Süddeutsche Zeitung

Proteste in Syrien:Assad verkündet Generalamnestie

Seit Wochen geht das syrische Regime mit Gewalt gegen Demonstranten vor, jetzt will Präsident al-Assad die Stimmung mit einer Generalamnestie beruhigen. Sogar die Muslimbrüder sollen straffrei bleiben - doch Teile der Aufständischen beginnen, sich zu bewaffnen. Und ein Video von einem gefolterten 13-Jährigen sorgt für neue Wut.

Sonja Zekri

Syriens Präsident Baschar al-Assad hat am Dienstag eine Generalamnestie für politische Gefangene erlassen. Laut Staatsfernsehen betrifft das Amnestie-Dekret alle Verbrechen, "die vor dem 31. Mai begangen wurden". Die Amnestie schließe auch die Muslimbrüder nicht aus, meldet die staatliche Agentur Sana. Die Mitgliedschaft bei den Islamisten ist bei Todesstrafe verboten.

Assad hatte erst Anfang Mai eine Amnestie angekündigt, die selbst jene betreffen sollte, die die "innere Sicherheit des Staates bedrohten". Danach nahmen Sicherheitskräfte aber Tausende Regimegegner fest und riegelten ganze Städte ab. Assad setzt Kampfhubschrauber, schwere Artillerie und Panzer gegen die Protestierenden ein. Seit Montag sind 15 Menschen allein in den Orten Talbiseh und Ratan nördlich der zentralsyrischen Stadt Homs gestorben.

Zusätzlich erbittert hat die Protestierenden der mutmaßliche Foltertod eines 13-Jährigen. Das Schicksal des "Kinder-Märtyrers" Hamsa Ali al-Chatib ist zum Symbol für den Sadismus des Regimes geworden. Protestierende rufen den Namen Al-Chatibs auf Demonstrationen, eine Facebook-Seite des toten Jungen wurde mehr als 60.000-mal abgerufen. Der Junge war nach Medienberichten mit seinem Vater am 29.April zu einer Demonstration in Jisa nahe Daraa an der Grenze zu Jordanien gegangen, festgenommen und seinen Eltern erst einen Monat später tot zurückgegeben worden.

Vor wenigen Tagen hatten syrische Menschenrechtler ein Video des geschundenen Körpers al-Chatibs veröffentlicht. Es zeigt den aufgeblähten Leib des Jungen mit Schuss-, Stich- und Brandverletzungen. Kniescheiben und Kiefer sind zerschmettert, die Genitalien abgeschnitten. Ein Doktor hatte später ausgesagt, der Körper zeige keine Folterspuren, sondern die bereits einsetzende Verwesung.

"Schockierende Brutalität"

Obwohl die Behörden seinen Eltern verboten hatten, über den Foltertod ihres Sohnes zu reden, hatte der Vater ein Video der Leiche erlaubt. Kurz darauf sei er nach Angaben exilsyrischer Aktivisten festgenommen worden, berichtet die New York Times. Ob diese Angaben stimmen, wann das Video aufgenommen wurde und was genau mit dem Jungen geschah, ist nicht unabhängig zu überprüfen, da Syrien keine ausländischen Journalisten zulässt. Allerdings waren Mitte März Minderjährige in Daraa misshandelt worden, nachdem sie regierungskritische Sprüche an Häuserwände gesprüht hatten. Danach waren die Proteste ausgebrochen.

Seit Ausbruch des Aufstandes starben nach Angaben syrischer Menschenrechtler mehr als 1100 Menschen. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, verurteilte die "schockierende Brutalität" des Assad-Regimes. Bislang hatte aber nicht einmal das Rote Kreuz ungehindert Zugang zu den Stätten des Aufruhrs. Auch der ägyptische Außenminister Nabil Al-Arabi mahnte Assad, er solle die Reformwünsche seines Volkes "positiv" sehen.

Syriens Vize-Außenminister Faisal Meqdad verbat sich allerdings jede Kritik aus dem Ausland mit dem Vorwurf, der Westen strebe eine Rückkehr zur Kolonialzeit an und nutze die Vereinten Nationen als Mittel, um eine Einmischung in syrische Angelegenheiten rechtfertigen, meldeten Agenturen am Dienstag. Und Mohammad Said Bcheitan, Vize-Generalsekretär der regierenden Baath-Partei, spielte das Ausmaß der Proteste im syrischen Staatsfernsehen mit den Worten herunter, eigentlich demonstrierten ja stets "dieselben" 100.000 Leute. Wie schon andere hohe Beamte stellte auch Bcheitan einen nationalen Dialog in Aussicht. Allerdings lehnte er es ab, die konstitutionell verankerte Monopolstellung der seit fast 50 Jahren regierenden Baath-Partei aufzugeben.

Unterdessen trafen erstmals glaubwürdige Berichte ein, dass sich einige der Demonstranten bewaffnen. In Homs, das seit Tagen beschossen wird, erwiderten Einwohner das Feuer mit automatischen Waffen und Granatwerfern, melden Agenturen. Ähnliches berichten Medien auch aus Talkalach nahe der libanesischen Grenze. Die Straße nach Libanon, über die viele Syrer flohen, ist inzwischen gesperrt, um, wie es von syrischen Behörden heißt, "das Leben der Bürger zu schützen". Bewaffnete Gruppen planten Anschläge auf Autos.

Syrische Oppositionelle, unter ihnen auch Exil-Syrer, treffen sich in dieser Woche in der Türkei, um das gemeinsame Vorgehen angesichts wachsender konfessioneller und ethnischer Spannungen abzustimmen.

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Quelle:
SZ vom 01.06.2011
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