Proteste:Ungehorsam für das Klima

Extinction Rebellion Flashmob Am 20 07 2019 hat die Gruppe Extinction Rebellion Freiburg auf dem Au

Anhänger von „Extinction Rebellion“ legen sich in Freiburgs Innenstadt aufs Pflaster, um auf das Aussterben von Tierarten aufmerksam zu machen.

(Foto: Jannis Große/imago)

Ihr Ziel: Emissionen sofort auf netto-null. Dafür übertreten die Aktivisten von "Extinction Rebellion" bewusst Gesetze. In Rollenspielen üben sie, wie es trotzdem friedlich bleibt.

Von Max Gilbert

Eng aneinander gedrängt sitzen knapp 20 Aktivisten in einem Kreis. Die Polizisten gehen auf die Gruppe zu, heben jeweils zu zweit einen Aktivisten hoch und tragen ihn von der Gruppe weg. Es wird gefeixt und gelacht, die Stimmung ist locker - weder die Polizisten sind echt noch die Sitzblockade. Knapp 60 Leute haben sich an einem Julisonntag in einem Hinterhaus im Berliner Stadtteil Wedding getroffen, die meisten zwischen Mitte 20 und Mitte 40. Die Klimabewegung Extinction Rebellion (auf Deutsch: Rebellion gegen das Aussterben), kurz XR, veranstaltet ein Aktionstraining, eine Art Crashkurs für zivilen Ungehorsam. "Das ist eine reine Informationsveranstaltung, kein Aufruf zu Straftaten", sagt Ruth Meißner, eine der Trainingsleiterinnen, zu Beginn. Denn die Aktionen von Extinction Rebellion stören die öffentliche Ordnung.

Ihr ziviler Ungehorsam, das angekündigte symbolische Überschreiten von Gesetzen, soll auf eine drohende Klimakatastrophe aufmerksam machen. "Wir steuern in einen tödlichen Klimakollaps, den deine Familie nicht überleben wird", heißt es auf der Internetseite. Darüber prangt das Logo, eine schwarze Sanduhr auf grünem Hintergrund. Ähnlich drastisch wie die Sprache sind die Forderungen: Alle Gesetze kippen, die dem Klimaschutz entgegenstehen, die vom Menschen verursachten Emissionen auf netto-null reduzieren - bis 2025.

Gegründet wurde Extinction Rebellion im Herbst 2018 von den Briten Gail Bradbrook, 47, und Roger Hallam, 53. Die Biophysikerin und der Umweltaktivist haben soziale Bewegungen wie Gandhis Salzmarsch analysiert, XR strategisch geplant und davon gesprochen, 3,5 Prozent der Bevölkerung zu mobilisieren. Das reiche, um grundlegende Veränderungen in einer Gesellschaft anzustoßen. In Deutschland müssten sie demnach fast drei Millionen Menschen aktivieren. Derzeit haben sie hierzulande ein paar Tausend Mitglieder - Tendenz steigend. Berlin ist eine der größten von über 50 Ortsgruppen.

Ihre Proteste leben nicht von der Masse, sondern von der Inszenierung. Vor Kurzem ketteten sich Berliner Aktivisten an den Zaun des Bundeskanzleramts. Im Frühjahr besetzten sie über Stunden die Oberbaumbrücke. In London blockierten XR-Anhänger über Tage mehrere Verkehrsknotenpunkte, die Polizei nahm viele von ihnen fest. Wie sich Aktivisten in Konfrontation mit den Behörden verhalten, wird bei Aktionstrainings thematisiert.

Dass ihre Proteste friedlich bleiben, nennen XR-Aktivisten ihr oberstes Gebot. Dafür proben die Aktivisten, sich bei Blockaden so hinzusetzen, dass Auseinandersetzungen vermieden werden. "Gewalt wird unwahrscheinlicher, wenn man kooperativ ist und es den Polizisten nicht schwer macht", erklärt Meißner nach dem Sitzblockade-Rollenspiel. Nicht einhaken, keine Beleidigungen, Verständnis für die Polizisten aufbringen: "So bleibt's friedlich. Bilder von Gewalt wollen wir nicht", sagt sie.

Trotzdem stoßen die XR-Proteste auf oft scharfe Kritik. Die Blockaden in London sollen die örtliche Wirtschaft laut britischen Medien mehr als 13 Millionen Euro gekostet haben. Über 50 Busrouten wurden umgeleitet, Hunderten Polizisten die freien Ostertage gestrichen. Nach der Brücken-Blockade in Berlin kritisierte Marcel Luthe, innenpolitischer Sprecher der Berliner FDP, die Blockade habe "erhebliche volkswirtschaftliche Schäden angerichtet und Menschenleben gefährdet". Eine Sprecherin von XR bestreitet das: Die Blockaden würden so angelegt, dass Rettungsfahrzeuge durchkämen. Darauf lege man "größten Wert". Und die wirtschaftlichen Schäden seien minimal im Vergleich zu dem, was angesichts einer Klimakatastrophe drohe.

Rainer Wendt, der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, hält nichts von dieser Argumentation: Durch Straßenblockaden würden unbeteiligte Bürger beeinträchtigt, kritisiert er: "Gegen Gesetze zu verstoßen, ist auch eine Form der Gewalt." Die XR-Aktivisten sehen das anders: "Wir übertreten bewusst Gesetze und sind bereit, die Konsequenzen zu tragen", sagt eine Sprecherin. Ziviler Ungehorsam sei das einzige verbleibende Mittel, um die Öffentlichkeit von der Dringlichkeit der Lage zu überzeugen. Meißner sagt: "Unser Anliegen geht alle etwas an, auch die Person, die wegen einer Blockade im Stau steht, und den Polizisten, der uns wegträgt."

Die bisherigen Proteste sollen nur ein Anfang gewesen sein. Im Oktober will XR weltweit protestieren, in Berlin plant die Gruppe ein großes Camp für die Aktivisten. Dass es dabei zu Ausschreitungen kommt, glaubt Simon Teune nicht: "In der Klimabewegung gibt es keine relevanten Akteure, die Gewalt legitimieren. Das ist überhaupt kein Thema", sagt der Protestforscher von der Technischen Universität Berlin. Ein größerer Zuspruch für zivilen Ungehorsam sei aber vorstellbar, wenn in der Politik weiterhin nichts passiere.

XR positioniert sich, von drastischen Umweltschutzforderungen abgesehen, nicht politisch. "Klimaschutz ist keine linke Position, Extinction Rebellion keine linke Bewegung", sagt ein junger Mann während des Aktionstrainings. Dafür gibt es viel Zustimmung - obwohl viele XR-Aktivisten politisch links sind. In einer Pause sitzen drei Aktivisten zusammen an einem Tisch im Hinterhof. Sie sprechen darüber, wie es noch möglich ist, die Erde zu retten. "Es ist doch im Grunde egal, wie wir die Klimakatastrophe verhindern", sagt ein älterer Mann, "wenn es der Kapitalismus schafft - von mir aus."

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