Süddeutsche Zeitung

Protestbewegungen:Es brodelt auf dem Balkan

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Von Peter Münch, Wien

Blanke Wut und tiefe Frustration treiben die Menschen auf die Straße. Sie protestieren gegen die "Diebe" und "Lügner" und rufen auf zur "Rebellion". Es brodelt gerade an vielen Ecken auf dem Balkan: in Serbien und in Montenegro, in Albanien und in Banja Luka, der Hauptstadt der bosnischen Serbenrepublik. Schnell ist diesem länderübergreifenden Demonstrationsreigen, der in winterlicher Kälte begann, das Label vom "balkanischen Frühling" umgehängt worden. Dabei kann von einer einheitlichen Bewegung noch keine Rede sein, der Aufruhr hat jeweils eigene Ursachen. Gemein ist all diesen Demonstrationen jedoch, dass aufbegehrt wird gegen die autokratischen und korrupten Machtstrukturen. Es ist eine Art Aufschrei von unten - der nicht zuletzt auch an Brüssel gerichtet ist, wo über den EU-Beitritt der Westbalkan-Staaten verhandelt wird.

Die größte Wucht scheinen die Demonstrationen derzeit im größten Land des West-Balkans zu haben: In Serbien mit seinen rund sieben Millionen Einwohnern gehen schon seit Anfang Dezember allwöchentlich viele Tausende auf die Straße. Auslöser war ein brutaler Überfall auf einen Oppositionspolitiker. Der Protest gegen die politische Gewalt im Land richtete sich sogleich gegen Präsident Aleksandar Vučić, dem seine Gegner eine Aushöhlung von Demokratie und Rechtsstaat vorwerfen. Das Motto der Proteste - "Einer von fünf Millionen" - hat der Präsident dann auch noch persönlich geliefert, als er nach den ersten Demonstrationen verkündete, er werde die Forderungen ignorieren, selbst wenn fünf Millionen Menschen auf die Straße gingen.

Demonstriert wird an jedem Samstag mittlerweile nicht mehr nur in der Hauptstadt Belgrad, sondern auch in vielen anderen Städten. Nachdem die Bewegung zunächst von meist jungen Aktivisten getragen wurde, hat sich mittlerweile auch die Opposition angeschlossen, die zum Zeichen ihrer Unterstützung seit Mitte Februar das Parlament boykottiert.

Montenegros Präsident genießt im Westen Ansehen, weil er den Einfluss Russlands zurückdrängt

In Montenegro hat sich die Protestbewegung an einem der zahlreichen Korruptionsfälle entzündet. Im Januar hatte ein Geschäftsmann den Videobeweis dafür geliefert, dass er 97 000 Euro Schmiergeld an einen Parteigänger von Präsident Milo Djukanovic gezahlt hat, der das Land fast ununterbrochen seit drei Jahrzehnten regiert. Nun wird auf den Straßen Djukanovics Rücktritt gefordert. Das Motto der Proteste: "97 000 - widerstehe". Teile der Opposition sind dem Parlament bereits seit der Wahl 2016 ferngeblieben. Im Westen jedoch genießt Djukanovic Ansehen, weil er den Einfluss Russlands zurückdrängt und sein Land 2017 in die Nato geführt hat. Ebenso wie Serbien hat die EU-Kommission auch Montenegro im vorigen Jahr eine Mitgliedschaft in der EU im Jahr 2025 in Aussicht gestellt.

Die EU setzt auf dem Balkan aus Angst vor Krisen auf jene starken Männer, die Stabilität versprechen

In Albanien waren es zunächst die Studenten, die Ende vorigen Jahres gegen eine Erhöhung ihrer Studiengebühren auf die Straße gezogen waren. Schnell jedoch wurde der Fokus der Proteste erweitert, gespeist durch die weit verbreitete Armut und das politische Interesse der Opposition. Gefordert wird nun der Rücktritt des sozialistischen Premierministers Edi Rama, dessen Regierung Korruption und Verbindungen zur organisierten Kriminalität vorgeworfen werden. Immer wieder kommt es bei den Protesten auch zu Gewalt. Mitte Februar waren beim versuchten Sturm auf den Amtssitz Ramas Dutzende Menschen verletzt worden. Seither haben sich auch hier die Oppositionsabgeordneten aus dem Parlament zurückgezogen. Sie fordern die Einsetzung einer Expertenregierung sowie baldige Neuwahlen.

Im bosnischen Banja Luka schließlich hat sich schon vor knapp einem Jahr eine Protestbewegung formiert, Auslöser war der gewaltsame Tod eines 21-jährigen Studenten namens David Dragičević. Sein Vater macht eine "Mafia" mit Verbindungen zu Polizei und Politik bis hinauf zu Milorad Dodik, dem Führer der bosnischen Serben, für den Tod verantwortlich. Die von Davor Dragičević begründete Bewegung "Gerechtigkeit für David" hat Zehntausende zu Gedenkmärschen und Mahnwachen mobilisiert. Ende Dezember ging die politische Führung in Banja Luka gewaltsam gegen die Proteste vor. Dragičević musste untertauchen, er wird nun per Haftbefehl wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung gesucht. Weil weitere Demonstrationen verboten wurden, treffen sich die Menschen nun in Banja Luka bis auf Weiteres zum stillen Gedenken mit Kerzen vor einer Kirche.

Anders als in Banja Luka versuchen die Machthaber in Belgrad, Podgorica und Tirana bislang, die Proteste ins Leere laufen zu lassen. Alle haben sie im Laufe ihrer Herrschaft schon manche Stürme überstanden - ein sogenannter bosnischer Frühling war 2014 ebenso verpufft wie in Serbien Proteste gegen Vučićs Wahlsieg im Frühjahr 2017. Nun setzen die Regierenden darauf, dass die Bündnisse ihrer Gegner jeweils zu heterogen sind und sich noch keine neuen Führungsfiguren herausgeschält haben. Eine gewisse Nervosität aber ist zumindest Vučić anzumerken, der die wöchentlichen Demonstrationen mit einer Kampagne namens "Serbiens Zukunft" kontert und dafür derzeit das ganze Land bereist.

Auf Brüsseler Rückenwind dürfen die Demonstranten indes kaum hoffen. Aus Angst vor neuen Krisen und Unsicherheiten setzt die EU auf dem Balkan auf jene starken Männer, die Stabilität versprechen. Als die albanischen Oppositionspolitiker Mitte Februar ihre Parlamentsmandate niederlegten, kritisierten die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und Erweiterungskommissar Johannes Hahn den Schritt in einer gemeinsamen Erklärung als "kontraproduktiv". Eine Sprecherin der EU-Kommission ergänzte vorige Woche vor der Presse, dass das Parlament der richtige Ort für Diskussionen über Politik sei.

Gegen diesen Brüsseler Aufruf zum Ende der Parlamentsboykotte gab es heftigen Widerspruch aus Serbien, Montenegro und Albanien. "Mit ihren Forderungen verteidigen die Menschen in Belgrad, Podgorica und Tirana die fundamentalen Werte der EU", sagte zum Beispiel der montenegrinische Oppositionspolitiker Dritan Abazović. "Wenn das die EU-Vertreter nicht sehen, dann haben sie ein Problem mit ihren eigenen Werten."

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SZ vom 08.03.2019
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