Proteste in Tunesien:Von der Straße ins Netz

Wieder protestieren Tausende im Zentrum von Tunis. Und im Netz geht der Kampf weiter, auch dort kämpfen Regime und Gegner mit harten Bandagen. Die staatliche Internetagentur soll Passwörter für Facebook- und E-Mail-Konten ausspioniert haben.

Marlene Weiss

Noch immer toben die Proteste in Tunesien: Tausende fordern im Zentrum von Tunesiens Hauptstadt den Rücktritt von Präsident Zine el-Abidine Ben Ali. Die Demonstranten skandierten Parolen wie "Ben Ali - raus" oder "Ben Ali - Mörder". In der Nacht auf Freitag waren bei gewalttätigen Auseinandersetzungen 13 Menschen getötet worden. Es sind die schwersten Unruhen seit Ben Alis Machtübernahme vor 23 Jahren.

Facebook Tunesien

Die Seite der Gruppe "Just Tunesie": Über Facebook-Gruppen tauschen sich die Demonstranten in Tunesien online aus.

Gleichzeitig kämpfen Regierung und Protestierende auch im Internet gegeneinander - und auch dort mit harten Bandagen.

Die staatliche Internetagentur ATI soll flächendeckend Passwörter für Konten bei Facebook, Gmail und Yahoo gesammelt haben. Im vergangenen Juli hatte der einflussreiche tunesische Blogger Slim Amamou festgestellt, dass der Zugang zu Gmail-Konten über eine verschlüsselte Verbindung von Tunesien aus regelmäßig unterdrückt wurde. Gmail-Nutzer, die ihr Konto daraufhin über eine unverschlüsselte Verbindung aufriefen, wurden zu einer gefälschten Seite weitergeleitet, die nur dem Zweck diente, ihr Passwort abzufangen und weiterzuleiten - sogenanntes Phishing. Auch Facebook- und Yahoo-Konten seien betroffen, warnte Amamou.

Laut einem Bericht des Online-Magazins Tech Herald von Anfang Januar passiert Ähnliches nach wie vor. Weil die Attacken nahezu die gesamte tunesische Internet-Infrastruktur betreffen, gebe es realistischerweise nur einen möglichen Schuldigen: Die staatliche Internet-Agentur ATI, die den Internetzugang im Land strengstens kontrolliert und regelmäßig Seiten sperrt. Nach offiziellen Angaben dient die Zensur ausschließlich dem Kampf gegen Terrorismus und Pornographie.

Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" beklagt jedoch, dass häufig regierungskritische Seiten und soziale Netzwerke betroffen seien. Peter Franck, Experte des Chaos Computer Clubs, hält Phishing-Angriffe durchaus für vorstellbar. "Grundsätzlich ist die Veränderung von Web-Inhalten durch Netzbetreiber immer möglich, genau genommen durch jeden, der ein Teilstück der Strecke zwischen Browser und Server kontrolliert", sagt er. Allerdings wundert er sich, dass die Regierung sich angeblich diese Mühe mache: Normalerweise verfügten Regierungen über Abhörtechnik, mit der das gleiche Ergebnis ohne jede Gefahr von Entdeckung zu erreichen sei.

Auch wenn sich nicht belegen lässt, dass die Regierung hinter dem großangelegten Phishing steckt: Viele Hacker lassen sich die Zensur und Überwachung im Netz nicht länger gefallen und schlagen zurück. Sogenannte Distributed-Denial-of-Service-Attacken (DDOS) lassen seit Wochen Regierungsserver zusammenbrechen. Auch derzeit sind viele Ministeriumsseiten nicht erreichbar, darunter pikanterweise diejenige des Informations- und Kommunikationsministeriums, dem die ATI unterstellt ist. Dabei handelt es sich um Angriffe, bei denen unzählige Rechner gleichzeitig die Server mit Anfragen bombardieren, bis diese hoffnungslos überlastet sind. Im Gegensatz zur konventionellen Denial-of-Service-Attacke, an der sich viele Angreifer beteiligen müssen, läuft die Koordination bei DDOS-Angriffen automatisch ab.

