reicht's

Protestkultur: Die letzte Unterhose: Lokalbetreiber in Italien protestieren gegen Corona-Maßnahmen.

Die letzte Unterhose: Lokalbetreiber in Italien protestieren gegen Corona-Maßnahmen.

(Foto: Andreas Solaro/AFP)

Mit aufgehängten Unterhosen protestieren Italiens Gastronomen gegen Schließungen.

Von Martin Zips

Möchte der Mensch seinem Protest Ausdruck verleihen, so wird er gerne gegenständlich. Mal nimmt er einen Pflasterstein zur Hand, mal eine Blume. Oder er hängt, wie jetzt Italiens Gastronomen aus Protest gegen die coronabedingten Schließungen ihrer Lokale, seine Unterhose an eine überlange Wäscheleine.

Vom "Phänomen der materiellen Kultur des Protests" spricht Jan C. Watzlawik, Kulturwissenschaftler an der Dortmunder TU. Seit Jahren ist Watzlawik, der nichts mit dem österreichischen Philosophen Paul Watzlawick zu tun hat, ein feiner Beobachter der "quantitativen Dingfrequenz" öffentlicher Versammlungen. Sogar ein Buch hat er darüber geschrieben. Tatsächlich kennt der gegenständliche Protest immer wieder neue Ausdrucksformen: Mal blasen Demonstranten in ihre Trillerpfeifen, mal schwenken sie Regenbogenfahnen oder recken Kruzifixe sowie Zapfhähne in die Höhe.

Das Ding an sich ist "nichts als lauter Schein", heißt es bei Kant. Erst in der Erfahrung liegt Wahrheit. Und so ist es interessant zu beobachten, wie beispielsweise (etwa im Jahr 1974 in Portugal) Nelken erfolgreich gegen das Militär eingesetzt werden oder (wie bei der Münchner Lichterkette 1992) Kerzen als Zeichen gegen Rassismus. In Hongkong versammelten sich die Protestierenden noch vor wenigen Monaten unter Regenschirmen - da hatten sie noch Hoffnung. Und bei der Occupy-Bewegung kamen Gesichtsmasken zum Einsatz, die an das Konterfei des britischen Attentäters Guy Fawkes erinnerten.

Gerade das Schmuddelige hat oft eine starke Wirkung

"Gegenstände wie diese sind immer ein Mittel der Identitätskonstruktion und Gemeinschaftkonstituierung", weiß Kulturwissenschaftler Watzlawik. Und diese Konstituierung funktioniert sogar mit Klobürsten, wie etwa bei Protesten gegen den russischen Präsidenten. Zumindest so lange, bis die Polizei kommt.

Ja, gerade das Schmuddelige - wie auch bei den jetzt am Circus Maximus in Rom aufgehängten Gastronomen-Unterhosen - entfaltet oftmals eine sehr spezielle Wirkung. Kein Wunder, denn schließlich ist es vor allem die Erleichterung des Darmes (und alles, was mit ihr zusammenhängt), die laut dem US-Anthropologen und Autor David B. Givens seit Jahrtausenden die allerhöchste aller Beleidigungsformen darstellt. Während die menschliche Sprache mit 200 000 Jahren noch recht jung ist, hat das ostentativ Degoutante seine Wurzeln bereits im Tierreich. Jemanden sein entblößtes Gesäß entgegenzurecken, so schreibt Givens, das werde überall verstanden.

Daher kann gerade Unterwäsche ein geeignetes Artefakt für die Zurschaustellung menschlichen Unmuts sein. Aber auch alle anderen Gegenstände, die "immer aufs neue der Klärung" bedürfen, wie es der Dichter Hofmannsthal einmal formulierte. Egal, ob es sich dabei um ein Kapuzenshirt (den bei Hooligans und Autonomen beliebten "Hoodie") oder um eine in der arabischen Welt negativ besetzte Fußbekleidung handelt (US-Präsident George W. Bush verdiene es "nur, mit Schuhen geschlagen zu werden", meinte einst der irakische Informationsminister). Es kommt immer auf den Kontext an.

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