Proteste nach möglicher Wahlmanipulation in Russland:Putin und Medwedjew spüren den Druck der Straße

Es sind unruhige Zeiten in Russland - Zehntausende protestieren gegen Putin und sein Regime, es werden täglich mehr. Moskau reagiert mit Zuckerbrot und Peitsche: Die Abstimmung soll überprüft werden, aber die Behörden überwachen das Internet und nehmen willkürlich Demonstranten fest.

Frank Nienhuysen , Moskau

Der Name des "Platzes der Revolution" soll offenbar kein Omen werden. Am Sonntag wird an diesem Moskauer Platz ein Eistheater eröffnet, mit Maus und Frosch, Hase und Fuchs, mit Wolf und Bär. Doch schon am Samstag ist dort eine Demonstration geplant, die der russischen Regierung so mächtig zusetzen könnte wie nichts zuvor.

Rally against alleged vote rigging in the center of Moscow

Demonstranten in Moskau: Der Druck der Straße wächst.

(Foto: dpa)

Mehrere zehntausend Menschen haben sich im Internet bereits angekündigt, und stündlich werden es mehr. Erlaubt ist die Kundgebung allerdings nur für 300, weshalb am Donnerstag über einen alternativen Ort verhandelt wurde. Eines aber haben die Veranstalter deutlich gemacht: Diese Demonstration wird stattfinden. Der Druck der Straße wächst.

Es sind unruhige Zeiten in Russland. Vor allem für die politische Führung, die seit Jahren nichts mehr fürchtet als ein Szenario wie in der Ukraine, in Georgien und zuletzt in der arabischen Welt: den Verlust der Kontrolle, einen Wechsel der Macht. Jetzt ist auch Russland zunehmend vom Zorn der Menschen erfasst, die sich gedemütigt fühlen von der Staatsmacht.

"Niemand wünscht ein Chaos", sagte Ministerpräsident Wladimir Putin am Donnerstag und versicherte, die Mehrheit der Bürger wolle keine bunten Revolutionen. Doch sie will sich auch nicht mehr an die Drehbücher des Kreml halten. Die Wucht der Straße wächst, und sie zwingt Moskau, sich zu bewegen - wohin genau, war am Donnerstag zunächst nicht abzusehen.

Es waren gleich mehrere Signale, die vom Kreml ins Land gestreut wurden. Da ist zum einen der Präsident: Dmitrij Medwedjew will offenbar doch noch eine Art liberales Image retten, denn er erklärte in Prag, dass die Abstimmung vom Sonntag vielleicht doch noch einmal überprüft werden könnte. Die Demonstranten seien Menschen, "die wirklich enttäuscht sind", sagte Medwedjew.

Putin selber wiederum, Anführer der umstrittenen Regierungspartei Einiges Russland, versuchte zwei Botschaften zugleich zu verschicken. Nach außen attackierte er die US-Regierung als Mäzen der Moskauer Straßenproteste. Nach innen versuchte er den Unmut der Russen auf die herrschende Partei zu dämpfen, die am Sonntag bei der Parlamentswahl trotz deutlicher Verluste die absolute Mehrheit erreicht hat. 50 Prozent der Fraktion von Einiges Russland sei durch die Wahl erneuert worden, sagte Putin trotzig und setzte sich zugleich spürbar von seiner eigenen Partei ab.

FSB setzt Internet-Netzwerk unter Druck

Anfang des Jahres hatte er eine Allrussische Volksfront gegründet, eine breite gesellschaftliche Bewegung, die für die dümpelnde Partei neue, frische Gesichter rekrutieren sollte. Jetzt rief er die parteilosen Mitglieder der Volksfront auf, ihre gewonnenen Duma-Mandate keinesfalls an Vertreter der Partei zu übergeben. Und so lautet nun also Putins Rechnung, mit der er das unruhige Volk zu besänftigen versucht: "25 Prozent auf der Parteiliste sind Parteilose - Vertreter Ihrer Organisationen." Ob die Russen dies beeindruckt, wird sich zeigen müssen.

Groß ist das Misstrauen der Bevölkerung gegen die Partei, die viele gleichsetzen mit Selbstbereicherung und Stagnation, mit Ideenlosigkeit und Bevormundung - ja mit dem Staatsapparat selbst. Und von dort kam am Donnerstag erneut schlechte Kunde. Pawel Durow, Gründer der russischen Facebook-Alternative "V Kontakte", berichtete von erheblichem Druck des russischen Sicherheitsdienstes auf das soziale Netzwerk. Der FSB, Nachfolge-Organisation des KGB, habe von ihm verlangt, oppositionelle Gruppen, die zu Protestkundgebungen aufriefen, aus dem Netz auszusperren.

Sperrung von Internetplattformen ist "schädlich"

Der Generalmajor der Polizei, Alexej Moschkow, sprach sich zudem dafür aus, die Anonymität von Teilnehmern der sozialen Netzwerke zu verbieten. Doch wo es ums Ganze geht, beginnen offensichtlich auch die Eliten zu streiten. Der Präsidentschaftsberater Arkadij Dworkowitsch hielt den Vorstoß der Sicherheitsdienste für Unsinn und bezeichnete eine mögliche Sperrung der Internetplattformen im Radiosender Echo Moskaus als "schädlich".

Und so versucht sich Moskau mit einer Mischung aus Zuckerbrot-und-Peitschen-Politik, mit Besänftigung und Drohung. Putin etwa verlangt die Einhaltung der Gesetze und betont zugleich die Meinungsfreiheit eines jeden Bürgers. Doch so trennscharf und glasklar ist in der Praxis nicht einmal das Vorgehen der Sicherheitsbeamten selbst. Augenzeugen berichteten von willkürlichen Festnahmen in den vergangenen Tagen und von verunsicherten Beamten.

Es gibt viel zu verlieren im Heer der Beamten und im Apparat der Macht. Seit Jahren dominiert die Partei Einiges Russland konkurrenzlos die Parlamente im ganzen Land. Die meisten Gouverneure sind Mitglied geworden, die Schaltstellen von Politik und Wirtschaft sind besetzt mit loyalen Vertrauten des Ministerpräsidenten, der sich schon im März zum Präsidenten wählen lassen will.

Putin muss dafür wieder mehr Rückhalt in der Bevölkerung finden. Und so gab er am Donnerstag eine Personalie bekannt, die das Vertrauen erneuern soll. Putin ernannte den beliebten Kinoregisseur Stanislaw Goworuchin zum Leiter seines Wahlkampfstabes. Falls dieser überhaupt wolle. Und er will - Putin ist zwar zunehmend umstritten, aber noch ist weit und breit niemand mächtiger als er. So bedankte sich Goworuchin artig. "Es ist mir eine Ehre, eine gewaltige Verpflichtung", sagte er und sammelte für Putin einen wichtigen Punkt.

Dennoch wird weit mehr davon abhängen, wie geschmeidig die russische Führung in den nächsten Tagen reagiert - auf die Massenproteste, auf die Forderung nach Meinungsfreiheit, nach dem Respekt der Wähler. "Die Stabilität, für die Putin immer gekämpft hat, ist jetzt in Gefahr", schreibt die Politologin Tatjana Stanowaja. "Er steht unter Zugzwang: Gibt es keine Evolution von oben, wird es eine Revolution von unten geben. Welche Entscheidung er auch trifft, es gibt keine, die seine Lage verbessert."

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