Am vergangenen Freitag kritisierte das US-Außenministerium die Vorgänge in ungewohnt deutlicher Form: "Wir sind besorgt über jüngste Berichte, dass Internet-Provider im Auftrag der Regierung in Konten tunesischer Nutzer bei Facebook, Google und Yahoo hacken und Passwörter stehlen", heißt es in einem Statement von Ministeriumssprecher Philip Crowley. "Diese Form der Einmischung bedroht die Fähigkeit der Gesellschaft, die Vorteile der neuen Technologien zu nutzen." Allerdings rief Crowley auch die Regierungsgegner zur Mäßigung auf - auch die jüngsten Attacken auf Regierungs-Webseiten hemmten den freien Fluss der Information. Nach Informationen der Nachrichtenagentur AFP hat Facebook selbst die US-Regierung auf die tunesischen Phishing-Angriffe hingewiesen.

Die Schlacht im Internet hat dieser Aufruf nicht beendet - solange die Regierung die versprochenen Reformen nicht umgesetzt hat, kämpfen die Aktivisten weiter. Inzwischen wurden sogar ein Blog und ein Twitter-Account des Außenministers Kamel Morjane gefälscht: Auf www.kamelmorjane.com erschien Donnerstagabend ein gefälschtes Rücktrittsschreiben des Ministers in englischer, französischer und arabischer Sprache. "Ich bin überzeugt, dass (die Protestierenden) keine Terroristen sind, sondern Bürger, die ihr Recht ausüben, eine Regierung anzugreifen, die sie seit zwei Jahrzehnten alleingelassen hat. Aus diesem Grund sehe ich mich nicht mehr als ein Mitglied dieser Regierung der Unterdrückung und Manipulation", heißt es in dem Brief. "Ich bin nicht stolz auf meine Familie und wäre bereit, zusammen mit ihr vor Gericht verurteilt zu werden." Morjanes Frau ist die Nichte zweiten Grades von Staatschef Ben Ali.

Gefälschtes Rücktrittsschreiben des Außenministers

Die Rücktrittsschreiben zirkulierten tausendfach über Twitter, viele hielten sie zunächst für echt und jubelten. Inzwischen prangt auf kamelmorjane.com ein Plakat der französisch-tunesischen Protestgruppe Takriz und ein Video, das verletzte Demonstranten zeigt. "BEN ALI der Mörder, Folterer, Zensor, Diktator wird verhaftet werden", steht darunter. Und weiter: "Thank you for understanding". Der Außenminister selbst äußerte sich schließlich über das Magazin Tunivisions, dessen Webseite im Gegensatz zu den offiziellen Seiten meistens erreichbar ist: Weder mit dem Blog noch mit dem Twitter-Account habe er etwas zu tun, er habe keine Internetpräsenz.

Gefälschteer Blog von Kamel Morjane, tunesischer Außenminister

"Helft uns, die Botschaft zu verbreiten": Gefälschter Blog des tunesischen Außenministers Kamel Morjane.

In seiner Fernsehansprache vom Donnerstagabend kündigte Staatschef Ben Ali weitreichende Reformen an, zudem wolle er bei den nächsten Präsidentschaftswahlen nicht mehr kandidieren. "Ben Ali steht zu seinem Wort", bekräftigte Außenminister Morjane. Die Polizeigewalt gegen die Demonstranten sei "ein Fehler" gewesen - diese zurückhaltende Formulierung erboste die Twitterer angesichts von Dutzenden toten Demonstranten allerdings erst recht. Möglicherweise wurde die Zensur im Internet tatsächlich gelockert, zuvor gesperrte Seiten wie Youtube und die Open Net Initiative etwa seien wieder erreichbar, schreiben Blogger.

Von einer Kehrtwende kann indes bislang noch keine Rede sein, weder in der virtuellen noch in der realen Welt. Weniger als eine Stunde nach Ben Alis Ansprache wurde nach Informationen des arabischen Senders al-Dschasira im Tuniser Vorort Aouina erneut auf Demonstranten geschossen, drei Menschen seien gestorben. Vom Blogger Slim Amamou fehlt seit Donnerstag vergangener Woche jede Spur.

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